Das Weihnachtsfest – die Zwölf Heiligen Nächte und die Advents-Stimmungen… Rudolf Steiner

Hinweise:
Aus dem gleichen Zyklus:

Visionäres Hellsehen und die Fähigkeit des gründlichen Denkens…
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und
BUDDHA UND DIE ZWEI JESUSKNABEN – DIE VIER EVANGELIEN – MISSION DES ALTHEBRÄISCHEN VOLKES / R.Steiner
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Christus Jesus in Anknüpfung an alle vier Evangelien. Dann erst haben Sie, was an gesamten Geheimnissen über ihn zu sagen ist… hier weiter

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RUDOLF STEINER
Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien
GA 117
Berlin, 21. Dezember 1909

Zwei zusammenhängende Vorträge von 1909 und ein Vortrag von 1911

Berlin, 21. Dezember 1909 – Der Weihnachtsbaum, ein Symbolum
und
Berlin, 26. Dezember 1909 – Weihnachtsstimmung
und
WEIHNACHTEN – EIN INSPIRATIONSFEST

Weihnachten –
Der Weihnachtsbaum, ein Symbolum / Weihnachtsstimmung

Inhaltsübersicht:
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Schauen wir uns die heutige materialistische Welt an mit ihrem Getriebe, wie die Menschen hasten und treiben vom Morgen bis zum Abend, und wie sie alles beurteilen im Sinne des materialistischen Nutzens, nach dem Maßstabe des äußeren physischen Planes, wie sie gar nicht ahnen, daß hinter allem der Geist lebt und webt…
Die Menschheit hat zur Zeit, als der Christus in Leibesgestalt auf der Erde wandelte, den großen, gewaltigen Impuls bekommen, hinaufzusteigen wiederum in die geistige Welt. Aber dieser Impuls wirkt doch, noch bis in unsere Zeit hinein, sozusagen als ein Impuls, der gerade nur die geeigneten Seelen in seiner wahren Gestalt ergriffen hat. Dagegen die Menschheit als solche setzte zunächst, wie um das Maß dessen, was überwunden werden soll, voll zu machen, den Weg fort, herunter immer tiefer und tiefer in das materielle Dasein. Es ist ja des Menschen Dasein ein Heruntersteigen in die Materie…
Diejenigen, welche an diese äußere Wissenschaft, die uns heute auch den historischen Christus hinwegdiskutieren will, glauben wollen, die werden ja unbelehrbar sein. Aber es muß doch einige Menschen geben, die aus dem Impuls der Anthroposophie heraus einiges verstehen, wie äußere Wissenschaft auf allen Gebieten sich selber auflöst, und wie allein spirituelles Leben in der Zukunft der Menschheit zum Heile gereichen kann…
Damals gab es auch noch kein Christgeburtstagsfest. Aber gerade die Entstehung dieses Christgeburtstagsfestes kann uns zeigen, wie wir auch heute noch ein volles Recht haben, zu sagen: Das Christentum ist nicht mit diesem oder jenem Dogma, mit dieser oder jener Einrichtung einmal da, und diese Einrichtungen und diese Dogmen haben sich nur fortzupflanzen von Geschlecht zu Geschlecht -, sondern wir haben ein Recht, uns zu berufen auf Christi Ausspruch, daß er bei uns ist, daß er uns mit seinem Geiste erfüllt alle Tage…
…sind wir berufen, nicht ein totes, starres Christentum fortzupflanzen, sondern ein immer neues Christentum, das immer neue Weistümer und Erkenntnisse hervortreibt aus sich selber, in die Zukunft hinein zu entwickeln. Niemals sprechen wir von dem gewesenen Christus, sondern immer von dem ewig lebendigen Christus…
So ist denn das Weihnachtsfest erst eine Einrichtung des 4. christlichen Jahrhunderts. Wir können sagen, im Jahre 354 wurde in Rom die erste christliche Weihnacht gefeiert…
Wir sehen dann auf jenes äußere Symbolum, das wir als den Weihnachtsbaum vor uns stehen haben, und dürfen uns sagen: Er sei uns ein Symbolum für das, was in unseren Seelen leuchten und brennen soll, um uns hinaufzutragen in die geistige Welt!…
…wenn wir hören, daß die ersten Nachrichten von einem Weihnachtsbaum, der in einer deutschen Stube gestanden habe, aus dem Elsaß stammen, und zwar aus Straßburg -1642…
…das wir an jedem Abend haben können: Ich gehe nicht bloß in die Bewußtlosigkeit, sondern ich tauche ein in die Welt, wo die Wesen des Ewigen sind, denen meine eigene Wesenheit angehören soll. Ich schlafe ein mit dem Gefühl: Hinein in die geistige Welt! – und ich erwache mit dem Gefühl: Heraus aus dem Geist! – dann durchdringen wir uns mit jenem Gefühl, in das sich verwandeln soll das Wort des Geistes, das wir hier in einem der spirituellen Erkenntnis gewidmeten Leben aufgenommen haben, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Dann wird der Geist in uns Leben, dann wachen wir anders auf und schlafen anders ein…
Wenn das äußere Leben für die äußeren Sinne nach und nach unsichtbar wird, wenn die Herbsteswehmut in unsere Seele schleicht, folgt die Seele dem Geiste in das tote Gestein, um daraus herauszuziehen jene Kräfte, die im Frühling die Erde mit neuen Sinnesorganen für den Weltengeist bedecken…
Und wir ahnen dann in dem Symbolum die Wirklichkeit, wir ahnen dasselbe, was Johannes Tauler zum Beispiel meint, wenn er davon spricht, daß der Christus dreimal geboren wird: einmal von dem ewigen Vatergott, der die Welt durchwebt und durchlebt, einmal als Mensch zur Zeit der Begründung des Christentums, und dann immer wieder und wieder in den Seelen derer, die das geistige Wort in sich zur Erweckung bringen. Ohne diese letzte Geburt wäre das Christentum nicht vollständig…
…zur Weihnachtszeit sollen wir Anthroposophen Weihnachtsstimmung dadurch entwickeln, daß wir das, was wir das ganze Jahr hindurch in uns aufnehmen, in unserer Seele selber von tieferen Gefühlen durchleuchtet sein lassen so, daß es ganz Kraft wird, und daß wir fühlen können: wir wissen nicht nur etwas von der anthroposophischen Weisheit, sondern sie dringt in unsere Seele, in unser Herz, so daß sie eine lichtdurchdrungene Wärmekraft ist, die uns befähigt, auf allen Gebieten des Lebens, wo immer wir stehen mögen, in dem kommenden Jahr unsere Pflicht zu erfüllen…
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DER WEIHNACHTSBAUM – EIN SYMBOLUM Berlin, 21. Dezember 1909
An diesem Tage, der uns das Fest der Weihnacht darstellen soll, ist es wohl angemessen, ein wenig unsere sonstigen Gepflogenheiten dahin zu ändern, daß wir absehen von dem Suchen nach Erkenntnis und nach Wahrheit und statt dessen Einkehr halten in jene Gefühls- und Empfindungswelt, welche auferweckt werden soll durch jenes Licht, das wir aus der Geisteswissenschaft heraus erhalten.

Jenes Fest, das nun wieder herannaht und das unzähligen Menschen ein Fest der Beseligung im schönsten Sinne des Wortes ist, es ist in dem Sinne, wie es aufgefaßt werden muß durch unsere anthroposo-phische Weltanschauung, noch nicht ein sehr altes Fest. Was man die christliche Weihnacht nennt, war nicht sogleich da, als das Christentum in die Welt eingezogen ist. Die ersten Christen hatten ein solches Weihnachtsfest noch nicht. Sie feierten nicht die Geburt des Christus Jesus. Und es vergingen fast drei Jahrhunderte, bevor das Geburtsfest des Christus Jesus innerhalb der Christenheit gefeiert worden ist.

In den ersten Jahrhunderten, als das Christentum sich durch die Welt verbreitete, da war es entsprechend den Empfindungen und Gefühlen in den Seelen derer, welche den Christus-Impuls gefühlt hatten, daß sich diese Menschen recht sehr zurückzogen von dem in der damaligen Zeit statthabenden äußeren Leben, wie es sich seit alten Zeiten heraufverpflanzt hatte und wie es zur Zeit des Christus-Impulses geworden war. Denn als eine dunkle Ahnung stieg es in den Seelen der ersten Christen auf, daß sie entstehen lassen sollten den Impuls zu einer Neugestaltung der Erdendinge, zu einer solchen Gestaltung der Erdendinge, welche durchzogen ist gegenüber dem Früheren von neuen Empfindungen, neuen Gefühlen, vor allem aber von einer neuen Hoffnung und einer neuen Zuversicht für die Menschheitsentwickelung. Und was dann heraustreten sollte auf den Horizont des großen Weltendaseins, das sollte seinen Ausgangspunkt nehmen wie ein geistiger Keim – wir können sagen «buchstäblich» – im Innern der Erde.

Wir haben uns ja schon öfter im Geiste versetzt in die römischen Katakomben, wo abgeschlossen von dem damaligen Leben die ersten Christen feierten die Feier ihrer Herzen und die Feier ihrer Seelen. Wir haben uns im Geiste hineinversetzt in diese Andachtsstätten. Da wurden zuerst nicht Geburtsfeste gefeiert; höchstens waren es die Sonntagsfeste jeder Woche, um jede Woche einmal zu gedenken des großen Ereignisses von Golgatha. Und außerdem wurden noch gefeiert in den ersten Jahrhunderten die Totenfeiern derjenigen, die mit besonderer Begeisterung, mit tiefem Gefühl von diesem Ereignis von Golgatha gesprochen hatten, und die in bedeutungsvoller Weise eingegriffen hatten in den Gang der Menschheitsentwickelung, so daß sie verfolgt wurden von der altgewordenen Welt. Die Todestage der Märtyrer, da diese Märtyrer eingezogen waren in das Geistesleben, wurden in den ersten Jahrhunderten als die Geburtstage der Menschheit von den ersten Christen gefeiert.

Damals gab es auch noch kein Christgeburtstagsfest. Aber gerade die Entstehung dieses Christgeburtstagsfestes kann uns zeigen, wie wir auch heute noch ein volles Recht haben, zu sagen:
Das Christentum ist nicht mit diesem oder jenem Dogma, mit dieser oder jener Einrichtung einmal da, und diese Einrichtungen und diese Dogmen haben sich nur fortzupflanzen von Geschlecht zu Geschlecht -, sondern wir haben ein Recht, uns zu berufen auf Christi Ausspruch, daß er bei uns ist, daß er uns mit seinem Geiste erfüllt alle Tage. Wenn wir diesen Geist bei uns erfüllt fühlen, so dürfen wir uns berufen halten zu einer stetigen und nimmer aufhörenden Fortentwickelung des christlichen Geistes. Und gerade durch die anthroposophische Geistesentwickelung sind wir berufen, nicht ein totes, starres Christentum fortzupflanzen, sondern ein immer neues Christentum, das immer neue Weistümer und Erkenntnisse hervortreibt aus sich selber, in die Zukunft hinein zu entwickeln.
Niemals sprechen wir von dem gewesenen Christus, sondern immer von dem ewig lebendigen Christus. Und wir dürfen uns an den ewig lebendigen, den ewig wirksamen Christus, an den in uns arbeitenden Christus insbesondere dann erinnern, da wir sprechen von dem Geburtsfest des Christus Jesus. Schon in den ersten Jahrhunderten fühlten es die Christen, daß sie
durften Neues einprägen dem Organismus der christlichen Entwicke-lung, daß sie hinzufügen durften dasjenige, was ihnen aus dem Geiste Christi wirklich zuströmt.

So ist denn das Weihnachtsfest erst eine Einrichtung des 4. christlichen Jahrhunderts. Wir können sagen, im Jahre 354 wurde in Rom die erste christliche Weihnacht gefeiert. Und es zeigt sich uns insbesondere, daß in einer weniger kritischen Zeit als die unsrige es ist, die Bekenner des Christentums durchdrungen waren von der richtig ahnenden Erkenntnis, daß sie dem großen christlichen Lebensbaum immer neue Früchte entlocken sollten. Deshalb dürfen wir vielleicht dabei auch gedenken eines äußeren Symbols der Weihnacht, des Symbols des Weihnachtsbaumes, das wir hier vor uns haben, das unzählige Menschen in den nächsten Tagen vor sich haben werden und welches die Geisteswissenschaft berufen ist, immer tiefer und tiefer in seiner besonderen Bedeutung den Herzen und Seelen der Menschen einzuprägen.

Wir könnten fast mit der Zeitentwickelung in Widerspruch kommen, wenn wir uns gerade an dieses Symbolum hielten. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß dieses Symbolum ein altes sei.
Es könnte ja leicht in der Seele des heutigen Menschen der Glaube entstehen, der poetische Tannenbaum in der Weihnacht sei eine uralte Einrichtung. Es gibt ein Bild, welches darstellt den Weihnachtsbaum in der Familienstube Luthers. Dieses Bild, das natürlich erst im 19. Jahrhundert gemalt worden ist, stellt etwas durchaus Falsches dar, denn im weiten Umkreis der deutschen Lande wie auch in den andern Gegenden Europas gab es einen solchen Weihnachtsbaum zu Luthers Zeit noch nicht. Er ist erst ein späteres Symbolum. Gerade dieser Weihnachtsbaum zeigt uns vielleicht etwas ganz Merkwürdiges. Können wir nicht vielleicht auch so sagen, daß der Weihnachtsbaum heute etwas ist, was in dem Sinne als zukunftverheißend aufgefaßt werden könnte, daß die Menschen immer mehr in diesem Weihnachtsbaum sehen könnten, vielleicht nach und nach sehen könnten ein Sinnbild für etwas außerordentlich Bedeutungsvolles und Wichtiges?

Da dürfen wir die Blicke auf diesen Weihnachtsbaum richten, wenn wir uns keiner Illusion in bezug auf sein historisches Alter hingeben und dürfen uns dabei in gewisser Weise in Erinnerung rufen, was uns schon öfter vor die Seele getreten ist, die sogenannte Heilige Legende. Sie erzählt uns: Als Adam aus dem Paradiese vertrieben worden war -die Legende erzählt es in der mannigfaltigsten Weise, wir wollen es jetzt nur so kurz als möglich wiedergeben -, da habe er mitgenommen drei Samenkörner von dem Baume des Lebens, wovon die Menschen nicht essen sollten, nachdem sie von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen hatten. Als Adam dann gestorben war, nahm Seth diese drei Samenkörner und senkte sie in Adams Grab, und daraus wuchs aus dem Grabe Adams heraus ein Baum. Aus dem Holze dieses Baumes – so erzählt die Legende – ist mancherlei gebildet worden: Moses habe aus diesem Holze seinen Stab gebildet, und später sei aus diesem Baume auch das Holz genommen worden zu dem Kreuze von Golgatha.

So erinnert uns eine Legende in bedeutsamer Weise an jenen Paradiesesbaum, der als der zweite dastand: Die Menschen hatten genossen von dem Baume der Erkenntnis, entzogen wurde ihnen der Genuß vom Baume des Lebens. Aber es blieb in den Herzen der Menschen immerdar eine Sehnsucht, ein Trieb nach jenem Baum. Hinaus-, getrieben aus den geistigen Welten, die mit dem «Paradiese» bezeichnet werden, in die äußere Erscheinungswelt, fühlten die Menschen in ihren Herzen den Trieb hin zu dem Baume des Lebens. Was sie nicht haben durften ohne ihr Verdienst, ohne ihre Entwickelung, das sollten sie sich dadurch erringen, daß sie sich nach und nach mit Hilfe der Erkenntnis Verdienste erwarben, daß sie nach und nach durch ihre Arbeit auf dem physischen Plan sich reif und fähig machten, die Früchte des Baumes des Lebens zu empfangen.
Jene drei Samenkörner repräsentieren uns die Sehnsucht nach den Früchten des Baumes des Lebens. Die Legende erzählt uns, daß in dem Holze des Kreuzes dasjenige enthalten war, was aus dem Baume des Lebens stammte. Und man hat ein Bewußtsein dafür gehabt durch die ganze Entwickelung hindurch, daß das dürre Kreuzesholz dennoch den Keim des neuen geistigen Lebens enthält, daß daraus hervorwachsen soll dasjenige, was die Menschen, wenn sie es in der richtigen Weise genießen, mit ihrer Seele vereinigen können als die Frucht vom Baum des Lebens, als die Frucht, die ihnen Unsterblichkeit gibt im wahren Sinne des Wortes, die ihnen das Licht der Seele anzündet und die Seele so erleuchtet, daß sie den Weg findet aus den dunklen Tiefen der physischen Welt in die lichten Höhen des geistigen Daseins und sich dort fühlt als Angehörige eines unsterblichen Lebens.
Ohne daß wir uns einer Illusion hingeben, dürfen wir – wenn auch nicht als Historiker, so doch als fühlende Menschen – in dem Baume, der als Weihnachtsbaum vor uns steht, etwas fühlen wie ein Symbolum jenes Lichtes, das im Inneren unserer Seele aufgehen soll, damit es uns die Unsterblichkeit im geistigen Dasein erwerbe.

Wir blicken in unser Inneres, und wir fühlen uns durch die anthroposophische Geistesströmung durchdrungen von jener Kraft, die uns in die geistige Welt hinaufblicken läßt. Wir sehen dann auf jenes äußere Symbolum, das wir als den Weihnachtsbaum vor uns stehen haben, und dürfen uns sagen: Er sei uns ein Symbolum für das, was in unseren Seelen leuchten und brennen soll, um uns hinaufzutragen in die geistige Welt!

Dieser Baum ist sozusagen auch entsprossen wie aus dunklen Tiefen. Nur jene Menschen mögen eine solche unhistorische Anschauungsweise tadeln, wie sie eben gekennzeichnet worden ist, die nicht wissen, daß dasjenige, dessen äußere Gründe physisches Erkennen nicht einsieht, dennoch seine tieferen geistigen Gründe hat. Dem äußeren Auge mag es sich entziehen, wie dieser Weihnachtsbaum sich merkwürdig hineinschleicht in das äußere menschliche Leben. Er hat sich in verhältnismäßig kurzer Zeit als ein beseligender Brauch eingeführt in den allgemeinen Weltenverkehr.
Äußerlich mag es sich dem Auge entziehen; aber wer da weiß, daß alle äußeren Ereignisse Abdrücke eines geistigen Werdeganges sind, der muß fühlen, daß auch vielleicht ein besonderer tieferer Grund im äußeren physischen Plan vorlag für das Auftreten des Weihnachtsbaumes: daß das Auftreten des Weihnachtsbaumes herausgekommen ist wie aus einem tiefen geistigen Impuls, der unsichtbar die Menschen führt und vielleicht sogar unfühlbar einzelnen recht empfindenden Seelen die Inspiration eingegeben hat, das innere Licht, das in der Welt leuchten soll, in dem wunderschönen Weihnachtsbaum zum äußeren Ausdruck zu bringen. Und wenn ein solches Wissen zur Weisheit erwacht, dann kann dieser Baum durch unseren Willen ein äußeres Symbolum auch für das Höchste werden.

Soll Anthroposophie Weisheit sein, so darf sie tätige Weisheit sein und weisheitsvoll durchdringen, das heißt, vergolden die äußeren Eindrücke und Gebräuche. So darf vielleicht Anthroposophie, indem sie nach und nach erwärmend und erleuchtend sich ausbreitet über die Herzen und Seelen der Menschen der Gegenwart und der Zukunft, auch den so materialistisch gewordenen äußerlichen Gebrauch des Weihnachtsbaumes vergolden, mit ihrer Weisheit durchdringen, und mag ihn zu einem wichtigsten Symbolum machen, nachdem er wie aus dunklen Untergründen der Seele im Laufe der allerletzten Zeiten in das Erdenleben seinen Einzug gehalten hat. Und wenn wir dennoch vielleicht etwas tiefer schürfen und voraussetzen, daß eine tiefere geistige Leitung die Impulse gelegt hat in die menschlichen Herzen, erweist es sich uns auch nicht ganz ohne Grund, wenn die Menschen die Gedanken, die ihnen von einer geistigen Leitung eingegeben sind, ausleben in tieferen Empfindungen an dem brennenden Baum.

Es ist ja ein alter Gebrauch auch schon in den verschiedensten Ländern Europas gewesen, daß man die ganzen Wochen vor dem Weihnachtsfest gesucht hat nach allerlei Baumsprossen, nach allerlei Sträuchern, die meistens Laubpflanzen entnommen waren, welche in der Christnacht zum Aufbrechen oder wenigstens zum Sprossentreiben gebracht werden konnten. Und in gar mancher Seele entstand etwas von der Ahnung des niemals besiegbaren Lebens, jenes Lebens, das Sieger sein soll über allen Tod, wenn in der Christweihnacht die sorgfältig gesammelten Sprossen oder Zweige der Bäume in der Stube feierlich standen und künstlich in der Nacht des tiefsten Sonnenstandes zum Aufbrechen gebracht worden sind. Das war ein alter Gebrauch. Aber der Weihnachtsbaum selber ist jüngeren Datums. Wo haben wir den Gebrauch des Weihnachtsbaumes zuerst zu suchen?

Wir wissen von der eindringlichen Sprache, die unsere großen deutschen Mystiker geführt haben, insbesondere von Johannes Tauler, der im Elsaß gewirkt hat. Wer die Predigten Johannes Taulers mit ihrer tiefen Innerlichkeit, mit ihrem unendlichen Gefühlswert auf sich wirken läßt, der wird sich sagen, daß dazumal im Elsaß, als Tauler
die Vertiefung und Vergeistigung, sogar die Verherzlichung des Christentumes anstrebte, ein ganz besonderer Geist umging, der überall die Seele suchte, die erfüllt war von dem Mysterium von Golgatha. Als Tauler seine Predigten zu Straßburg gehalten hat, da haben sich seine eindringlichen Feuerworte tief in die Seelen hinein versenkt, und mancher bleibende Eindruck mag manchmal in den Seelen der Menschen ersprossen sein. Mancher Eindruck mag von dem gekommen sein, was Johannes Tauler auch oft in seinen wunderschönen Weihnachtspredigten gesagt hat.
Dreimal, so sagte er, wird der Gott für die Menschen geboren: zuerst, indem er abstammt von dem Vater, von dem großen Weltenall; dann, indem er zu den Menschen heruntergedrungen ist und menschliche Hüllen angenommen hat, und zum drittenmal wird der Christus in jeder menschlichen Seele geboren, die in sich selber die Möglichkeit findet, dasjenige, was Gottesweisheit ist, mit sich zu vereinigen und in sich einen höheren Menschen zu gebären.

In allen möglichen schönen, feierlichen Wendungen sprach Johannes Tauler gerade in der Gegend von Straßburg die tiefste Weisheit aus, insbesondere am Weihnachtstage. Gerade eine solche tiefe Weisheit mag sich in die Seelen gesenkt haben, und sie mag geblieben sein und nachgewirkt haben. Auch die Gefühle haben ihre Traditionen. Von Jahrhundert zu Jahrhundert mag nachgewirkt haben, was dazumal in die Seelen gesenkt worden ist. So mag das Gefühl, das sich dazumal in die Menschenseelen gesenkt hat, es mag wie alle wirklichen, vom Geist durchdrungenen Gefühle sich gedrängt haben in Auge und Hand, mag dem Auge das Gefühl eingegeben haben, auch im äußeren Sinnbild zu schauen die Auferstehung, die Geburt des menschlichen Geisteslichtes. Deshalb ist es vielleicht für das materialistische Denken ein schöner Zufall, aber für den, der weiß, wie die geistige Führung durch alles Physische durchgeht, ist es mehr als ein bloßer Zufall, wenn wir hören, daß die ersten Nachrichten von einem Weihnachtsbaum, der in einer deutschen Stube gestanden habe, aus dem Elsaß stammen, und zwar aus Straßburg. 1642 haben wir die allererste Nachricht darüber, daß ein solcher Weihnachtsbaum in einem Hause gestanden habe zur inneren Beseligung derer, die an
einem äußeren Sinnbild sehen wollten das Licht, das in uns selber erweckt werden soll durch die Aufnahme der geistigen Weisheit.

Wie die deutsche Mystik von jenem Christentum, das an den äußeren Formen klebt, schlimm aufgenommen ist, das sehen wir zum Beispiel an Meister Eckhart, dem großen Vorgänger Johannes Taulers: er wurde noch nach dem Tode zum Ketzer erklärt, nachdem man vergessen hatte, es bei seinen Lebzeiten zu tun. Und die Feuerworte Johannes Taulers, die aus einem wirklichen christerfüllten Herzen hervorgegangen sind, fanden auch wenig Anerkennung. Wie jenes äußere Christentum, das nicht an den wirklichen Geist glaubt, zu der Vertiefung des Christentums durch Meister Eckhart, Johannes Tauler und so weiter sich gestellt hat, das sehen wir daraus, daß uns die erste Nachricht vom Weihnachtsbaum verkündet wird von einem geistigen Gegner. Der Betreffende meinte, das wäre ein Kinderspiel; die Leute sollten lieber dahin gehen, wo sie hörten, wie ihnen die richtige Lehre verkündet wird.

Langsam hat sich zunächst dieser Weihnachtsbaum verbreitet. Wir sehen ihn in Mitteldeutschland auftreten um die Mitte des 18. Jahrhunderts, aber auch da nur an einzelnen Orten. Erst gegen das 19. Jahrhundert zu wird der Weihnachtsbaum dieser immer häufigere geistige Schmuck der Weihnacht, ein neueres Symbolum für etwas, was durch Jahrhunderte hindurch gelebt hat. Bei denjenigen, welche so recht fühlen konnten alle Dinge im Glänze, nicht des Wortchristentums, sondern im Glänze des echten geistigen Christentums, bei denen war es immer so, daß der Weihnachtsbaum auslösen konnte schöne menschliche Gefühle. Und Sie werden es ohne weiteres glauben, daß der Weihnachtsbaum so jungen Datums ist, wenn Sie sich vor die Seele führen, daß die größten deutschen Dichter kein Gedicht geschrieben haben über den Weihnachtsbaum. Wäre er schon früher dagewesen, so würde ein Klopstock zum Beispiel sich gewiß über dieses Symbolum haben dichterisch vernehmen lassen.
Daher sei uns auch dieser Weihnachtsbaum eine Bürgschaft dafür, daß Symbole für das Höchste und das Größte neu erstehen können. Und diese Symbole können uns besonders dann vor die Seele treten, wenn wir fühlen die geistige Wahrheit von der Auferweckung des Ich in der Menschenseele, jenes Ich, das die geistigen Bande fühlt von Seele zu Seele, und sie besonders dann recht fühlt, wenn edle Menschen zusammen wirken.

Nur ein Beispiel sei erwähnt, an dem wir sehen können, wie in die Seele eines großen Menschheitsführers das Licht des Weihnachtsbaumes hineingeleuchtet hat. Im Jahre 1822 war es, daß Goethe, dem wir so oft schon da begegneten, wo wir das Geistesleben im Lichte der Anthroposophie betrachteten, beim Abschlüsse seines «Faust» so recht fühlte, wie die christlichen Symbole die einzig möglichen waren, um seine poetischen Intentionen darzustellen. Und er fühlte auch so recht, wie das Christentum die edelsten Bande schlingen muß von Menschenseele zu Menschenseele, wie es jene Bande der Bruderliebe zu begründen hat, die nicht an das Blut, sondern die an die Seele gebunden sind, die an den Geist gefügt sind. Wir fühlen, was in dem Christentum noch als Impuls liegt, wenn wir an den Schluß der Evangelien denken. Vom Kreuz von Golgatha herab sieht der Christus Jesus die Mutter, sieht den Sohn, und da stiftet er jene Gemeinschaft, die vorher nur durch das Blut gestiftet worden ist. Ein Sohn wurde der Mutter, eine Mutter wurde dem Sohn vorher nur durch das Blut gegeben. Die Blutsbande sollen nicht durch das Christentum aufgehoben werden. Bleiben sollen die Blutsbande. Aber die geistigen Bande sollen hinzukommen, welche die Blutsbande überstrahlen mit geistigem Lichte. Daher sprach der Christus Jesus vom Kreuz herab die Worte: «Weib, siehe, das ist dein Sohn!», und zu dem Jünger: «Siehe, das ist deine Mutter!» Was früher nur die Blutsbande gestiftet haben, das wird vom Kreuz herab gestiftet durch geistige Bande.

Wo der Geist in edler geistiger Gemeinschaft lebt, da fühlte sich auch Goethe immerdar gedrängt, hinzublicken zum echten christlichen Geist. Für ihn war es auch ein Bedürfnis, diesen christlichen Geist vom Herzen in die Augen dringen zu lassen. 1822 hatte er einen besonderen Anlaß dazu. Die Menschen jenes Fürstentums, dem Goethe so viel seiner Kraft gewidmet hat, hatten sich zusammengetan, um eine höhere Bürgerschule zu begründen. Es war gleichsam ein Geschenk, das dem Fürsten von Weimar gemacht wurde.
Goethe hat nicht besser gewußt diesen kleinen Impuls des geistigen Fortschrittes zu feiern, als daß er vor dem Weihnachtsfest eine Anzahl von Menschen aufrief, diesen Fortschritt des Geistes in einzelnen Dichtungen zu feiern, wie sie es nach ihrem Können imstande waren. Dann sammelte er diese aus dem Volke entsprungenen Dichtungen, gab ihnen selber eine poetische Vorrede, und der spätere Großherzog Karl Alexander, der damals ein dreijähriger Knabe war, mußte das Büchlein dem Fürsten Karl August unter dem Weihnachtsbaum überreichen. Denn der Weihnachtsbaum war 1822 bereits ein ständiges Symbolum.
Goethe hat mit dieser kleinen Tat angezeigt, daß ihm der Weihnachtsbaum ein Symbolum ist für das Fühlen und Empfinden des geistigen Fortschrittes im Kleinen und im Großen. Und in der poetischen Vorrede, die er diesem kleinen Büchlein gegeben hat, das heute noch in der Bibliothek zu Weimar vorhanden ist, hat Goethe den Weihnachtsbaum als dieses Symbol besungen mit den Worten:
Bäume leuchtend, Bäume blendend, Überall das Süße spendend, In dem Glänze sich bewegend, Alt- und junges Herz erregend -Solch ein Fest ist uns bescheret, Mancher Gaben Schmuck verehret; Staunend schaun wir auf und nieder, Hin und her und immer wieder.
Aber, Fürst, wenn dir’s begegnet Und ein Abend so dich segnet, Daß als Lichter, daß als Flammen Vor dir glänzten allzusammen Alles, was du ausgerichtet, Alle, die sich dir verpflichtet: Mit erhöhten Geistesblicken Fühltest herrliches Entzücken.

Wir dürfen dieses Gedicht unseres Goethe sozusagen mit unter die ersten Weihnachtsdichtungen zählen. Wenn wir auf dem Felde der Geisteswissenschaft von Sinnbildern reden, dürfen wir auch davon sprechen, daß Sinnbilder, die wie unbewußt oder unterbewußt heraufdringen in die Seelen der Menschen, hineintreten in den Lauf der Zeit, vergoldet, mit Weisheit umkleidet werden dürfen.

So sehen wir im 4. Jahrhundert erst die christliche Weihnacht entstehen, sehen, wie sie dazumal zuerst in Rom gefeiert wurde. Und fast wiederum wie eine Schickung muß es angesehen werden, daß in ein uraltes Fest hinein – nicht auf äußerliche materialistische Weise, sondern durch eine geheimnisvolle Schickung – das Weihnachtsfest hineingeschoben wird für die Gegenden Mittel- und Nordeuropas in eine Zeit hinein, wo seit alters her der tiefste Sonnenstand gefeiert wurde : das Wintersonnenfest. Man darf nicht glauben, daß etwa das Weihnachtsfest in Mittel- und Nordeuropa in dieses Fest, in diese Zeit verlegt worden wäre, weil man das alte Fest hätte umwandeln wollen in das Weihnachtsfest, sozusagen um die Völker zu versöhnen. Das Weihnachtsfest wurde rein herausgeboren aus dem Christentum. Gerade durch die Aufnahme des Weihnachtsfestes in den nordischen Gegenden hat sich gezeigt die tiefe geistige Verwandtschaft dieser Völker und ihrer Sinnbilder zu dem Christentum. Während zum Beispiel in Armenien das Weihnachtsfest gar nicht als Gebrauch aufgenommen wurde, und selbst in Palästina die Christen sich lange dagegen ablehnend verhalten haben, hat es sich in Europa schnell eingebürgert.

Versuchen wir, durch die anthroposophische Betrachtung das Weihnachtsfest selber richtig zu verstehen, um den Weihnachtsbaum als ein Sinnbild aufzufassen. Das Jahr hindurch, wenn wir hier zusammen sind, lassen wir aus den geistigen Quellen heraus zu uns dringen diejenigen Worte, die nicht bloß Worte, sondern Kraft sein sollen, die in unserer Seele immer mehr und mehr wirksam sein sollen, damit die Seele zu einem Bürger der Ewigkeit werden kann. Das ganze Jahr versammeln wir uns, um diese Worte, diesen Logos in der mannigfaltigsten Weise in diesem Raum ertönen zu lassen: daß der Christus immerfort bei uns ist und daß, wenn wir zusammen sind, der Geist des Christus hineinwirkt, so daß unsere Worte durchdrungen werden von dem Geiste des Christus.
Wenn wir die Dinge nur aussprechen mit dem Bewußtsein, daß das Wort ein Flügelträger ist für die Offenbarungen des Geistes an die Menschheit, dann lassen wir einfließen in unsere Seele dasjenige, was das Wort des Geistes ist. Aber wir wissen, daß das Wort des Geistes nicht von uns ganz ergriffen wird, nicht uns alles sein kann, was es sein soll, wenn wir es bloß in äußerlich-abstrakter Form als Erkenntnis aufnehmen. Wir wissen, daß es erst das sein kann, was es sein soll, wenn es jene innerliche Wärme erzeugt, wodurch sich die Seele ausdehnt und fühlt, sich ausdehnt durch innere Wärme, und endlich, sich ergießend in alle Erscheinungen des Weltendaseins, sich eins fühlen lernt mit demjenigen Geiste, der über alle Erscheinungen ausgegossen ist.

Fühlen wir, daß in uns Kraft, Leben werden muß, was als Geisteswort an unser Ohr dringt, indem wir, wenn die Zeit dazu da ist, das Symbolum vor uns hinstellen, das uns bekräftigend in die Seele rufen kann: Lasse in dir erstehen als ein Neues, als den Geistesmenschen, dasjenige, was als Wärme entzünden, als Licht erleuchten kann das Wort, das aus geistigen Quellen, aus geistigen Untergründen zu uns kommt -, dann fühlen wir auch, daß es eine Bedeutung hat, was da als Geisteswort zu uns tönt. Fühlen wir in einem solchen Augenblick, wie es der heutige ist, einmal ernsthaft, was die Geisteswissenschaft an solchem Seelenlicht und solcher Seelenwärme uns geben kann! Fühlen wir es etwa in der folgenden Weise:
Schauen wir uns die heutige materialistische Welt an mit ihrem Getriebe, wie die Menschen hasten und treiben vom Morgen bis zum Abend, und wie sie alles beurteilen im Sinne des materialistischen Nutzens, nach dem Maßstabe des äußeren physischen Planes, wie sie gar nicht ahnen, daß hinter allem der Geist lebt und webt. Die Menschen schlafen des Abends ein, ahnungslos gegenüber etwas anderem, als daß sie glauben, sie seien eben ohne Bewußtsein, und daß sie morgens wiederum aufwachen in das Bewußtsein des physischen Planes hinein. Ahnungslos schläft der Mensch ein, nachdem er am Tage gehastet und gearbeitet hat, ohne sich aufzuklären über den Sinn des Lebens. Wenn der nach spiritueller Erkenntnis Strebende aufgenommen hat die Worte des Geistes, dann weiß er etwas, was nicht bloß Theorie und Lehre ist. Er weiß etwas, was ihm Seelenlicht und Seelenwärme gibt, er weiß: Würdest du am Tage nur aufnehmen die Vorstellungen des physischen Lebens, du würdest vertrocknen.

Öde wäre dein ganzes Leben, ersterben würde alles, was du gewinnst, wenn du nur die Vorstellungen des physischen Planes hättest. Wenn du dich abends zum Schlummer hinlegst, gehst du hinein in eine Welt des Geistes, tauchst unter mit allen deinen Seelenkräften in eine Welt von höheren geistigen Wesenheiten, zu denen du mit deinem Sein hinaufwachsen sollst. Und indem du morgens aufwachst, kommst du neu gestärkt heraus aus einer geistigen Welt und gießest über das, was du aus dem physischen Plan empfängst, göttlich-geistiges Leben aus, ob bewußt oder unbewußt. Aus dem Ewigen verjüngst du selber das Zeitliche deines Daseins an jedem Morgen.

Wenn wir das Wort des Geistes so verwandeln in das Gefühl, das wir an jedem Abend haben können: Ich gehe nicht bloß in die Bewußtlosigkeit, sondern ich tauche ein in die Welt, wo die Wesen des Ewigen sind, denen meine eigene Wesenheit angehören soll. Ich schlafe ein mit dem Gefühl: Hinein in die geistige Welt! – und ich erwache mit dem Gefühl: Heraus aus dem Geist! – dann durchdringen wir uns mit jenem Gefühl, in das sich verwandeln soll das Wort des Geistes, das wir hier in einem der spirituellen Erkenntnis gewidmeten Leben aufgenommen haben, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche. Dann wird der Geist in uns Leben, dann wachen wir anders auf und schlafen anders ein.

Fühlen wir uns verbunden mit dem Geiste des Weltenalls, fühlen wir uns als Missionare des Weltengeistes an jedem Morgen, fühlen wir uns nach und nach verbunden mit dem, was als Weltengeist alles äußere Sein durchsetzt und durchwebt, dann fühlen wir auch, wenn die Sonne im Sommer hochsteht und ihre lebenspendenden Strahlen der Erde zusendet, wie der Geist wirkt auf äußerliche Art und wie er, weil er uns sein Antlitz, sein äußerliches Antlitz in den äußeren Sonnenstrahlen zusendet, seine innere Wesenheit gleichsam zurücktreten läßt.

Wo sehen wir diesen Geist des Weltenalls, den schon Zarathustra in der Sonne verkündet hat, wenn uns nur die äußeren physischen Sonnenstrahlen entgegenstrahlen? Wir sehen diesen Geist des Weltenalls, wenn wir erkennen können, wo er sich selber sieht. Wahrhaftig, dieser Geist des Weltenalls schafft sich seine Sinnesorgane, durch die er sich sehen kann während des Sommers.
Äußere Sinnesorgane schafft er sich. Lernen wir verstehen, was als grüne Pflanzendecke vom Frühling an die Erde bedeckt, die Erde mit einem neuen Antlitz bekleidet! Was ist das? Spiegel für den Weltengeist der Sonne. Wenn die Sonne uns ihre physischen Strahlen zusendet, schaut der Weltengeist zur Erde hernieder. Was da an Prlanzenwachstum, an Blüten und Blättern herausquillt, nichts anderes ist es als die Ebenbildlichkeit des reinen, keuschen Weltengeistes, der sich selber gespiegelt sieht in seinem Werke, das er hervorsprießen läßt aus der Erde. Sinnesorgane des Weltengeistes sind enthalten in der Pflanzendecke.

Wir sehen dann, wenn die Pflanzendecke zum Herbst verschwindet, wie die äußere Kraft der Sonne sich verringert, wie das Antlitz des Weltengeistes sich zurückzieht. Sind wir vorbereitet in der rechten Weise, so fühlen wir den Geist, der durch das Weltenall pulst, in uns selber. Dann können wir jetzt dem Weltengeist auch folgen, wenn er sich dem äußeren Anblick entzieht. Dann fühlen wir, wenn unsere Augen nicht ruhen können auf der Pflanzendecke, wie der Geist in dem Maße in uns erwacht, als er sich aus den äußeren Welterscheinungen zurückzieht. Und der erwachende Geist wird uns ein Führer für die Tiefen, in die sich das Geistesleben zurückzieht, da hinein, wo wir dem Geiste übergeben die Keime für den nächsten Frühling. Da lernen wir mit unserem geistigen Blick schauen und uns sagen: Wenn das äußere Leben für die äußeren Sinne nach und nach unsichtbar wird, wenn die Herbsteswehmut in unsere Seele schleicht, folgt die Seele dem Geiste in das tote Gestein, um daraus herauszuziehen jene Kräfte, die im Frühling die Erde mit neuen Sinnesorganen für den Weltengeist bedecken.

So fühlten diejenigen Menschen, die den Geist im Geiste erfaßten, ihr Mitgehen mit dem Weltengeist, ihr Mitgehen mit dem Samenkorn hinunter im Winter. Wenn die äußere Sonne am wenigsten Kraft hat, am wenigsten leuchtet, wenn die äußere Finsternis am stärksten ist, fühlt sich der Geist in uns durch den Geist aus dem Weltenall, mit dem er sich verbunden hat, unten verbunden hat, mit jenen Kräften vereinigt, die am deutlichsten wahrnehmbar und sichtbar werden, indem sie das Samenkorn einem neuen Dasein zuführen.

So leben wir uns gleichsam mit der Kraft des Samens wörtlich in die Erde hinein, durchdringen die Erde. Während wir uns zur Sommerszeit dem leuchtenden Luftkreis zugewendet haben, den sprießenden und sprossenden Früchten der Erde, wenden wir uns nun zu dem toten Gestein, wissen aber jetzt: In diesem toten Gestein ruht das, was wiederum als äußeres Dasein erscheinen soll. – Wir folgen mit unserer eigenen Seele im Geiste der sprießenden, sprossenden Kraft, die sich entzieht dem äußeren Anblick und ganz in den Stein hinein verborgen wird durch die Winterzeit hin. Und wenn diese Winterzeit an ihrer Mitte angekommen ist, wenn die stärkste Dunkelheit herrscht, dann fühlen wir gerade dadurch, daß uns die Außenwelt nicht abhält, uns mit dem Geiste verbunden zu fühlen, wie in den Tiefen, in die wir uns zurückgezogen haben, das Geisteslicht ersprießt, jenes Geisteslicht, für das der Menschheit den gewaltigsten Impuls der Christus Jesus gegeben hat.
Da fühlen wir nach, was die Menschen empfunden haben zu alten Zeiten, die davon sprachen, daß sie heruntersteigen müssen da, wo das Samenkorn im Winter ruht, um den Geist in seinen verborgenen Kräften zu erkennen. Da fühlen wir, daß wir den Christus im Verborgenen zu suchen haben, in jenem Verborgenen, das dunkel und finster ist, wenn wir uns in der Seele nicht selber erst erleuchtet haben, das aber hell und leuchtend wird, wenn wir das Christus-Licht in der Seele aufgenommen haben. Da finden wir, daß wir uns in jeder Weihnacht stärken und kräftigen durch jenen Impuls, der durch das Mysterium von Golgatha in die Menschheit hineingedrungen ist.

So fühlen wir jedes Jahr wie eine Bekräftigung unseres Strebens wirklich den Christus-Impuls und nehmen von diesem Impuls die Gewähr und Bürgschaft dafür, daß wir von Jahr zu Jahr jenes Leben in uns verstärken, das uns hineinführt in eine geistige Welt, in welcher es einen Tod, wie er in der physischen Welt vorhanden ist, nicht geben kann. Dann können wir vergeistigen und beseligen, was dem heutigen materialistischen Menschen gar kein Symbolum ist, sondern nur eine
äußerliche materialistische Sinnesfreude. Und wir ahnen dann in dem Symbolum die Wirklichkeit, wir ahnen dasselbe, was Johannes Tauler zum Beispiel meint, wenn er davon spricht, daß der Christus dreimal geboren wird: einmal von dem ewigen Vatergott, der die Welt durchwebt und durchlebt, einmal als Mensch zur Zeit der Begründung des Christentums, und dann immer wieder und wieder in den Seelen derer, die das geistige Wort in sich zur Erweckung bringen. Ohne diese letzte Geburt wäre das Christentum nicht vollständig und die Anthroposophie nicht fähig, den christlichen Geist zu erfassen, wenn sie nicht versteht, was es heißt, daß das Wort, das von Jahr zu Jahr uns ertönt, nicht Theorie und Lehre bleiben soll, sondern Wärme und Licht und Leben wird, damit wir durch diese Kraft uns einfügen Leben der Geistigkeit der Welt, aufgenommen werden von ihr und mit ihr selber der Ewigkeit einverleibt werden.

Das sollen wir fühlen, wenn wir vor dem Symbolum der Weihnacht stehen, uns gleichsam untertauchen fühlen in die tiefe, frostige, scheinbar tote Welt unter der Erde, ahnend nicht nur, sondern erkennend, daß der Geist neues Leben weckt aus dem Tode. Auf welcher Stufe der Entwicklung wir auch stehen, wir können nachfühlen, was zu allen Zeiten diejenigen gefühlt haben, welche da eingeweiht waren, die wirklich dann in dieser Weihnacht hinuntergestiegen sind um die Mitternachtsstunde, um dort zu schauen die Geistessonne um die Weihnachtmitternacht, wo die Geistessonne der Weihnachtmitternacht hervorruft aus dem scheinbar toten Gestein zuerst das sprießende, sprossende Leben, damit es erscheinen kann im neuen Frühling.

Wir selber fühlen uns vereint mit jenen Kräften der Welt, die da walten, auch wenn sie sich äußerlich physisch in Frost und Lieblosigkeit zurückgezogen haben. Das wollen wir fühlen, wie es alle diejenigen empfinden werden, welche um die Weihnachtszeit wirklich immer gedenken der geistigen Sonne, jener Christus-Sonne, die hinter der physischen Sonne steht. Wir wollen ihnen nachfühlen, um nach und nach emporzusteigen, erleben und dann schauen zu können dasjenige, was der Mensch schauen kann, wenn er in sich immer neue Kräfte entwickelt, die ihn mit dem Geistigen verbinden. Und wovon wir schon vor einigen Jahren sprachen, als wir das Weihnachtsfest feierten, das möge auch diese Betrachtung beschließen als das Wichtigste, was wir im Jahr aufnehmen und in unsere Seele gießen können:
Die Sonne schaue
Um mitternächtige Stunde.
Mit Steinen baue
Im lebenlosen Grunde.
So finde im Niedergang Und in des Todes Nacht Der Schöpfung neuen Anfang, Des Morgens junge Macht.
Die Höhen laß offenbaren Der Götter ewiges Wort, Die Tiefen sollen bewahren Den friedensvollen Hort.
Im Dunkel lebend Erschaffe eine Sonne Im Stoffe webend Erkenne Geistes Wonne.


WEIHNACHTSSTIMMUNG Berlin, 26. Dezember 1909

Wir haben versucht, in den Tagen vor Weihnachten uns zu jener Stimmung zu erheben, die auch im anthroposophischen Sinne die rechte Weihnachtsstimmung genannt werden kann. Wir versuchten uns damals vor die Seele zu rufen, daß es eine Auslegung des Weihnachtsfestes gibt, die in gewisser Weise die Weihnachtsstimmung anwendbar macht auf alles dasjenige, was Wichtiges im Jahreserlebnis des Menschen vorgeht. Für den Erkenntnissuchenden, insbesondere in unserer Gegenwart, muß es zu den wichtigsten Stimmungen gehören, der Geist-Erkenntnis selber gegenüber sozusagen Weihnacht feiern zu können.

Und der Geist-Erkenntnis gegenüber Weihnacht feiern, was könnte es denn anderes heißen, als sich einmal so recht innig, inbrünstig in die Seele rufen, wie wir das Jahr über versuchen, unsere spirituelle Pflicht gegenüber der heutigen Menschheitsentwickelung dadurch zu erfüllen, daß wir verstehen die Aufgabe der Menschheit in unserer Zeit, daß wir unsere Seelen immer reicher und reicher an Inhalt machen, der dem Erlebnis der geistigen Welt entnommen ist, um so zu denjenigen Menschen gehören zu können, gehören zu dürfen, welche die notwendige geistige Arbeit in der nächsten Menschheitsepoche werden zu leisten haben.

So suchen wir denn in unsere Seelen zu senken das ganze Jahr hindurch geisteswissenschaftlichen Gehalt, versuchen einzudringen in die anthroposophische Weisheit. Und wenn dann das Jahr jenem Ende zuneigt, das sich schon äußerlich als ein wichtiges dadurch symbolisiert, daß außen um uns herum durch die geringe Kraft der Sonnenstrahlen ein Übermaß an Finsternis herrscht, dann versuchen wir in dieser Festeszeit zu verstehen, wie wir in bezug auf dieses anthroposophische Jahr unsere Weihnachten feiern können. Versuchen wir uns ja doch immer aufs neue klarzumachen, daß durchdrungen und durchleuchtet sein muß die ganze anthroposophische Wahrheit von jenem mächtigen Impuls, den wir den Christus-Impuls nennen!

Versuchen wir so uns die anthroposophischen Wahrheiten in das Herz einzuschreiben, in die Seele einzuschreiben wie die Botschaft des Christus selber, so dürfen wir wohl sagen, zur Weihnachtszeit sollen wir Anthroposophen Weihnachtsstimmung dadurch entwickeln, daß wir das, was wir das ganze Jahr hindurch in uns aufnehmen, in unserer Seele selber von tieferen Gefühlen durchleuchtet sein lassen so, daß es ganz Kraft wird, und daß wir fühlen können: wir wissen nicht nur etwas von der anthroposophischen Weisheit, sondern sie dringt in unsere Seele, in unser Herz, so daß sie eine lichtdurchdrungene Wärmekraft ist, die uns befähigt, auf allen Gebieten des Lebens, wo immer wir stehen mögen, in dem kommenden Jahr unsere Pflicht zu erfüllen, unsere Arbeit zu verrichten. Wenn wir also versuchen, die heiligen Wahrheiten vom Geiste zu verwandeln in heilige Gefühle, in heilige Kraft in unserer Seele, dann wird in uns auf einer höheren Stufe dasjenige geboren, was wir zunächst mit den Kräften dieser irdischen Welt in uns aufnehmen.
Deshalb dürfen wir ja auch wohl um die Weihnachtszeit immer mehr und mehr derjenigen Gelegenheiten gedenken, durch welche dieser oder jener unserer ganzen Menschheit sich hinaufzuerheben versuchte in jene Regionen der Spiritualität, wo der Christus selber zu finden ist. In die Region dieser Gefühle hatte uns bereits zu Weihnachten geleitet unser echt deutschchristlicher Dichter Novalis. Und auch heute darf wohl ein wenig jene Weihnachtsstimmung, wie sie eben angedeutet worden ist – das Sich-Durchwärmen an jenen Wärmestrahlen -, ausgehen von einem wirklich theosophischen Dichter, wie Novalis es war. Kommen wir auf Novalis, da, wo er seine schönsten Weistümer herrlich poetisch uns gibt, da können wir vielleicht am wärmsten fühlen, wie wir aus der Geist-Erkenntnis die Möglichkeit gewinnen sollen, das Leben mit einem neuen Glänze zu erfüllen.

Draußen braust das Leben an uns vorbei, und unsere eigene Arbeit verbindet sich mit dem heutigen Gebrause des Lebens. Wenn wir innerhalb der Anthroposophie die Möglichkeit gewinnen, Weisheit aus der spirituellen Welt herunterzuholen, so werden wir überall, so prosaisch auch die Gelegenheiten zu sein scheinen, mit dem Golde der anthroposophischen Weisheit das Leben vergolden.

Das müssen wir lernen. Dann werden wir schon sehen, wie wir das Leben mit einem neuen Glänze erfüllen, wenn wir jedes Jahr einmal anthro-posophische Weihnachtsstimmung in unsere Seele einziehen lassen, wenn wir die Anthroposophie sozusagen als Gefühl und Empfindung zur Weihnachtszeit wiedergeboren werden lassen in uns selbst. Wir werden dann fühlen, wie unmöglich es ist, wenn wir drinnenbleiben wollen in der gewöhnlichen Welt, zu der Spiritualität sich auch nur einigermaßen ahnend hinaufzuerheben. Oh, es gibt der Anlässe viele, die den heutigen Menschen hindern, die Flügel zu entfalten, um hinaufzukommen in die geistige Welt! Symbolisch kann es uns gleichsam sein, was ich Ihnen kurz erzählen will.

Es kann gar mancher von uns an die Geisteswissenschaft herankommen, kann sagen: Ach, das alles, was mir die Geisteswissenschaft bietet, wäre schön, wäre herrlich, das alles macht mein Herz warm, meine Seele liebevoll; aber – ich kann es nicht glauben! Alles, was ich in der äußeren Welt gelernt habe, die Vorurteile, die ich mir angeeignet habe, das hält mich fest, das sagt mir: Dies ist ja doch nur Träumerei, dies ist ja doch nicht auf einen vollen sicheren Grund gebaut! -So steht gar mancher im bitteren Zweifel drinnen. Würde er sich herausheben können aus den Vorurteilen der gegenwärtig ihn arg bedrängenden äußeren Welt, würde er frei empfinden können im reinen Äther des Geistes, er würde sehen, daß er die Kraft des Geistigen empfindet, und er würde sie auch heruntertragen in die Arbeit seiner Hände im alltäglichen Leben. Symbolisch für diese Empfindung, die so hindert den Alltagsmenschen, der hineingestellt ist in die Gegenwart, frei und ungehemmt zu empfinden, was die Geisteswissenschaft geben kann für Herz und Seele, symbolisch dafür kann ein kleines Ereignis sein.

Da war ein Mann des 18., 19. Jahrhunderts, der deutsche Adlige Hardenberg. Er hatte einen Sohn, von dem wir gestehen durften im engeren Arbeitskreise, daß er Dichtungen und Weistümer gegeben hat aus einer Seele heraus, welche die Wiederverkörperung war von bedeutsamen, mächtigen Persönlichkeiten, die Wichtiges geleistet hatten für die Erde. Aber stehend unter der Einwirkung der äußeren Welt auf den Menschen, wie sollte denn der Vater diese Seele in diesem Sohne erkennen? Wie sollte er denn ahnen den Geist, der sich losringen konnte aus der Seele dieses Sohnes? Ebensowenig hat er es gekonnt, aus den Vorurteilen der materiellen Welt, des Zusammenlebens mit der physischen Wirklichkeit sich frei zu machen, wie heute viele Menschen wenig rein empfinden können, aus den Vorurteilen unserer Welt heraus, die zwingende Kraft der spirituellen Weisheit der Anthroposophie.
Der alte Hardenberg hatte sich von der ganz rauhen Seite seines Unverstandes gegenüber seinem Sohn sozusagen losgerungen gehabt. Aus dem vollen materiellen Leben hat er sich hinaufgeschwungen, um in seiner Herrnhuter-Gemeinde dennoch einiges zu empfinden von einem tief religiösen Geiste, man könnte etwa sagen von dem Erkennen des Weltengeistes noch in der alten Weise. Dazu aber hatte er es nicht gebracht, die Kraft und Gewalt der Weistümer zu empfinden, die aus der Seele seines Sohnes kamen. Dazu bedurfte es schon der durch lange Zeiten hindurch festgelegten autoritativen Empfindungen, die man innerhalb einer solchen Gemeinde suggestiv fühlen kann, daß er ergriffen wurde in seiner tiefsten Seele von jenem wirklichen christlichen Geist, der nur verstanden werden kann, wenn er vom Hauch der Geist-Erkenntnis durchweht ist.

Der alte Hardenberg fühlte einmal merkwürdig jenen Hauch des Geistes, des christlichen Geistes, als er in seiner Herrnhuter-Gemeinde mit den andern Persönlichkeiten beisammen war und als man ein gemeinschaftliches Lied anstimmte. Durch dieses Lied, dessen Ursprung er nicht kannte, wehte ihn an ein Ewigkeitshauch, und er war tief ergriffen von jenem Lied, das da begann:
Was war ich ohne dich gewesen? Was würd ich ohne dich nicht sein?
Etwas fühlte er, was er bisher nicht hatte fühlen können. Und die Feier war zu Ende. Der alte Hardenberg ging hinaus und fragte einige, die Mitteilnehmer waren: Von wem ist denn dieses herrliche Gedicht? – Das ist ja von Ihrem Sohn! –
Losgelöst von allem Zusammenhang mit dem Physischen, nicht beirrt durch die Vorurteile des physischen Planes, hatte der alte Hardenberg die zwingende Gewalt des spirituellen Lebens gefühlt. Der Sohn aber war seit einigen Monaten bereits in bezug auf seinen physischen Leib unter der Erde! Denn dieses Erlebnis hatte der alte Hardenberg erst einige Monate nach Novalis‘ Tode. Als der alte Hardenberg so imstande war, durch die Umstände für eine kurze Zeit abzustreifen von dem physischen Plan alle die Vorurteile, die sich da ergeben, da wurde er hinaufgetragen in die spirituellen Höhen, wo er ihre zwingende Gewalt fühlte, die zwingende Macht der spirituellen Höhen, welche wir fühlen sollen unbekümmert um alle Vorurteile der materiellen Welt. Lassen wir sie unten, die materialistischen Vorurteile der Gegenwart! Fühlen wir das Zwingende des spirituellen Lebens und lassen wir uns aus demselben Kraft und Wärme in unser Herz fließen! Tun wir das zur rechten Zeit, dann werden wir unsere Pflichten in bezug auf die Menschheit der Gegenwart erfüllen.

Mit diesem Symbolum, das entnommen ist einem wirklichen Erlebnis des Vaters des Novalis, wollte ich Sie hinführen zu der Stimmung, zu der wir uns jetzt erheben wollen durch jene zwingende Gewalt, die in des Novalis Liedern liegt.
Hier trug Marie von Sivers (Marie Steiner) neun «Geistliche Lieder» des Novalis vor.

Es ist vielleicht am leichtesten möglich, gerade innerhalb dieser Festeszeit auch so recht zu fühlen und zu empfinden, nicht nur zu verstehen und zu wissen, dasjenige, was wir so manche Stunde hindurch im Anschluß an unsere Evangelien betrachtet haben. Und der Betrachtung dieser Evangelien war ja ein großer Teil der Zeit gewidmet, die wir für solche Betrachtungen im verflossenen Jahre zur Verfügung hatten. So sei denn heute in dieser kurzen Betrachtung, die sich an unsere Weihnachtsfeier noch anschließen soll, auch mehr hingedeutet auf wichtige Folgerungen, die sich ergeben aus unserer Evangelienbetrachtung: die Zusammenhänge mit jenem Ereignis, das uns insbesondere zur Weihnachtszeit so lebendig vor Augen stehen soll – die Zusammenhänge mit dem Christus-Ereignis.

Wir können an dem Christus-Ereignis nach mancherlei Richtungen die Bedeutung und Gewalt der anthroposophischen Weltanschauung für die Gegenwart und für die Menschheitszukunft ermessen. Wenn
wir gegenüber dem Christus-Ereignis eine solche tiefe Empfindung in unserer Seele wirken lassen, wie diejenige des Novalis war, werden wir ja immer aufs neue aufgefordert, uns zu fragen: Wie können wir immer mehr und mehr die Wahrheit dessen empfinden, was als ein gewaltiger Impuls eingezogen ist in die Menschheit, als in Palästina der Christus Jesus geboren worden ist? – Und wir dürfen in unserer Gegenwart gerade die Anthroposophie mit diesem Christus-Ereignis in einen innigen Zusammenhang bringen. Konnten wir doch zeigen, wie die verschiedenen Strömungen des menschlichen Geisteslebens der vorchristlichen Zeit zusammenfließen in dem Ereignis von Palästina. Wir konnten darauf hinweisen, wie dieses Ereignis von Palästina heute von einer großen Anzahl von Menschen höchstens geahnt wird, und wie es nach und nach erst, wenn sich die Menschen in spiritueller Hinsicht vertiefen werden, in seiner ganzen Gewalt und Bedeutung in ferner Zukunft wird begriffen werden können. Denn welche Weisheit man auch wird aufbringen im Laufe der Erdentwickelung : die schönste Vertiefung wird diese Weisheit einmal finden können dadurch, daß sie sich zum Instrument machen wird, um zu begreifen, was der Christus-Impuls eigentlich ist.

Heute stehen wir schon in einer gewissen Beziehung vor der unmittelbaren Notwendigkeit, aus den spirituellen Erlebnissen heraus auf dieses Christus-Ereignis hinzuweisen. Die Menschheit hat zur Zeit, als der Christus in Leibesgestalt auf der Erde wandelte, den großen, gewaltigen Impuls bekommen, hinaufzusteigen wiederum in die geistige Welt. Aber dieser Impuls wirkt doch, noch bis in unsere Zeit hinein, sozusagen als ein Impuls, der gerade nur die geeigneten Seelen in seiner wahren Gestalt ergriffen hat. Dagegen die Menschheit als solche setzte zunächst, wie um das Maß dessen, was überwunden werden soll, voll zu machen, den Weg fort, herunter immer tiefer und tiefer in das materielle Dasein. Es ist ja des Menschen Dasein ein Heruntersteigen in die Materie. Immer tiefer und tiefer stieg der Mensch auch in den nachatlantischen Zeiten in die Materie herunter. Das Christus-Ereignis bedeutet den Kraftimpuls, wiederum hinaufzusteigen.
Aber dieser Kraftimpuls ist nur zum geringsten Teil irgendwie erfüllt. Dagegen ist das Heruntersteigen in die Materie auch in der nachchristlichen Zeit immer kräftiger und kräftiger zum irdischen Ereignis geworden, so daß durch das Heruntersteigen in die Materie auch das ganze Denken, Fühlen und Empfinden der Menschen angegriffen worden ist.

Wir stehen heute bereits vor einem Zeitalter, leben in einem Zeitalter, in welchem die materialistische Forschung in die Auffassung des Christus-Ereignisses eingedrungen ist. Und in ernster Stunde geziemt es sich wohl, auf ernste Dinge hinzuweisen, wie das eines ist, daß in unserer Zeit die materialistische Forschung selbst das spirituellste Ereignis ergriffen hat, das über unsere Erde hingezogen ist.
Sehen wir doch, wie heute materialistische Theologen nach der sogenannten «historischen Forschung» sagen, daß es unmöglich einen Beweis für einen äußerlichen historischen Christus geben kann! Und Theologen sind es heute bereits, welche sagen: Historische Forschung zwingt selbst zuzugeben, daß geschichtlich sich nicht nachweisen läßt, daß am Beginne unserer Zeitrechnung in Palästina derjenige gelebt hat, von dem so gewaltige Worte uns in den Evangelien verkündet werden, von dem so gewaltige Impulse in das menschliche Geistesleben sich hineinergossen zu haben scheinen!

So scheint heute «Wissenschaft» sich berufen zu fühlen, aus ihren Methoden heraus den historischen Christus hinwegzuwischen aus der Welt. Deshalb darf man sich erinnern, daß Geisteswissenschaft heute gerade beginnt, berufen zu werden, diesen historischen Christus Jesus aus ihren Elementen heraus zu beweisen. Es hängt der Glaube der Menschen nicht ab von den inneren Wahrheiten eines Wissenszweiges. Beweise über Beweise könnte es geben für das Fadenscheinige eines Wissenszweiges. Die Menschen können leben und gar nicht bemerken, daß es solche Beweise gibt. So werden auch in der Zukunft – und die Zeit wird noch lange dauern, wo das der Fall ist – immer mehr und mehr Menschen auf einem Gebiete dem materialistischen Denken entgegengehen und immer mehr und mehr ergriffen werden von dem Glauben, daß die sichere Historische Methode gezwungen ist, abzuleugnen die Gewißheit eines historischen Christus Jesus. Wegzuwischen scheint Wissenschaft dasjenige, wofür wir, wie wir betont haben, ein neues Symbolum im Glänze goldiger Weisheit zu gewinnen hoffen.

Es wird gewiß die Zeit kommen, wo man wissen wird vom Christus nur in Kreisen, wie es dieser ist, wo man sich bekennen wird zur Geisteswissenschaft, durch die man das Wort verstehen wird: «Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt!», und wo der, welcher hineinzuschauen vermag in die geistige Forschung, wissen wird, daß Derjenige, von dem der Impuls des Christentums ausgegangen ist, immer zu finden ist in der geistigen Welt, und daß aus dieser geistigen Welt heraus die Sicherheit zu gewinnen ist für das Christus-Ereignis. Nur in Kreisen, in denen man sich zu einem solchen spirituellen Bekenntnis hält, wird die Sicherheit für dasjenige zu gewinnen sein, für welches man dieses Symbolum wiederum sucht. Und die Menschen draußen werden sich nicht beweisen lassen, daß die Historische Methode, die äußere wissenschaftliche Methode selber auf einem sumpfigen Boden gebaut ist.
Wer freilich heute Wert und Wesen der Wissenschaft zu verstehen vermag, der weiß schon auch aus der Fadenscheinigkeit und aus der Unbegründetheit der Methoden heraus, wie wenig es besagt, wenn heute gerade die, welche streng wissenschaftlich vorzugehen glauben, kommen und sagen: Alle die Gestalten, von dem Christus angefangen bis zu den Aposteln, lassen sich nicht historisch beweisen. – Aber es wird noch lange dauern, bis die Menschen von jenem Autoritätsglauben loskommen, von dem sie meinen, er sei kein Autoritätsglaube. Der schlimmste Autoritätsglaube ist heute vorhanden. Und die Menschen sehen gar nicht ein, daß der wahre Erlöser von dem Autoritätsglauben Derjenige ist, der im tiefsten Innern die Menschen bauen gelehrt hat auf die Kraft des eigenen Ichs. Derjenige, der uns gezeigt hat, was aufgenommen werden soll in dieses Ich, der kann uns auch zeigen, wie wir die Kraft der Wahrheit, wie wir die Quellen der Wahrheit in unserem Innern finden. Mit dem Christus im Innern finden wir Wahrheit im Innern; mit dem Christus im Innern finden wir den sicheren Boden eines freien und unabhängigen Urteils, finden wir den sicheren Boden über alle Autorität hinaus. Aber wir müssen uns gerade aus diesem Christus-Ereignis heraus in ernster Stunde auch ein ernstes Wort gesagt sein lassen, damit wir unseren Beruf als Anthroposophen fühlen lernen.

Vielleicht würde ich die kleine Einfügung, die ich jetzt zu machen gedrängt bin, in den nächsten Vorträgen tun, wenn es nicht längere Zeit dauerte, bis wir uns wiedersehen. Aber ich möchte auf etwas hinweisen, was der Anthroposoph als die tieferen Symptome seiner Zeit einsehen soll, sozusagen das Unmögliche des Wissenschaftstreibens in unserer Zeit. Diejenigen, welche an diese äußere Wissenschaft, die uns heute auch den historischen Christus hinwegdiskutieren will, glauben wollen, die werden ja unbelehrbar sein. Aber es muß doch einige Menschen geben, die aus dem Impuls der Anthroposophie heraus einiges verstehen, wie äußere Wissenschaft auf allen Gebieten sich selber auflöst, und wie allein spirituelles Leben in der Zukunft der Menschheit zum Heile gereichen kann.

Man sieht an den Zeitereignissen das Wichtigste nicht. Da hat sich in diesen Tagen in Wien ein Prozeß abgespielt, auf den die ganze Welt hingeblickt hat. Ganz Europa war sozusagen durch seine Vertreter versammelt, um sich von diesem Prozeß Kunde bringen zu lassen, weil man ihn für wichtig hielt. Das Wichtigste aber, was sich da abgespielt hat, hat man wahrscheinlich nirgends gesehen. Und diejenigen, welche nicht anthroposophisch vorbereitet sind, würden auch dieses Wichtigste, wenn sie es ausgesprochen hörten, als eine Phantasie empfinden. Da war ein Historiker, ein in Europa berühmter Historiker, der angesehen ist bei seinen Fachgenossen, bei den Geschichtsforschern, und der wichtige Werke nach gegenwärtig streng historischer Methode verfaßt hat, ein «guter Wissenschafter». Dieser Wissenschafter bekam eine Reihe von Dokumenten in die Hand, die überliefert worden sind aus einem der südlicheren Staaten Europas. Diese Dokumente sollten beweisen, daß im Südosten Österreichs Verräterei getrieben worden sei. Wer konnte nun nach dem Urteil der Menschen der Gegenwart mehr berufen sein, da zu prüfen, als ein Historiker? Ein Historiker sollte doch mehr als jemand anderer dazu berufen sein, den Wert von Dokumenten zu prüfen. Beruht doch aller Glaube der Welt auf Dokumenten! Wie man Dokumente verwendet und zusammenstellt, wie man sie prüft, das gibt die Wahrheit. Das soll ja auch einzig und allein die Wahrheit über die Wunder des Christentums geben können!

Dieser Historiker und Geschichtsforscher, der jene Dokumente in die Hand bekam, war allerdings auch ein Schüler jenes Historikers, an den ich mich gern manchmal erinnere, wenn ich an meine eigene Jugendzeit zurückdenke. Da gab es zwei Historiker: der eine ein strenger Geschichtsforscher in bezug auf die strengen Methoden der Urkundenforschung; der andere, sein Kollege, hielt gerade weniger auf diese strengen Methoden, sondern mehr darauf, daß die Kandidaten einiges aus den wirklichen geschichtlichen Vorgängen wußten. So ereignete es sich denn einmal, daß der Lieblingsschüler jenes Urkundenforschers zu dem Doktorat kam. Er wurde geprüft zuerst in der Urkundenlehre, das heißt in der Lehre, durch die man lernt, recht gut festzustellen, wie man zu der Wahrheit kommt durch äußere, materielle Mittel. Er wurde zum Beispiel gefragt, in welcher päpstlichen Urkunde der i-Punkt zuerst vorkommt. Das ist sehr wichtig, daß man das weiß! Und das wußte der Kandidat gleich, daß unter einem gewissen Innozenz zuerst der i-Punkt vorkommt.
Aber der andere Historiker, der Kollege, fragte dann: Darf ich jetzt auch den Kandidaten etwas fragen, der so genau gewußt hat, wo der i-Punkt zuerst vorkommt? Sagen Sie, Herr Kandidat, wissen Sie vielleicht auch, wann jener Papst, in dessen Urkunden der i-Punkt zuerst vorkommt, den päpstlichen Stuhl bestiegen hat? – Nein, das wußte er nicht. Wissen Sie dann vielleicht, wann er gestorben ist? – Nein, das wußte er auch nicht. Nun, Herr Kandidat, sagen Sie mir doch etwas anderes noch von diesem Papst! – Er wußte nichts! Da sagte der Professor, dessen Lieblingsschüler er war: Aber Herr Kandidat, es ist ja heute, als ob Ihnen ein Brett vor den Kopf genagelt ist! – Der andere aber sagte: So, Herr Kollege, es ist doch Ihr Lieblingsschüler! Wer hat ihm denn das Brett vor den Kopf genagelt?

Jener Historiker hat dazumal nichts Besonderes gelernt. Aber er wurde ein tüchtiger Urkundenforscher, der mit allen Mitteln der historischen Forschung feststellen kann, was die Wahrheit längst verflossener Zeiten ist. Wie sollte also jemand mehr berufen sein als er, zu untersuchen, was für Verräterei in jenen Dokumenten getrieben worden ist, die ihm von wichtigster Seite übergeben worden waren?

Er ging also mit allen Mitteln historischer Forschung daran, zu untersuchen, und klagte in einem öffentlichen Artikel eine ganze Anzahl von Leuten schwerwiegender Handlungen an. Es kam zu einem Prozeß. Und in diesem Prozeß erwies sich eines der allerwichtigsten Dokumente als eine ganz plumpe Fälschung! Es handelte sich darum, daß eine gewisse Persönlichkeit in einer gewissen Stadt einen Verein präsidiert haben sollte; aber durch eine einfache Anfrage hätte man feststellen können, daß dieser Mann in der fraglichen Zeit gerade in Berlin war.

Historische Forschung ist hierbei streng zu Werke gegangen mit Dokumenten, die aus den Tatsachen der Gegenwart genommen sind. Historische Methode hat in diesem Falle nichts zustande gebracht, als daß sie sich hat narren lassen in bezug auf Dokumente der Gegenwart. Das Wichtige, was ich meinte, ist das, daß hier nicht einmal irgendein Mensch oder Menschen vor Gericht gestanden haben, sondern die historische, die wissenschaftliche Methode ist in diesem Falle verurteilt worden, tatsächlich verurteilt worden! Das ist das wichtigste Symptom eines unmittelbar in der Gegenwart sich abspielenden Prozesses.

Da sollte man sich ganz ernsthaft fragen: Was ist eine Methode wert, die sich hermacht, darüber zu entscheiden, ob sich vor achtzehn oder neunzehn Jahrhunderten etwas zugetragen hat, wenn diese Methode nicht imstande ist, über die plumpsten Dinge der Gegenwart irgend etwas ausfindig zu machen? «Wissenschaft» selber saß hier auf der Anklagebank. Das sollte man erkennen! Und eine Wissenschaft, die aus den materialistischen Vorurteilen der Gegenwart hervorgeht, wird immer auf der Anklagebank sitzen, wenn die Menschen zu bequem sind, um auf eine solche Autorität zu halten, welche allein Autorität der Gegenwart sein kann, die sich von jener andern dadurch unterscheidet, daß man weiß, wer sie ist. Bei den andern Autoritäten weiß man nicht mehr, wer sie sind, wer sie ist, die Madame «Wissenschaft».

Gehen Sie einmal mit ernstem Bekenntnis zur spirituellen Weltanschauung dem nach, was man heute Wissenschaft nennt, und Sie werden sehen, wie es zerstiebt, wie es sich erweist als auf einem wirklich sandigen Boden erbaut, als zusammenstürzend, wenn man ernsthaft damit zu Werke geht. Aber die Menschen werden sich nicht dazu bequemen, von dieser Seite aus einmal die Gegenwart zu betrachten.

Die Menschen – namentlich die, welche außerhalb des anthroposophischen Lebens stehen – werden nicht die Gewissenhaftigkeit haben, sich einmal anzusehen, wie die Methoden beschaffen sind, welche die materialistischen Gewaltsurteile in die Seelen der Menschen hineindrängen.
Daher wird noch lange keine Möglichkeit gegeben sein als im intimen Kreise anthroposophischen Wirkens, dasjenige in seiner Wahrheit zu sehen, was der Menschheit zum größten Heil ist. Und wenn das, was zu Palästina geschehen ist und was wir symbolisch in unserem Herzen jedes Jahr neu auferstehen lassen, wenn das immer mehr und mehr durch die äußere Wissenschaft geleugnet und hinweggewischt werden sollte: innerhalb der anthroposophischen, der spirituellen Weltenströmung wird es eine Stätte geben, wo die Gewalt des palästinensischen Ereignisses immer heller und heller aufleuchten wird und von wo aus wiederum in die übrige Menschheit hinausströmen wird das Leben, das nur aus diesem Ereignisse kommen kann.

Was kann uns durch ein wirkliches Miterleben des Ereignisses von Palästina in der Seele aufgehen? «Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Erdenepoche!» So, könnten wir sagen, ist das Grundwort des Christus Jesus. Das heißt, der Christus Jesus wandelte im Beginne unserer Zeitrechnung in Palästina in Leibesgestalt. Er ist seit jener Zeit zu finden in der geistigen Welt, denn er hat sich seit jener Zeit mit der geistigen Atmosphäre der Erde vereinigt. Er ist der Erdengeist geworden. Wir finden ihn innerhalb der geistigen Atmosphäre unserer Erde, wenn wir ihn da suchen. Er durchdringt immer mehr und mehr alles Leben unserer Erde.

Was aber sollen die Menschen durch diesen sich in ihre Seelen immer mehr und mehr einlebenden Christus-Geist gewinnen? Wollen wir ganz genau verstehen, was die Menschen durch diesen sich in ihre Seelen einlebenden Christus-Geist gewinnen sollen in der Zukunft, dann müssen wir gerade das versuchen, was wir jetzt seit einiger Zeit innerhalb unserer anthroposophischen Bewegung tun. Was wir in der anthroposophischen Bewegung tun, das ist nicht etwa einer Willkür entsprossen, das ist nicht irgendeinem bloß von diesem oder jenem Menschen aufgestellten Programm entsprossen.

Spirituelles Leben geht zuletzt zurück auf diejenigen Quellen, die wir bei jenen Individualitäten suchen, welche wir nennen die «Meister der Weisheit und des Zusammenklanges der Empfindungen». Und bei ihnen finden wir die Impulse, wenn wir sie richtig suchen, wie wir von Epoche zu Epoche, von Zeitalter zu Zeitalter wirken sollen.

Es ist ein großer Impuls in der letzten Zeit aus der geistigen Welt zu uns gekommen. Und heute, am feierlichen Weihnachtsabend in unserem Kreise sei hingewiesen auf diesen wichtigen Impuls, sozusagen auf eine Weisung, welche uns im Laufe der letzten Jahre aus der geistigen Welt wie eine Maßnahme des astralischen Planes zugeflossen ist. Und unter diesem Impuls hat sich unsere anthroposophische Bewegung hier in Mitteleuropa entwickelt. Ungefähr in folgender Weise könnten wir diesen Impuls in menschliche Worte kleiden: Siehe hin auf das, was sich in der äußeren Welt zuträgt: die Worte der Evangelien werden immer mehr und mehr mißverstanden! Man deutelt an ihnen herum, man prüft sie mit äußerlichen geschichtlichen Methoden. Alle bloße äußere Geschichte muß eine Zeitlang für den spirituellen Forscher schweigen. Was jetzt notwendig ist, das ist, daß die Evangelien wieder verstanden werden ganz wörtlich, denn in ihrem wörtlichen Verstehen liegt ihr wahrer Weisheitsgrund!

Wir wurden angeleitet aus der geistigen Welt heraus, die Evangelien wörtlich erst wieder kennenzulernen, zu verstehen, was in ihren Worten enthalten ist. Aus diesem Impuls – und aus der Erweiterung und Ausgestaltung dieses Impulses – ging alles hervor, was wir in der Betrachtung des Johannes-Evangeliums, des Lukas-Evangeliums und des Matthäus-Evangeliums versucht haben und was wir bei der Betrachtung des Markus-Evangeliums noch versuchen werden. Wörtlich sollen wir wiederum die Evangelien zu verstehen versuchen! So sagen uns diejenigen, deren Impuls wir aus der geistigen Welt empfangen. Das ist kommendes Christentum: folgen diesem Impuls, die Evangelien in ihrer Wörtlichkeit zu verstehen. Und was wird uns, wenn wir die Evangelien wörtlich verstehen, wenn wir die Weisung der spirituellen Mächte befolgen, die vom astralischen Plan herunter so deutlich geredet haben, wie sie in einem Jahrhundert kaum ein zweites Mal sprechen? Das wird uns, was uns notwendig werden muß, wenn
wir uns zum Instrument machen wollen, um die kommende Menschheitsepoche in der richtigen Weise leiten und weisen zu können in bezug auf dasjenige, was eine Leitung und Weisung im Räume braucht.

Wenn wir zurückblicken in diejenigen Zeiten, in denen die Menschheitsentwickelung sich in uralten Vergangenheiten abgespielt hat, da wissen wir, daß es damals noch nicht so war, daß das menschliche Ich voll ausgebildet gewesen wäre. Der Mensch geht in seiner Entwicke-lung auf eine Gruppenseele zurück. Wie die Tiere heute noch eine Gruppenseele haben, so war einer gewissen Anzahl von Menschen eine gemeinsame Ich-Seele eigen. Das finden wir bei allen Völkern. Wir wissen also, daß sich die Menschheit herausentwickelt hat aus einer Gruppenseelenhaftigkeit. Und in der Zeit, als der Christus heruntergestiegen ist auf unsere Erde, war die Menschheit an dem Punkt angekommen, wo die alten Gruppenseelen anfingen, ihre Bedeutung zu verlieren. Die alten Gruppenseelen hatten sich zurückgezogen.
Jeder Mensch war darauf angewiesen, in sich die individuelle Seele, die eigentliche Ichheit zu entwickeln. Und wer brachte das, was sich in die individuelle Seele hineinergießen sollte? Das brachte der Christus-Impuls! Und je mehr wir uns mit diesem Christus-Impuls erfüllen, desto reicher wird unsere Ichheit, so daß sie in sich selber aufsteigen läßt diejenigen Wahrheiten, welche wir brauchen, um in die Zukunft hineinzuleben.

Jetzt eben sind wir in der Gegenwart an einem wichtigen Wendepunkt angekommen. Gar mancher fragt heute: Was hat es denn für eine Bedeutung, daß wir sprechen von Wiederverkörperung, da man sich doch nicht erinnern kann an die früheren Verkörperungen? Gewiß, man kann es heute nicht.
Aber ich habe schon darauf aufmerksam gemacht, wenn man ein vierjähriges Kind bringt und sagt: Das ist ein Mensch; aber er kann nicht rechnen -, so ist das kein Beweis dafür, daß der Mensch nicht rechnen kann. Man soll warten, bis das Kind herangereift ist, um rechnen zu lernen. In zehn Jahren kann es rechnen. So wird des Menschen Seele heranreifen, sich an die früheren Verkörperungen zu erinnern. Ob sie sich richtig erinnern wird, das ist eine zweite Frage.

Jetzt eben stehen wir an einem wichtigen Wendepunkt. Im vierten nachatlantischen Zeitraum ist der Christus heruntergestiegen als der Impuls, womit die Menschen ihre Ichheit als eine in sich gegründete Wesenheit erfühlen können. Jetzt stehen wir in dem fünften Zeitraum, dem letzten, in dem sich die Menschen nicht mehr an ihre früheren Inkarnationen erinnern können. Im sechsten Zeitraum, der dem unsrigen folgen wird, werden sich die Menschen erinnern an ihre früheren Inkarnationen. Ob sie sich richtig erinnern, das hängt davon ab, wie sie heute die Impulse dazu in ihre Seele aufnehmen, ob sie sich fähig machen, sich in. der richtigen Weise zu erinnern. Diejenigen allein werden sich in der Zukunft in der richtigen Weise an ihr gegenwärtiges Dasein erinnern, welche den Christus-Impuls aufgenommen haben, den Quell der wahren Ichheit. Dafür werden sich bei denjenigen, welche diesen Quell der wahren Ichheit nicht aufnehmen, neue – Gruppenseelen bilden.

Sehen Sie einmal hin auf die äußere Wirklichkeit: wie die Menschen heute geradezu drängen nach Gruppenseelenhaftigkeit, obwohl sie es nicht müßten, sondern Wahrheitsquellen finden könnten, die ihnen in der eigenen Seele ersprießen. Beobachten Sie, wie jeder alles nur so tun will, wie «man» alles tut. Die Menschen suchen nicht nach dem, was sie allein in ihrer Seele finden können, sondern wir sehen sie danach suchen, was sie in Kategorien, in Gruppen zusammenführt, und wie sie am frohesten sind, wenn sie nicht selbständige Wahrheiten, sondern das haben können, was gleich den andern ist. Ja, man haßt sogar die Individualität, so daß man in diesem Haß gegen das Individuelle die stärksten Waffen zu schmieden glaubt gegen eine solche Weisheit, wie es die anthroposophische ist.
Denn anthroposophische Weisheit muß in der Seele eines jeden Menschen erglänzen; sie kann nicht mit Hebeln und mit Schrauben, mit äußerem Experimentieren erzwungen werden. Was von anthroposophischer Seite gesagt wird, das tritt uns nicht mit äußeren Hebeln und Schrauben entgegen. Das müssen wir, weil es der unsichtbaren Welt angehört, in die jeder selbst hineingehen muß mit seinem Denken, uns aneignen, ein jeder für sich, ohne daß wir durch ein äußeres Instrument überzeugt werden. Durch anthroposophische Weisheit werden wir eine Individualität.

Nehmen wir diese anthroposophische Weisheit in der richtigen individuellen Weise auf, in der sie durchdrungen ist von dem Christus-Impuls, dann senkt sich in unsere Seele das, was es uns möglich macht, daß wir uns im sechsten Zeitraum an eine Ichheit erinnern, die jeder für sich selber hat, die in sich geschlossen ist. Dagegen wird die Erinnerung derjenigen, die heute künstliche Gruppenseelen suchen, so sein, daß die Gruppenseelenhaftigkeit wieder da sein wird. Erinnern werden sich die Menschen im sechsten Zeitraum an ihre gegenwärtige Inkarnation; aber dann wird es ihnen klar sein: Du hingest dazumal in deinem Urteil zusammen mit dem Urteil der andern! – Und eine furchtbare Fessel wird es sein für den Menschen, der sich hineingestellt fühlen muß in eine Gruppenseelenhaftigkeit. Gruppenseelenhaftigkeit droht denjenigen, die den Christus-Impuls nicht aufzunehmen vermögen in unserer Zeit. Wenn wir die Botschaft des Christus-Ereignisses, jene Botschaft von der menschlichen Ichheit in uns aufnehmen, dann senkt sich in unsere Seele die Möglichkeit, das Ziel der Menschheit für den sechsten Zeitraum zu erreichen: daß wir nicht zurückblicken in eine Gruppenseelenhaftigkeit, sondern in eine durchchri stete Ichheit.

So zieht in denjenigen, der das Christentum heute in der richtigen Weise zu erfassen versteht, zu durchglühen und zu durchströmen versteht mit dem Geiste der Anthroposophie, dasjenige hinein, was notwendig ist, damit er ein voller Mensch sein kann in dem sechsten Zeitraum und ein Instrument sein kann zum richtigen Wirken in jenem Zeitraum.

Das also ist die Frage: Ob wir uns entschließen wollen, zurückzublicken von unseren Wiederverkörperungen im sechsten Zeitraum auf unser Ich in der Gegenwart als unindividuell, als unselbständig, als zusammengeschlossen in Gruppenhaftigkeit, oder ob wir uns erinnern wollen an ein Ich, das den Quell der Geistigkeit in unserer Erdentwickelung selber erfaßt hat, das erfaßt hat das große Wort: Ehe denn alle Persönlichkeit war, ehe etwas war, was sonst von uns auf der Erde leben kann, und «ehe denn ein Abraham war, war das Ich-bin».
Was in uns lebt, schließt sich unmittelbar zusammen mit dem Vater-Geist. Was durch das Verständnis des Christus-Impulses in uns aufleben kann, das schließt sich bewußt in uns nur zusammen mit dem Quell der Welt, wenn wir den Christus-Impuls verstehen. So bedeutet der Christus-Impuls, indem er sich in unsere Seele senkt, die Möglichkeit für uns, als eine solche Ich-Wesenheit im sechsten Zeiträume wieder aufzuerstehen, die zurückblickt auf ein Selbständigwerden. Lassen wir den richtig verstandenen Christus in unserem eigenen Innern geboren werden, dann werden wir auferwecken können die Erinnerung an diesen richtig verstandenen Christus in dem sechsten nachatlantischen Zeitraum.

Und wenn wir im fünften Zeitraum ein richtiges Weihnachtsfest feiern, werden wir dafür im sechsten Zeitraum ein richtiges Osterfest feiern können. Wie das schöne Weihnachtslied uns singt in der Christnacht: «Uns ist der Heiland heut erstanden!», so werden wir, indem wir uns zurückerinnern an den in unserer Seele geborenen Christus, in uns selber die Botschaft vernehmen in diese wahre höhere Ich-Wesenheit. Wir werden uns daran zurückerinnern und diese Erinnerung auferstehen lassen als das Osterfest in uns selber; und dann werden wir in uns selber den großen schönen Oster-Orgelton hören können: Der Christus in uns erstehe als befeuernd und erleuchtend unsere eigene göttliche Individualität!

So schließen sich Weihnachtsfest und Osterfest im fünften und sechsten Zeitraum unserer nachatlantischen Zeit zusammen. So sollen wir lernen dasjenige auffassen, was wir aus den Evangelien erfahren. Wir haben schon teilweise gelernt und werden es noch weiter lernen, wie zusammengeströmt sind die Buddha-Strömung, die Zarathustra-Stromung und die althebräische Strömung in dem Christentum, wie sie eingezogen sind in dem Sinne, wie es uns die Evangelien auch schildern, in die Persönlichkeit des Christus Jesus. In unserer eigenen Ichheit muß dasjenige Leben gewinnen, was so in der vorchristlichen Zeit in der Welt gewebt und gelebt hat; das muß wiedergeboren werden, durchdrungen von dem Christus-Impuls.
Dann feiern wir das anthroposophische Weihnachtsfest in unserer eigenen Seele: die Geburt des Christus in uns. Und wenn wir diesen in uns verstandenen Christus hinübertragen durch Kamaloka und Devachan in ein neues Erdenleben und von dort immer wieder zu einem neuen irdischen Dasein bis in den sechsten Zeitraum hinüber, dann werden wir uns erinnern an das, was wir in unserem fünften Zeitraum erlebt haben und werden das christliche Osterfest in uns selber dann also feiern.

So lebe in uns in dem Weihnachtssymbol dasjenige symbolisch, was wir in den letzten Zeiten aus den Evangelien heraus als das Christus-Mysterium in unsere Seele aufgenommen haben. So lassen wir diese Lichter, die hier vor uns brennen, eine Aufforderung an uns sein, jenen Impuls auszuleben, der uns aus der geistigen Welt zukommt: die Evangelien wörtlich zu verstehen! Und diese äußerlich leuchtenden Lichter fassen wir auf als die Sinnbilder derjenigen Lichter, die in unserer Seele entfacht werden sollen und die, wenn sie durch die anthroposophische Christus-Erkenntnis entfacht werden, hinüberbrennen werden in den sechsten Zeitraum der nachatlantischen Zeit.

Fühlt, gerade an diesem Weihnachtsfest, daß es an Euren Seelen ist, sich zu entschließen, in diesem Sinne würdige Werkzeuge zu werden für die Entwickelung der Menschheit in die Zukunft hinein! Fühlt die ganze Schwere und das ganze Gewicht des anthroposophi-schen Entschlusses: nicht ein jeder für sich sollen wir Anthroposophen sein; sondern indem wir berücksichtigen, was eben gesagt worden ist, sollen wir Anthroposophen sein aus Pflicht zur Menschheit, aus Pflicht zur ganzen Menschheitsaufgabe und Menschheitsmission. Lassen wir uns herunterleuchten vom Weihnachtsbaum symbolisch das Licht, das uns anfeuern kann zu dieser unserer spirituellen Menschheitsmission. Dann haben wir etwas verstanden von dem, was uns wiederum für ein neues Jahr Kraft geben kann, uns immer weiter in das anthroposophische Leben und in die anthroposophischen Weistümer hineinzufinden.

+++

Rudolf Steiner
WEIHNACHTEN – EIN INSPIRATIONSFEST
Berlin, 21. Dezember 1911

„Innerhalb unseres Arbeitens in der geisteswissenschaftlichen Bewegung blicken wir vorwärts, vorwärts in die Zukunft der Menschheit, und durchdringen unsere Seelen und unsere Herzen mit demjenigen, wovon wir glauben, daß es sich einverleiben soll in die Entwickelungsströmungen und in die Entwickelungskräfte der Menschenzukunft. Und auch wenn wir zu den großen Wahrheiten des Daseins aufblicken, aufblicken zu den Kräften, Mächten und Wesen, welche sich uns in der spirituellen Welt als die Ursachen und Urgründe dessen offenbaren, was uns in der äußeren Sinneswelt entgegentritt…

Ist das Osterfest ein solches, das, wenn wir es verstehen, in uns Gedanken wachruft an menschliche Kräfte und an Überwindungsfähigkeit alles Niederen durch das Höhere, alles äußerlich Physischen durch das Geistige, ist es ein Fest der Auferstehung, der Erweckung, ein Fest der Hoffnung und der Zuversicht an die geistigen Kräfte, die in der Menschenseele erweckt werden können, so ist auf der anderen Seite das Weihnachtsfest ein Fest der Harmonieempfindung mit dem ganzen Kosmos, ein Fest der Gnadenempfindung, ein Fest, das uns immer wieder und wieder den Gedanken nahebringen kann: Wie sich auch alles um uns herum erweisen mag, wie auch in den Glauben sich die herbsten Zweifel hineinmischen können, wie sich auch in die kühnsten Hoffnungen die schlimmsten Enttäuschungen hineinmischen können, wie auch um uns herum alle guten Dinge des Lebens wanken können -es gibt etwas in der menschlichen Natur und Wesenheit, das kann uns der richtig verstandene Gedanke des Weihnachtsfestes sagen, das nur vor die Seele lebendig, geisthaft hingestellt zu werden braucht, um uns immerwährend zu offenbaren, daß wir von den Kräften des Guten abstammen, von den Kräften des Rechten, von den Kräften des Wahren. – Auf unsere siegenden Kräfte in die Zukunft hin weist uns der Ostergedanke. Auf den Menschenursprung in urferner Vergangenheit weist uns in einer gewissen Beziehung demnach der Weihnachtsgedanke.

Bei einer solchen Gelegenheit kann man so recht sehen, wie die unbewußte oder die unterbewußte Vernunft und Geistigkeit der Menschen weit, weit höher steht als das, was der Mensch mit seinem Bewußtsein dann umschließen kann…

Wir haben oftmals Grund, dasjenige, was die Menschen aus den verborgenen Seelentiefen in der Vergangenheit festgesetzt haben, viel mehr zu bewundern als das, was sie festsetzten aus ihren verstandesmäßigen Gedanken und aus dem, was sie begrifflich erfassen konnten. Wie unendlich weise erscheint es uns, wenn wir den Kalender aufmachen und für den 25. Dezember verzeichnet finden das Geburtsfest des Christus Jesus und dann im Kalender verzeichnet sehen für den 24. Dezember «Adam und Eva». Man möchte sagen: Anschaulich, vernünftig, geistig konnte einem das vor Augen treten aus dem dumpfen, unterbewußten Schaffen im Mittelalter, wenn da oder dort gegen die Weihnachtszeit die mittelalterlichen Weihnachtsspiele von Leuten dieser oder jener Orte aufgeführt werden sollten. Wenn, wie man sie nannte, die «Singer» zu ihren Weihnachtsspielen zogen, da wurde vorangetragen der «Paradiesbaum». Wie im Kalender «Adam und Eva» vor dem Christ-Geburtstagsfest erschien, so erschien in den mittelalterlichen Weihnachtsspielen der Baum des Paradieses vorangetragen der Truppe, welche zur Aufführung dieser Weihnachtsspiele schritt. Kurz also, es gab einmal etwas, was die tiefen, verborgenen Seelenuntergründe der Menschen veranlaßte, irdischen Menschenanfang und Jesu-Geburtsfest unmittelbar zusammenzustellen…

…was dann zum Christus-Begriff geworden ist, dann entflammt sich in der Menschenseele Vertrauen zur Richtigkeit der Menschenkraft, entflammt sich das Vertrauen in die ursprüngliche Friedens- und Liebesnatur der Menschheit. Daher rückte das unterbewußte Seelische das Jesu-Geburtsfest unmittelbar zusammen mit dem Adam-und-Eva-Fest, indem der Mensch eigentlich in dem Christkindlein, das geboren wird, seine eigene Natur sieht, aber seine eigene Natur in ihrer Unschuld, in ihrer Unverdorbenheit.

Warum wurde denn das göttliche Kind durch Jahrhunderte, durch Jahrtausende vor die Menschheit hingestellt als das, was es als am höchsten zu Verehrendes für die Menschenseele gibt? Aus dem Grunde, weil der Mensch, hinblickend zu dem Kinde – dann, wenn dieses Kind noch nicht so weit gekommen ist, daß es zu sich «Ich» sagen kann -, schauen kann, wissen kann, daß es noch an dem menschlichen Leib arbeitet, an dem Tempel des ewig Göttlichen, und weil der Mensch, der noch nicht «Ich» sagt, noch deutlich das Zeichen seines Ursprunges aus der spirituellen Welt zeigt. Durch diesen Hinblick auf des Menschen Kindesnatur lernt der Mensch volles Vertrauen haben zur Menschennatur…

ganzer Vortrag:
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s. dazu auch:
Rudolf Steiner – Weihnachts-Imagination
weiter zu anthro-wiki:
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Ausspruch Rudolf Steiners zu den Zwölf Heiligen Nächten und den Advents-Stimmungen – mitgeteilt von Herbert Hahn:

Advent
Für den Lichtsuchenden sollen in der Advents-Zeit die Widerstände des Lebens ein besonderer Prüfstein sein. Er muss immer bemüht sein, die Personen von der Sache zu trennen, denn Leid und Schwierigkeiten werden uns als Proben geschickt, und die Menschen, durch die uns Schweres geschieht, sind nur das Werkzeug. Einfügen sollen wir uns in jede Situation, ruhen in ihr, ohne uns zu verlieren. –

Der Inhalt des großen Verlangens dieser Zeit ist, sich das Göttliche tatsächlich einzuverleiben (Zustand der Geburt), nicht nur in Ausnahmesituationen Göttliches zu erleben. Alles, was mit der irdischen Persönlichkeit zusammenhängt, sollen wir ausschalten. Wir sollen ganz kindhaft sein, ganz entspannt dem anderen gegenüber.

Alles, was gedacht und gemeint wird, Diskussionen, Gereiztheit, allen diesen Ballast sollen wir lassen.

Vor jeder großen Feier steht eine Gelegenheit, etwas in sich zu überwinden – das Opfer!

Weihnachtseinstellung

Gnade: Advent, das Licht, das kommt, um alles zu erleuchten in der tiefsten Nacht. Die Erde hat sich ganz leer gemacht, das Leben ist eingezogen. Sie ist wie eine leere Schale. Alle Säfte im Pflanzenreich ziehen sich zurück. So bereitet sie sich vor, das Göttliche zu empfangen.

Im ersten Advent soll sich der Mensch durchringen zur Opferbereitschaft, zu Dienst- und Liebesbereitschaft. Er soll sich mit dem inneren Auge sehen und diesen Tag als die Feier des Verlangens nach Geburt erleben.
Die Weihe der Feier ist: Ich weihe mich dem Dienst des Geistes, der in mir geboren werden soll. Die Gedanken richten sich auf den kommenden Christus im Menschen.

Zweiter Advent:
Der Mensch beginnt zu suchen und empfindet bei seinem Suchen, dass er allein nichts vermag. So bereitet er sein Herz vor, dass das Göttliche einziehen kann, denn da ich Negatives abbaue, wird Raum für das Göttliche.

Dritter Advent:
Der Mensch sucht die wahre Wirklichkeit, die im Geistigen liegt. Der Schlüssel zu ihr und zu allem geistigen Erkennen ist das Opfer.
Die Stimme der Stille sagt: Ich will niemanden weh tun, ich will alles vergeben.

Vierter Advent:
Der Mensch hat den Pfad gefunden und bereitet sich vor, ihn zu betreten. Das bedingt die Beherrschung des irdischen Körpers; nur dann kann der Gottessohn im Menschen erwachen. Das Streben in dieser Zeit ist, das Reich Gottes durch sich, durch seine Haltung und sein Wirken sichtbar zu machen in der Welt. Wir sind die Träger auch dieses ewigen Geistesreiches. – Die Adventsstufen sind Bewusstseinsstufen des Menschen

Von Advent bis 6.Januar

Am 24.Dezember beginnen die Zwölf Heiligen Nächte. Sie sind Symbole für die zwölf Seelenkräfte, die wir in uns lebendig machen müssen. Und so gilt diese Einstellung für immer, nicht für die zwölf Nächte allein.

Am 31.12. um zwölf Uhr größte Sonnennähe, daher fünfeinhalb Tage vor- und nachher die Zeit der Heiligen Nächte. In diesen dunklen Nächten ist uns die Geistessonne am nächsten. Sie durchscheint die Erde von innen, durchflutet alles, nicht wie später: die Erde von oben bescheinend.

In die Zwölf Heiligen Nächte soll man wachbewusst hineingehen. Für die erste Nacht bis ein oder zwei Uhr wach bleiben; während der anderen Nächte möglichst regelmäßig, also zur gleichen Zeit zu Bett gehen. Überhaupt einen regelmäßigen Rhythmus haben in dieser Zeit. Ist das im Äußeren nicht möglich, dann soll man es innerlich versuchen. Wer die Stille im äußeren Ritus nicht durchführen kann, soll versuchen, sich der Heiligkeit der Zeit stets bewusst zu sein. Besonders bewusst selber aber nichts durchgehen lassen, keine hässlichen Regungen in der Seele haben, immer strenger und strenger mit sich selber sein.

Im Weihnachtserlebnis, in den Zwölf Heiligen Nächten, wird der Keim gelegt zu den zwölf Monaten des Jahres. Darum sind diese zwölf Tage so wichtig. Wenn wir z.B. in den ersten Tag entgleiten, legen wir einen Keim, der im ersten Monat dann negativ im Blute aufgeht.

Wir müssen versuchen, die Zwölf Heiligen Nächte gesetzmäßig und richtig zu verleben, denn wir brauchen jedes Jahr, um an unserer Wiedergeburt zu arbeiten und dürfen keines verlieren.

24./25.Dezember:
Der Heilige Abend, an dem Christus der Seele geboren wird. Und die Seele fragt: Kann ich mit all meinen Schwächen und Mängeln und Leidenschaften erlöst werden?
Symbol: Der Stall von Bethlehem, denn in dieser Niedrigkeit und Armut wurde das Licht der Welt hineingeboren.
Die Stimme der Stille dringt zur Seele und lehrt sie, das Gute in uns und in anderen freudig zu bejahen.
Mysterium: Die suchende Seele im Dunkel eines weglosen Waldes.
(Steinbock: Göttlicher Geist wird im Stoff geboren – Geist und Stoff, das A und O, berühren sich und es entsteht Leben.)

25./26.Dezember:
Die Johannesnacht: Der Adler, der Seele hebt die Schwingen und sieht, von höherer Warte zurückblickend, auf sein Leben. Der Mensch erkennt darin das Karma-Gesetz.
Mysterium: Wahl des steilen und breiten Weges. Schwer zu finden ist der Pfad des Geistes für das Fleischgeborene (Bhagavad Gita).
Ich-gebundenes oder Menschheits-Geweihtes Leben (Wassermann).

26./27.Dezember:
Nun folgen die drei Nächte der weißen Lilie.
Die Seele erkennt, dass sie sich nicht oben halten vermag, dass sie wieder hinuntergezogen wird, weil noch so viel Erdhaftes an ihr ist. Die Seele schickt sich bewusst an, den irdischen Körper zu reinigen, in dem sie jede Speise gleichsam als heilige Wegzehrung ansieht.
„Ich bin das Brot“ (Ausspruch des Christus Jesus). Wir kommen aus dem Brote und kehren zurück in das Brot.
Mysterium: Nie das Ziel der Ziele vergessen bei den weiten Wanderungen im Erdreich (Fische).

27./28. Dezember:
Bewusst den Astralkörper reinigen. Antipathie und Sympathie wird in All-Liebe umgewandelt, Leidenschaft und Begierden schweigen. Die Christuskraft durchleuchtet und durchkraftet in uns, was luziferisch ist, was ahrimanisch ist.
Mysterium: Die Arbeit an mir selbst dient dem Wohle des Ganzen.
Der Erzengel Uriel hält uns den Spiegel vor, in dem wir sehen, was wir sind (Widder).

28./29.Dezember:
Bewusst den Gedankenkörper reinigen. Gedankenzucht, Konzentration auf Positives, Umwandeln der schwarzen Gedankentauben in weiße, denn unser Denken gleicht, solange es nicht bewusst ist, einem Taubenschlag. Diesen Taubenschlag auch schließen vor fremden, negativen Gedanken.
Mysterium: Tempel, den Jesus Christus reinigt (Stier)

29./30.Dezember:
Nun folgen die drei Nächte des Schwertes. Petrus-Nacht. Nacht der Schwertweihe.
Jeder muss sich das Schwert der Unterscheidung selbst schmieden. Jeder muss mit geistiger Willenskraft die beiden Stücke, das Todlose, Ewige, und das Vergängliche zusammen schmieden, um die Wahrheit kennen zu lernen.
Mysterium: Gottessohn mit Menschensohn verschmelzen (Einssein-Zwillinge).

30./31.Dezember:
Die Schlange am Schwertknauf: Weisheit.
Man soll sich mit erhabener Lektüre beschäftigen. Es ist die Nacht des großen Befehls.
Das Mysterium der Tätigkeit: Wer befiehlt über unsere Seele? Wer ist der Herr über unsere Seele, der Täter unserer Taten?
Wir haben die Freiheit.
Den guten Willen in uns stärken (Krebs).

31.Dezember/1.Januar:
Das Kreuz am Schwertknauf: das Opfer.
Umgürtet mit dem Schwert der Christuskraft spricht die Zunge die Wahrheit, ohne verletzen zu können. Es ist die Nacht des Entsetzens.
Mysterium: Der Ritter, der Streiter mit der Lanze des Willens und dem Schwert der Erkenntnis, der Hund als Symbol des Gehorsams ihm zur Seite. Hinter ihm Tod und Teufel. Auf bestimmter Stufe der Erkenntnis führt jeder falsche Schritt schneller ins Verderben.
Der Sieg wird errungen durch das Erfülltsein von der Göttlichkeit, dem Verantwortungsbewusstsein und der unermüdlichen Treue gegenüber den Aufgaben des Lebens (Löwe).

1./2.Januar:
Nun folgen die Nächte der Krone.
Loslösen von Nur-Intellekt oder die Loslösung des Intellekts von der irdischen Gebundenheit und Zweckhaftigkeit.
Es ist die dreimal heilige Nacht, in der das niedere Ich abfällt und nur der Wunsch bleibt zu dienen, sich hingeben zu dürfen (Jungfrau).

2./3.Januar:
Die Nacht, in der aus dem Dienen das größte Opfer erwächst.
Gehorchen – horchen – hören lernen auf die innere Stimme und die Zeichen des Göttlichen.
Mysterium: Der Rufer in uns durch die verschiedenen Inkarnationen hindurch.
Seine Klarheit durch Opfer und Entscheidung (Waage).

3./4.Januar:
Die Nacht: Der Kampf mit dem Hüter der Schwelle.
Mysterium: Die Gralsburg in uns aufbauen. Sich immer mehr in Treue zum Höchsten bekennen (Skorpion).

4./5. Januar:
In der Nacht wird die errungene Krone zu Füßen des Göttlichen niedergelegt, denn wir haben sie zwar selbst erkämpft, aber dass wir sie erringen durften ist Gnade, ist Gesetz des Geistigen. Denn Gnade ist Zustrom aus einer Quelle, die der Mensch aus menschlicher Kraft nicht zu zwingen vermag. Nun wird Anfang und Ende, einer raumlosen Zeit, zeitloser Raum, alles ist Ewiges, Heiliges jetzt.
Die zielstrebigen Kräfte des Schützen müssen so eingesetzt werden, dass er geistiges Gut in Empfang nehmen kann.

Das, was wir in den Zwölf Heiligen Nächten erkannt und empfangen haben, müssen wir nun in das Leben hineintragen und die Materie und das Seelische durchgeistigen.

Die Heiligen Zwölf Nächte sind entscheidend für das Leben und das Schicksal des ganzen kommenden Jahres.
In ihnen kann ein guter Keim unseres Wollens gelegt werden.
Besonders entscheidend ist, was wir uns in der Sylvesternacht vornehmen. In der Sylvesternacht gibt uns der Volksgeist für einige Augenblicke frei. Was wir dann denken, wird von den höchsten Hierarchien ergriffen – und es trägt die Kraft der Verwirklichung in sich.

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