„…die Frage nach dem Ursprung des Übels und des Bösen in der Welt“. Rudolf Steiner

Evtl. ist es sinnvoll, sich erst mit den Grundzügen der Anthroposophie vertraut zu machen:
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Einführung in die Anthroposophie. Rudolf Steiner
hier weiter
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RUDOLF STEINER

Geisteswissenschaft als Lebensgut GA 63
Zwölf öffentliche Vorträge
gehalten zwischen dem 30. Oktober 1913 und 23. April 1914
im Architektenhaus zu Berlin

Textauszug 7.Vortrag:
DAS BÖSE IM LICHTE DER ERKENNTNIS VOM GEISTE

Berlin, 15. Januar 1914

Was uns heute hier beschäftigen soll, ist im Grunde genommen eine uralte Frage der Menschheit: die Frage nach dem Ursprünge des Übels und des Bösen in der Welt. Und obwohl in unserer Gegenwart zahlreiche Menschen der Ansicht sein werden, daß diese Frage im Grunde genommen gar keine solche mehr darstellen kann, so wird doch die menschliche Seele immer wieder und wieder sich gedrängt fühlen sie aufzuwerfen. Denn es ist ja diese Frage keine solche, die nur von theoretisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten aus an unsere Seele herantritt; es ist vielmehr eine Frage, welcher die Menschenseele auf Schritt und Tritt im Leben begegnet, weil ihr Leben ebenso wie in das Gute, in das Wohltätige, so auch in das Übel und in das Böse hineingestellt ist. Man kann auf der einen Seite, man möchte sagen, die ganze Geschichte des menschlichen Denkens und Sinnens aufrollen, um sich davon völlig zu überzeugen, daß unsere Frage immer eine Frage der tieferen Geister der menschlichen Entwickelung war, und man kann auf der anderen Seite noch bedeutende, hervorragende Denker des neunzehnten Jahrhunderts und unserer Zeit studieren, und man wird finden, daß selbst bei diesen hervorragendsten Denkern Halt gemacht wird mit aller Philosophie, mit allem Erkenntnisstreben gerade vor dieser Frage. So wollen wir denn heute das, was sich in dem Vortrags-Zyklus dieses Winters aus der Geisteswissenschaft heraus ergeben hat, als eine Grundlage zu betrachten versuchen, von der ausgehend man sich vielleicht einer Antwort auf das Rätsel des Übels und des Bösen nähern kann.
Ich sage ausdrücklich «sich nähern kann»; denn was ich oftmals betonte – dieser bedeutungsvollen Frage gegenüber muß es ganz besonders gelten: Geisteswissenschaft eröffnet nicht nur die Blicke in Gebiete des Daseins, welche der äußeren Wissenschaft nicht erreichbar sind, sondern sie macht in einer gewissen „Weise auch bescheiden. Und gerade an einer solchen Frage werden wir vielleicht erfühlen können, daß es ein Leichtes ist, die höchsten Fragen aufzuwerfen, wie sie ja gewöhnlich aufgeworfen werden, wenn man gewissermaßen am Beginne des Erkenntnisstrebens ist, daß aber wirkliches Erkenntnisstreben dazu führt, vielfach nur die ersten Schritte zu zeigen zu den Wegen, auf denen man sich der Lösung der großen Lebensrätsel allmählich nähern kann.

Zuerst gestatten Sie mir, daß ich einiges vorausschicke, was klar machen soll, wie tief einschneidend diese Frage die Herzen und Seelen bedeutender Denker durch lange Zeiten hindurch beschäftigt hat. Wir könnten weit zurückgehen in der Menschheitsentwickelung; wir wollen aber zunächst nur hinweisen auf Denker in den letzten Jahrhunderten vor der Begründung des Christentums in Griechenland: auf die Stoiker, jene merkwürdige Denkergruppe, welche, auf den Anschauungen des Sokrates und des Plato fußend, die Frage zu beantworten versuchte: Wie muß sich der Mensch verhalten, der sich so in das Leben hineinstellen will, daß dies dem Innersten seines Wesens entspricht, gewissermaßen seiner ihm vorgezeichneten und für ihn erkennbaren Bestimmung? Dies können wir als die Grundfrage der Stoiker bezeichnen. Und als ein Ideal für den Menschen, der sich seiner Bestimmung gemäß in das Weltenall hineinzustellen bestrebt war, tauchte vor den Seelenaugen der Stoi-
ker das Ideal des Weisen auf. – Es würde zu weit führen, wenn man in ausführlicher Art das Ideal des stoischen Weisen schildern wollte, und wie es zusammenhängt mit der ganzen stoischen Weltanschauung. Aber das eine sei wenigstens hervorgehoben, daß im Stoizismus uns ein Bewußtsein davon entgegentritt, daß die menschliche Entwicklung dahin gehe, immer klarer und klarer des Menschen selbstbewußtes Wesen, des Menschen Ich-Bewußtsein herauszuarbeiten. Es sagte sich der stoische Weise:
Dieses Ich, durch welches der Mensch in völliger Klarheit sich in die Welt hineinzustellen vermag, dieses Ich kann getrübt werden, kann gleichsam sich selber betäuben; und es betäubt sich, wenn der Mensch in das Wellen- und Wogenspiel seines Vorstellens und Empfindens sein Affektleben zu stark hereinkommen läßt. Wie eine Art geistiger Ohnmacht erschien es dem Stoiker, wenn der Mensch die Klarheit seines Ich überfluten läßt, benebeln laßt von seinem Leidenschaftsund Affektwesen. Daher: niederhalten in der menschlichen Seele Leidenschafts- und Affektwesen, Erstreben der Ruhe und des Gleichmaßes, das führt im Sinne der Stoiker zur Befreiung von den geistigen Ohnmächten der Seele.

Man sieht: was hier öfter hervorgehoben werden mußte als die ersten Schritte auf dem Wege zu einer Erkenntnis der geistigen Welt, die ja auch darin bestehen, daß das wilde Gewoge des Affekt- und Leidenschaftswesens, das gleichsam eine geistige Ohnmacht erzeugt, niedergehalten wird und die Klarheit des seelischen Schauens herausgezogen wird aus dem ganzen seelischen Erleben -, was so dargestellt wurde als die ersten Schritte auf dem Wege, der dann in das geistige Schauen hineinführt, das schwebte den Stoikern vor.
Gerade diese Seite des stoischen Wesens, das in der Geschichte der Philosophie noch wenig herausgearbeitet worden ist, versuchte ich in der Neuauflage meiner
«Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert» mit Bezug auf den Stoizismus herauszuarbeiten. So schwebt in der charakterisierten Art der Leidenschaftsbezwinger, der Affektbezwinger als der Weise wie ein Ideal dem Stoizismus vor. Und derjenige, der so als Weiser sich in die Weltenentwickelung hineinstellt, erkennt im Sinne des Stoizismus, daß diese Weltenentwickelung fähig ist, ihn aufzunehmen, daß diese Weltenentwickelung wirklich auch von Weisheit durchdrungen ist, so daß er seine Weisheit gleichsam in die Fluten der Weltenweisheit untertauchen muß.
Immer, wenn also die Frage auftaucht: Wie stellt sich das menschliche Selbst in das ganze Gefüge der Weltordnung hinein? – entsteht daher die andere Frage: Wie läßt sich mit der Weisheit der Weltenordnung, die der Mensch voraussetzen muß, wenn er sich in sie hineinstellen will, dasjenige vereinigen, was als Übel in der Breite der Weltenerfahrung herrscht, und was als Böses sich dem Weisheitsstreben des Menschen entgegenstellen kann?
Nun stand vor dem Seelenauge der Stoiker das, was man später genannt hat die göttliche Vorsehung. Wie findet sich nun der Stoiker mit dem Übel und dem Bösen gegenüber diesen seinen Voraussetzungen ab?
Da taucht bei dem Stoiker schon etwas auf, was man auch heute noch, wenn man nicht in die Geisteswissenschaft selber eindringen will, sondern gleichsam nur bis zu den Pforten derselben geht, wie eine Art Rechtfertigung des Übels und des Bösen vorbringen kann; es tauchte vor dem Stoiker auf die Notwendigkeit der menschlichen Freiheit. Und nun sagte er sich: Wenn der Mensch das Ideal des Weisen aus seiner Freiheit heraus erstreben soll, muß ihm die Möglichkeit geboten sein, es auch nicht zu erstreben. Freiheit muß liegen in seinem Streben nach dem Ideal des Weisen. Damit aber muß gegeben sein, daß er auch bleiben könne bei demjenigen, aus dem er herausstreben soll; damit muß gegeben sein, daß er gleichsam untertauchen könne in das Affekt- und Leidenschaftswesen.
Dann taucht er eben unter, meinte der Stoiker, in ein Reich, das zunächst nicht sein Reich ist, das eigentlich ein Reich unter seinem Wesen ist. Und der weisen Weltenordnung vorwerfen zu wollen, daß der Mensch so untertauchen könne in ein Reich, das unter ihm ist, das wäre ebenso gescheit, als wenn man der weisen Weltenordnung vorwerfen wollte, daß es unter dem Menschen ein Reich der Tiere, Pflanzen und Mineralien gibt.
Daß es ein Reich gibt, in das der Mensch untertauchen kann, das seiner Weisheit entrückt ist, wußten die Stoiker; daß er selber aber aus ihm emportauchen kann, muß seine eigene freie Wahl, seine Weisheit sein.

Man sieht: der Begriff vieler vor dem Tore der Geisteswissenschaft gelegenen Antworten nach der Bedeutung des Bösen liegt schon in der alten stoischen Weisheit; und man kann nicht sagen, daß in bezug auf die Erfassung des Bösen als solchem die späteren Jahrhunderte einen wirklichen Fortschritt zeigen. Das kann sich uns gleich herausstellen, wenn wir zu einem Geist gehen, der sonst ein außerordentlich bedeutender Geist ist, der in der Zeit nach der Begründung des Christentumes lebte und auf die Gestaltung des abendländischen Christentums einen großen Einfluß genommen hat: zu Augustinus. Auch Augustinus muß über die Bedeutung des Bösen in der Welt nachdenken, forschen; und er kommt zu einem eigentümlichen Ausdruck: daß das Übel ebenso wie das eigentliche Böse gar nicht eigentlich da seien, sondern daß sie etwas bloß Negatives seien, daß sie die Negation des Guten seien. Es sagte sich also Augustinus:
Das Gute ist etwas Positives; aber da ein endliches Wesen in seiner Schwachheit das Gute nicht immer
ausführen könne, so begrenze sich das Gute; und dieses begrenzte Gute brauche man ebensowenig als etwas Positives erklären, wie man den Schatten, der durch das Licht hervor gerufen würde, als etwas Positives erklären würde. Wenn man den Kirchenvater Augustinus also über das Böse reden hört, so wird man eine solche Antwort gegenüber dem, was man heute bei einem schon durch einige Jahrhunderte vorgeschrittenem Denken sich vorstellen könnte, vielleicht naiv finden. Aber wie es eigentlich mit der Frage nach der Bedeutung des Bösen steht, kann uns daraus hervorgehen, daß noch in unseren Tagen ein Gelehrter genau dieselbe Antwort gegeben hat: Campbell, der die sogenannte «Neue Theologie» geschrieben hat, und dessen Werke in gewissen Kreisen großes Aufsehen gemacht haben. Auch er glaubt, daß man nach dem Übel und dem Bösen nicht fragen könne, weil sie nichts Positives darstellten, sondern etwas bloß Negatives seien. Auf haarspalterische, philosophische Deduktionen zur Widerlegung der Augustinisch-Campbellschen Anschauung wollen wir uns nicht einlassen. Denn für jeden, der unbefangen und vorurteilslos denken kann, steht ja diese Antwort von der bloßen Negativitat des Übels auf demselben Boden, wie die Antwort, die jemand geben würde, der da sagte: Was ist denn die Kälte? Kälte ist nur etwas Negatives, nämlich die Abwesenheit der Wärme. Deshalb kann man von ihr nicht als von etwas Positivem sprechen. Zieht man sich aber, wenn es kalt ist, keinen Pelz oder Winterrock an, so wird man dann schon dieses Negative als etwas sehr Positives verspüren! Durch dieses Bild mag völlig klar werden, wie wenig man mit der wahrhaftig nicht tiefgehenden Antwort zurecht kommt, die ja auch große Philosophen des neunzehnten Jahrhunderts gegeben haben: daß man es gegenüber dem Übel und dem Bösen mit nichts Positivem zu tun habe. Mag sein, daß man es dabei mit
nichts Positivem zu tun hat; aber dieses «Nicht-Positive» ist gerade ebenso negativ, wie etwa die Kälte gegenüber der Wärme.

Nun könnte man auch eine ganze Gruppe anderer Denker anführen, die durch die Vorbereitungen ihres Seelenlebens schon, man möchte sagen, demjenigen nahekommen, was nun die Geisteswissenschaft zu sagen hat. Man könnte unter diesen zum Beispiel Plotin anführen, den Neuplatoniker, der in der nachchristlichen Zeit lebte und noch auf den Prinzipien des Plato fußte; und mit ihm führt man zugleich eine große Zahl anderer Denker an, die über das Böse und das Übel in der Welt nachgedacht haben.
Sie versuchten sich klar zu machen: Der Mensch sei zusammengefügt aus einem Geistigen und einem Materiell-Leiblichen. Durch das Untertauchen in das Leibliche nehme der Mensch teil an den Eigenschaften der Materie, die von vornherein Hindernisse und Hemmnisse der Betätigung des Geistes entgegenstellt. In diesem Untertauchen des Geistes in die Materie liegt eben der Ursprung des Bösen im menschlichen Leben; aber es liegt darin auch der Ursprung des Übels in der äußeren Welt.
Daß eine solche Anschauung nicht etwa bloß in einzelnen Denkerköpfen wie etwas Befriedigendes auf die große Frage nach der Bedeutung des Übels und des Bösen in der Welt gefühlt wurde, sondern weit verbreitet ist, das mag eine Bemerkung erläutern, die ich nicht unterdrücken will, weil sie vielleicht gerade unsere Situation klar legt.
Ich will auf einen Denker aus einer ganz anderen Region verweisen: auf den bedeutenden japanischen Denker, den Schüler des chinesischen Denkers Wang-Yang-Ming, Nakae Toju.
Für ihn besteht alles, was sich uns an Welterfahrungen darbietet, aus zwei Dingen, aus zwei, man möchte sagen, Wesenheiten. Die eine Wesenheit ist für ihn so, daß er zu ihr aufschaut wie zu dem Geistigen, und er läßt die menschliche Seele an dem Geistigen teilnehmen; diese Wesenheiten nennt er Ri. Dann sieht er hin zu dem, was sich am Menschen leiblich darstellt, und läßt die Leiblichkeit an allem teilnehmen, woraus sie auf erbaut ist aus der Materie heraus; diese Wesenheit nennt er Ki Und aus der besonderen Zusammensetzung von Ri und Ki entstehen ihm alle Wesen. Die Menschheit ist für diesen Denker des Ostens, der in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gelebt hat, teilhaftig sowohl an dem Ri als an dem Ki. Dadurch aber, daß die Menschenseele in ihrem Erleben mit ihrem Ri untertauchen muß in das Ki, strömt ihr aus dem Ki das Wollen entgegen – und mit dem Wollen das Begehren. Damit ist die Menschenseele in ihrem Leben verstrickt im Wollen und Begehren, und damit steht sie vor der Möglichkeit des Bösen. –
Nicht weit ist dieser Denker des Ostens, der erst verhältnismäßig kurze Zeit vor uns, wie gesagt, in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts gelebt hat, nicht weit ist er von dem entfernt, was man im Abendlande, in den Zeiten des Neu-platonismus, des Plotin zum Beispiel, als den Ursprung des Bösen darzustellen versucht hat: die Verstrickung des Menschen in die Materie. Wir werden nachher sehen, daß es wichtig ist, einmal auf diese Art hinzuweisen, sich die Frage nach dem Ursprung des Bösen zu beantworten mit der Verstrickung des Menschen in die Materie. In den weitesten Kreisen des menschlichen Denkens tritt uns gerade dieses entgegen.
Ein Denker des neunzehnten Jahrhunderts, der wahrhaftig zu den bedeutendsten gehört, versuchte sich mit dem Übel und dem Bösen auseinanderzusetzen, und die Hauptgedanken seines Denkens möchte ich kurz darstellen. Er sah in der Welt um sich herum Teile des Übels, Teile des menschlichen Bösen, und er stand als ein Philosoph, bei dem insbesondere die Gemütseigenschaften tief ausgebildet waren, vor dem Übel und dem Bösen:
Hermann Lotze, einer der bedeutendsten Denker des neunzehnten Jahrhunderts, der den sehr bedeutenden «Mikrokosmos» zum Beispiel und andere für das neunzehnte Jahrhundert bedeutsame philosophische Werke geschrieben hat. Versuchen wir uns vor die Seele zu rufen, wie Hermann Lotze, also einer unserer bedeutendsten Zeitgenossen, vor dem Problem des Bösen steht. Er sagt sich: Wegleugnen läßt sich das Böse nicht. Wie hat man sich die Frage nach dem Bösen zu beantworten versucht? Man hat zum Beispiel gesagt, daß das Übel und das Böse im Leben da sein müsse; denn nur dadurch, daß sich die Menschenseele aus dem Bösen herausarbeite, könne man sie erziehen. Da nun Lotze nicht zu den Atheisten gehört, sondern einen die Welt durchlebenden und durchwebenden Gott annimmt, so sagt er: Wie muß man sich also im Sinne der Erziehungsidee zu dem Bösen und dem Übel stellen? Man müsse annehmen, daß Gott das Böse und das Übel gebraucht hätte, um die Menschen herauszuarbeiten und zum freien Gebrauch ihrer Seele zu erheben. Das konnte nur geschehen, indem sie selbst diese innere Arbeit verrichteten, indem sie selbst diesen inneren Zustand erlebten, der in dem Herausarbeiten aus dem Bösen besteht, und dadurch erst, selbstbewußt ihr wahres Wesen und ihren wahren Wert erkennen lernten. –
Lotze wendet zugleich dagegen ein: Wer eine solche Antwort gibt, berücksichtige vor allem nicht die Tierwelt, in welcher uns wahrhaftig nicht nur das Übel, sondern auch das Böse im umfassenden Sinne entgegentreten. Wie tritt uns in der Tierwelt Grausamkeit, wie tritt uns alles, was, in das Menschenleben heraufgenommen, zu den furchtbarsten Lastern werden kann, überall in der Tierwelt entgegen! Wer aber vermöchte der Tierwelt gegenüber die Erziehung ins Feld zu führen, die ja bei der Tierwelt nicht
angeführt werden kann?
So weist Lotze die Idee der Erziehung ab. Insbesondere macht er darauf aufmerksam, daß der Allmacht seines Gottes diese Erziehungsidee widersprechen würde; denn nur dann habe man nötig, meint Lotze, das Bessere in einem Wesen aus dem Schlechten herauszuarbeiten, wenn man erst das Schlechte gegeben hat.
Aber das würde der Allmacht des Gottes widersprechen: erst das Schlechte herausarbeiten zu müssen, gleichsam zur Vorbereitung, um dann das Gute darauf auferbauen zu können. So wendet sich denn Lotze dahin zu sagen: Vielleicht müsse man diejenigen mehr berücksichtigen, welche da sagen: Dasjenige, was böse, was schlecht ist, was ein Übel ist, das ist dies nicht durch die Allmacht Gottes, nicht durch den Willen irgend eines bewußten Wesens; sondern es ist mit dem, was in der Welt existiert, das Übel so verbunden, wie zum Beispiel die Tatsache, daß die drei Winkel eines Dreieckes zusammen 180° betragen, mit einem Dreieck verbunden ist.
Wenn Gott also überhaupt eine Welt schaffen wollte, mußte er sich richten nach dem, was ohne ihn wahr ist, daß mit irgendeiner Welt, die er schaffen wollte, das Böse und das Übel verbunden ist. Er mußte also, wenn er überhaupt eine Welt schaffen wollte, das Böse und das Übel mitschaffen. –
Dagegen wendet Lotze ein: Dann aber beschränken wir erst recht das, was man als das Wirken und Weben eines göttlichen Wesens durch die Welt annehmen könne. Denn wenn man die Welt betrachtet, dann muß man sagen: Nach den allgemeinsten Gesetzen, nach dem, wie man sich die Welterscheinungen durchdenken kann, wäre sehr wohl eine Welt denkbar ohne das Übel und das Böse. Wenn man die Welt betrachte, müsse man gerade sagen, gegen eine eigentliche Freiheit verstoße das Böse; es müsse also gerade durch die Willkür, durch die Freiheit des göttlichen Wesens hervorgerufen werden.

Wir könnten noch anderes anführen, was Lotze und andere Denker – Lotze ist hier nur als Typus angeführt -gegenüber dem Problem und dem Rätsel des Bösen gesagt haben. Ich will nur auf das aufmerksam machen, wohin Lotze zuletzt kommt, weil das nachher für uns wichtig sein wird.,
So wendet sich Lotze gegen den deutschen Philosophen Leibniz, der ja eine «Theodizee», das heißt die Rechtfertigung Gottes gegenüber dem Übel, geschrieben hat und die Anschauung vertreten hat, daß diese Welt, wenn sie auch viel Übel enthalte, doch die bestmöglichste der Welten sei. Denn wäre sie nicht die bestmöglichste, meint Leibniz, so müsse entweder Gott die bestmöglichste Welt nicht gekannt haben – das verstößt gegen seine Allwissenheit; oder aber er müßte sie nicht haben schaffen wollen, das verstößt gegen seine Allgüte; oder er müßte sie nicht haben schaffen können – das verstößt gegen seine Allmacht.
Nun sagt Leibniz, da man im Denken gegen diese drei Prinzipien Gottes nicht verstoßen könne, so müsse man annehmen, daß die Welt die bestmöglichste sei. – Dagegen wendet nun Lotze ein: jedenfalls könne man nicht von einer Allmacht Gottes sprechen, wenn man in der Welt, wo doch Übel sind und Böses waltet, diese für einen Ausfluß Gottes halte. Daher müsse man sagen, so meint Lotze, Leibniz habe die Allmacht Gottes beschränkt und dadurch sich die Lehre von der bestmöglichsten der Welten erkauft.
Nun meint Lotze, gebe es noch einen Ausweg. Man müsse sagen: Im großen ganzen zeige sich überall, wenn man den Kosmos betrachtet, Ordnung und Harmonie; nur im einzelnen sehe man Übel und Böses. Da sagt Lotze: Was aber kann man auf eine Anschauung geben, die eigentlich bloß von der Anschauung der Menschen abhängt? Denn von einer Welt, wo im großen und ganzen Ordnung und Harmonie herrschen, die man bewundern könne, und wo im einzelnen
Übel und Böses wie schwarze Flecken sich zeigen, könne man den Ausdruck gebrauchen: Was sagt es, wenn im großen und ganzen Ordnung und Harmonie in einer Welt herrschen, und im einzelnen überall Übel und Böses zu finden ist? Da meint dann Lotze – und das ist die Spitze seiner Ausführungen, zu der wir hintendieren wollen-, man sollte sich doch lieber das eine sagen:

Das Übel und das Böse sind doch in der Welt; es muß weise sein, daß das Übel wie das Vortreffliche, das Böse wie das Gute da seien; wir können nur diese Weisheit nicht einsehen. Also sind wir gezwungen, dem Übel und dem Bösen gegenüber eine Grenze unseres Erkennens anzunehmen. Es müsse doch Weisheit geben, welche nicht die menschliche Weisheit ist, meint Lotze, Weisheit, zu der wir nur nicht kommen können, und die die Übel rechtfertigt.

Also in eine unbekannte Welt der Weisheit versetzt Lotze das weisheitsvolle Begreifen des Übels und des Bösen.

Ich habe ausdrücklich wenigstens diese, für viele mehr oder weniger pedantischen Auseinandersetzungen gemacht, weil sie uns zeigen, mit welchen Waffen man sich dem Begreifen des Übels und des Bösen im philosophischen Denken der Menschheit zu nähern versucht hat, und wie man dort immer wieder und wieder zu dem Geständnis gekommen ist:
diese Waffen erweisen sich gegenüber einem Rätsel, das uns auf Schritt und Tritt im Leben begegnet, doch recht stumpf, ja, wie Lotze sagt, als völlig ungeeignet.

Nun gibt es ja auch andere Denker, die noch weiter als etwa Plotin hineinzuschürfen versuchten in das, was schon Untergründe des Daseins sind, die nur zu erreichen sind durch eine gewisse Entwicklung der Seele zu höherem Erkenntnisvermögen hinauf.
Ein solcher Denker ist Jakob Böhme. Und nähert man sich Jakob Böhme, so nähert man sich allerdings einem Geiste des sechzehnten, siebzehnten Jahrhunderts, in den nicht viele mehr in unserer Zeit eindringen wollen, obwohl man ihn heute wieder als eine Art Kuriosität betrachtet. Jakob Böhme versuchte einzudringen in die Tiefen der Welt und ihre Erscheinungen bis dahin, wo er in sich selber etwas aufgehend fühlte wie eine Art Theosophie, von einer Art Gottesanschauung im eigenen Innern; und nun versuchte er sich klar zu machen, wie das Böse und das Übel hinein zu verfolgen sind bis in die tiefsten Untergründe der Welt, wie Übel und Böses nicht bloß etwas Negatives sind, sondern gewissermaßen in den Untergründen des Welt- und Menschendaseins wurzeln.
Das göttliche Wesen sieht Jakob Böhme so an, daß in ihm, wie er sagt – man muß sich an seine Ausdrucksweise erst gewöhnen – eine «Schiedlichkeit» auftreten muß. Ein Wesen, welches gleichsam seine Tätigkeit nur hinausfluten läßt in die Welt, konnte nie zum Erfassen seiner selbst kommen. Es mußte sich diese Tätigkeit an irgend etwas, man möchte sagen, stoßen.
Im kleinen nehmen wir im Grunde genommen jeden Morgen beim Aufwachen das wahr, was Jakob Böhme in diese seine Vorstellung einbezieht. Wenn wir aufwachen, sind wir gewissermaßen in der Lage, aus unserm Geistig-Seelischen in unbegrenzte Weiten hinaus unsere geistig-seelische Tätigkeit zu entfalten. Da stoßen wir mit unserer geistig-seelischen Tätigkeit an unsere Umgebung. Dadurch, daß wir an unsere Umgebung stoßen, werden wir unser selbst gewahr. Der Mensch wird überhaupt nur in der physischen Welt seiner selbst gewahr, indem er sich sozusagen an den Dingen stößt. Das göttliche Wesen kann kein solches sein, das sich an anderen stößt. Es muß seinen Widerpart, oder wie Jakob Böhme in vielen Wendungen sich ausdrückt, sein «Nein» seinem «Ja» gegenüber sich selbst setzen. Es muß seine ins Unendliche hinausflutende Tätigkeit in sich begrenzen. Es muß in sich «schiedlich», das heißt
unterschieden werden, muß sich gleichsam an einem bestimmten Punkte des Umkreises seiner Tätigkeit den eigenen Gegensatz erschaffen; so daß sich für Jakob Böhme notwendig das göttliche Wesen, damit es seiner selbst gewahr werden kann, selbst seinen Widerpart erschafft.
Durch die Teilnahme nun eines kreatürlichen Wesens, meint Jakob Böhme, nicht nur an dem, was von dem göttlichen Wesen herausströmt, sondern was sich das göttliche Wesen notwendigerweise als seinen Widerpart schaffen muß, entsteht das Böse, entstehen überhaupt alle Übel in der Welt. Das göttliche Wesen setzt sich seinen Widerpart, um seiner selbst gewahr zu werden. Da kann noch nicht vom Übel und vom Bösen gesprochen werden, sondern nur von den notwendigen Bedingungen des Gewahrwerdens des Göttlichen seiner selbst. Aber indem Kreatürliches entsteht, und indem dieses Kreatürliche sich nicht bloß hineinbettet in das hinausflutende Leben, sondern teilnimmt am Widerpart, entsteht das Böse und das Übel.

Befriedigend wird gewiß für den, der geisteswissenschaftlich versucht in die Geheimnisse des Daseins einzudringen, eine solche Antwort nicht sein. Sie ist auch hier nur angeführt, um zu zeigen, bis zu welchen Tiefen ein sinniger Denker geht, wenn er nach dem Ursprünge des Bösen in der Welt forscht. Und so konnte ich vieles anführen, das uns mehr zeigen könnte, wie man sich den Rätseln, die im Übel und Bösen liegen, zu nähern versucht, als daß man etwa aus der Welt sich Antwort entgegenleuchten gefunden hatte.

Wenn wir nun an das anknüpfen, was uns gleichsam wie ein Bekenntnis eines hervorragenden Denkers des neunzehnten Jahrhunderts entgegengetreten ist, das Bekenntnis Lotzes, so können wir etwa das Folgende sagen. Lotze ist der Ansicht, es muß irgendwo eine Weisheit geben, welche das Übel und das Böse rechtfertigt. Aber der Mensch ist in seinem Erkenntnisvermögen beschränkt; er kann nicht in diese Weisheit eindringen. –

Stehen wir da nicht vor dem, was wir oft erwähnen mußten: daß es sozusagen ein beliebtes Vorurteil in unserer Zeit ist, das menschliche Erkenntnisvermögen so hinzunehmen, wie es einmal ist, und gar nicht darauf zu reflektieren, daß es etwa aus dem Zustande, in welchem es in der Alltäglichkeit ist, herauskommen könne, sich über sich selbst erheben könne, daß es sich entwickeln könne, um in andere Welten hinein zu schauen, als in die Welt des bloß Sinnlichen und des an die Sinne geknüpften Verstandes?

Vielleicht stellt sich uns gerade heraus, daß so bedeutsame Fragen wie die nach dem Ursprünge des Bösen ihre Antworten deshalb nicht finden konnten, weil man gegenüber der Erkenntnis, die sich an die Sinne wendet und an den Verstand, der an die Sinneswelt gebunden ist, sich sträubte, über diese Erkenntnis hinauszuschreiten zu einer anderen Erkenntnis, die auf den Wegen gefunden werden muß, von denen hier jetzt öfter gesprochen worden ist, auf den Wegen, durch welche die Menschenseele hinübergelangt über das, was sozusagen ihre alltägliche und gewöhnliche wissenschaftliche Anschauung ist.
Wir haben oft von der Möglichkeit gesprochen, daß die Menschenseele sich losringt von ihrer Leiblichkeit, daß sie wirklich jene geistige Chemie vollziehen könne, die eben das Geistig-Seelische im Menschen loslöst von dem Leiblichen, wie die äußere Chemie den Wasserstoff aus dem Wasser.
Wir haben davon gesprochen: Wenn der Mensch so sein Geistig-Seelisches loslöst von dem Körperlich-Leiblichen, so daß er sich erhebt im Geistigen und seiner Leiblichkeit mit seinem Geistig-Seelischen gegenübersteht, wenn er also mit dem Seelisch-Geistigen außerhalb des Leibes ist und in einer geistigen Welt wahrzunehmen vermag, dann allerdings kann er durch die unmittelbare Erfahrung, nicht inner-, sondern außerhalb seines Leibes, in die Tiefen der Welt hineinschauen, soweit sie ihm gegenüber dieser Erkenntnis zugänglich sind.
Da dürfen wir uns vielleicht fragen: Was tritt uns denn entgegen, wenn wir diesen Weg der Geistesforschung wirklich zu gehen versuchen, den Weg, der öfter hier geschildert worden ist, und den Sie ausführlich in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» dargestellt finden? Zu welchen Erfahrungen gelangt man, wenn man diesen Weg wirklich geht, um außersinnlicher Welten teilhaftig zu werden?

Nun wird uns insbesondere interessieren, wie sich zu diesem Wege dasjenige stellt, was man im gewöhnlichen Leben das Böse nennt. Wir brauchen ja nur auf das gewöhnliche Böse, was man im Alltage das Böse nennt, etwas hinzuschauen. Da stellt sich heraus, wenn der Geistesforscher sich auf seinen Weg begibt, um in höhere Welten hinaufzusteigen, um wirklich mit seinem Geistig-Seelischen herauszukommen aus dem Leiblichen und leibfrei wahrzunehmen,
daß dann alles dasjenige, auf was er zurückblicken muß als auf ein Böses, ja, nur auf ein Unvollkommenes im Leben, ihm die schwersten Hindernisse auf seinen Weg gibt. Die schwersten Hemmnisse kommen von dem, worauf man zurückblicken muß als auf etwas Unvollkommenes. Damit will ich nicht sagen, daß etwa die hochmütige Lehre daraus folgte, daß jeder, der dazu gelangt, als Geistesforscher in die geistige Welt hineinzuschauen, sich einen vollkommenen Menschen nennen dürfe. Das soll damit nicht gesagt sein. Aber es soll wiederholt sein, was schon einmal sehr eindringlich hervorgehoben worden ist:
daß der Weg zur Geistesforschung in gewissem Sinne ein Martyrium ist, und dies auch gerade aus dem Grunde, weil man in dem Augenblick, in dem man mit dem Geistig-Seelischen aus dem Leiblichen herauskommt und der geistigen Welt teilhaftig wird, zurückblickt auf sein Leben mit seinen Unvollkommenheiten und nun weiß:
Diese Unvollkommenheiten trägst du mit dir wie der Komet seinen Kometenschweif; die trägst du in dir mit hinüber in andere Leben und mußt sie auszugleichen suchen in späteren Leben. Das, worüber du bis jetzt geschritten bist, ohne ein Bewußtsein davon zu haben, das schaust du jetzt. Du weißt, was dir bevorsteht. –

Dieses tragische Hinschauen auf das, was man im gewöhnlichen Leben ist, hängt einem an, wenn man den Weg in die geistige Welt hinauf sucht. Hängt es einem nicht an, so ist es nicht der wahre Weg in die geistige Welt. In der Tat muß man sagen: ein gewisser Ernst des Lebens beginnt, wenn man in die geistige Welt hineinsteigt. Und wenn man auch nichts anderes gewinnt, das eine gewinnt man: daß man das eigene Böse und die eigenen Unvollkommenheiten mit einer unendlichen Klarheit erblickt.
So möchte man sagen: man gewinnt eine Erfahrungserkenntnis von Unvollkom-menheit und Bösem schon bei den allerersten Schritten, die man in die geistige Welt hinauf macht.

Woher kommt das? Wenn man näher zusieht, woher dies kommt, so findet man dabei den Grundzug sozusagen alles menschlichen Bösen. In meiner letzten Schrift «Die Schwelle der geistigen Welt» versuchte ich gerade auf diesen Grundzug des Bösen hinzudeuten, insofern es aus dem Menschen hervorgeht. Der gemeinsame Grundzug alles Bösen ist doch nichts anderes als Egoismus. – Wenn ich dieses im einzelnen nachweisen wollte, was ich jetzt ausführen will, so müßte ich allerdings viele Stunden sprechen; aber ich will es nur hinstellen, und jeder mag die angeschlagenen Gedankengänge selbst weiterverfolgen. Sie werden ja auch weiter verfolgt werden im nächsten Vortrage, wo über die «Sittliche Grundlage des Menschenlebens» gesprochen werden soll.
Im Grunde genommen geht alles menschliche Böse aus dem hervor, was wir den Egoismus nennen. Wir mögen von den geringsten Kleinigkeiten, die wir als menschliche Versehen ansehen, bis zu den stärksten Verbrechen hin alles verfolgen, was menschliche Unvollkommenheiten und menschliches Böses sind, ob es sich uns darstellt scheinbar mehr von der Seele herkommend oder scheinbar mehr von der Leiblichkeit kommend, der gemeinsame Grundzug, von dem Egoismus herrührend, ist überall da.

Wir finden die eigentliche Bedeutung des Bösen, wenn wir es verknüpft denken mit dem menschlichen Egoismus; und wir finden alles Hinausstreben über Unvollkommenheiten und Böses, wenn wir dieses Hinausstreben in der Bekämpfung dessen sehen, was wir den Egoismus nennen. Viel ist nachgedacht worden über diese oder jene ethischen Prinzipien, über diese oder jene Moralgrundlagen; gerade das zeigt sich aber, je tiefer man in ethische Prinzipien und in Moralgrundlagen untertaucht, daß der Egoismus die gemeinsame Grundlage alles menschlichen Bösen ist. Und so darf man sagen: der Mensch arbeitet sich aus dem Bösen hier in der physischen Welt um so mehr heraus, je mehr er den Egoismus überwindet…

Kurzauszüge:

MYSTERIUM DES BÖSEN
GA 185, 4.Vortrag:

(102) „Jetzt, wo der Christus wiederum im Ätherischen erscheinen soll, wo wiederum eine Art Mysterium von Golgatha erlebt werden soll, jetzt wird das Böse eine ähnliche Bedeutung haben wie Geburt und Tod für den vierten nachatlantischen Zeitraum. Im vierten nachatlantischen Zeitraum entwickelte der Christus Jesus seinen Impuls für die Erdenmenschheit aus dem Tode heraus. Und man darf sagen: Aus dem erfolgten Tode heraus wurde das, was in die Menschheit einfloß. – So wird aus dem Bösen heraus auf eine sonderbare, paradoxe Art die Menschheit des fünften nachatlantischen Zeitraums zu der Erneuerung (103) des Mysteriums von Golgatha geführt. Durch das Erleben des Bösen wird zustandegebracht, daß der Christus wieder erscheinen kann, wie er durch den Tod im vierten nachatlantischen Zeitraum erschienen ist.
(103) Dazu, um dies einzusehen, müssen wir – wir haben ja da und dort schon einiges aufflackern lassen von dem Mysterium des Bösen -, müssen wir nun über das Mysterium des Bösen im Zusammenhange mit dem Mysterium von Golgatha ein wenig sprechen. Das wird nun das nächste Historische sein, daß wir über den Zusammenhang des Mysteriums des Bösen mit dem Mysterium von Golgatha sprechen.“

GA 185, 5. Vortrag, Seiten 105-124: Hier: Zusammenfassung über das Mysterium des Bösen
(119) Die Menschen werden einander verdauen müssen auf dem Gebiete des Wollens. Die Menschen werden einander atmen müssen auf dem Gebiete des Fühlens. Die Menschen werden einander farbig empfinden müssen auf dem Gebiete des Verstehens durch die Sprache. Die Menschen werden einander als Ich kennenlernen, indem sie sich wirklich anschauen lernen. Aber alle diese Kräfte werden mehr innerlich-seelisch sein. Denn daß sie sich voll ausbilden, diese Kräfte, dazu wird die Jupiter-, Venusund Vulkanperiode da sein. Andeutungen von all dem, seelisch-geistige Andeutungen von all dem fordert aber schon die Erdenentwickelung von den Menschen. Und die gegenwärtige Zeit mit ihrer merkwürdigen katastrophalen Entwickelung ist ein Sträuben der Menschheit gegen dasjenige, was mit solchen Dingen kommen soll, wie ich sie jetzt besprochen habe. Die Menschheit bäumt sich auf, indem in der Zukunft überwunden werden soll alles soziale Sonderbestreben, bäumt sich heute dagegen auf, gerade indem der billige Grundsatz über die ganze Welt hin geschleudert wird, die Menschen sollen sich nach Nationen gruppieren. Was heute geschieht, das ist ein Aufbäumen gegen den gottgewollten Gang der Menschheitsentwickelung, das ist ein SichZerren zum Gegenteil desjenigen, was doch kommen muß. In diese Dinge muß man hineinschauen, wenn man eine Grundlage gewinnen will für das sogenannte Mysterium des Bösen. Denn das Böse ist vielfach eine Nebenwirkung desjenigen, was in die Entwickelung der Menschheit hineingreifen muß. Eine Lokomotive, welche, wenn sie ziemlich weithin fahren soll, auf schlechte Schienen kommt, zerstört die Schienen, kommt selber zunächst nicht weiter. Die Menschheit ist in ihrer Entwickelung zu solchen Zielen hin, wie ich es Ihnen geschildert habe, und die Aufgabe des Bewußtseinszeitalters ist es, so etwas zu erkennen, daß die Menschheit bewußt solchen Zielen entgegenstreben muss“
Copyright Rudolf Steiner Nachlass-Verwaltung Buch: 185 Seite: 119

Aus Handbuch zum Werk R. St. Von Christian Klar:
TOD UND GEBURT; das BÖSE
So wie der Mensch des vierten nachatlantischen Zeitalters Tod und Geburt aufgrund seiner natürlichen Entwickelung bewusst sah, muss der Mensch heute Geburt und Tod im Äußeren verstehen durch die Anschauung von den wiederholten Erdenleben. Heute wird im menschlichen Inneren das Böse entwickelt, durch dessen Erleben der Mensch zu einer Erneuerung des Mysteriums von Golgatha geführt wird und Christus wieder (Im Ätherischen ) erscheinen kann.
5. DAS BÖSE
Die kosmische Aufgabe der todbringenden Kräfte ist es, den Menschen zur Bewusstseinsseele zu befähigen.
Mit den Kräften des Bösen wird sich der Mensch erst teilweise auf dem Jupiter völlig verbinden.
Mit Beginn des Bewusstseinsseelen-Zeitalters lebt im Unterbewussten jedes Menschen die Neigung zum Bösen. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass er spirituelles Leben künftig aufnehmen kann.
Über die sich in der fünften bis siebten Epoche anbahnenden Änderungen in dem Verhältnis von Mensch zu Mensch, die auf dem Jupiter zur vollen Ausbildung kommen werden:
1. Erkennen des menschlichen Ichs in bildhafter Art;
2. Verständnis der Seele des anderen durch die Sprache hindurch;
3. Regulierung des Atmens nach dem Gefühlsleben des anderen Menschen;
4. Das Ineinanderaufgehen im Wollen.

URSACHE DES BÖSEN
GA 132, 3. Vortrag, vom 14.11.1911
Auszug aus Handbuch zum Werk R. St. Von Christian Klar:
Das Opfer der Throne (auf dem alten Saturn begonnen) dauert auf der (alten) Sonne fort. Ein Teil der Cherubim verzichtete darauf (auf die Aufnahme des Opfers), entreißt sich damit der Zeit und verleibt sich die Ewigkeit (dadurch) ein. Dieser Vorgang bereitet sich schon auf dem alten Saturn vor, ist aber erst auf der Sonne deutlich erkennbar. Diese Resignation liegt dem flüssigen Element des Mondenzustandes zugrunde.
Wesen, die bisher in den Cherubim waren, können durch den Verzicht der Cherubim zurückbleiben und bemächtigen sich der nicht aufgenommenen Opfersubstanz, werden dadurch selbständig: luziferische Wesenheiten. Die Ursache des Bösen aber auch der Freiheit ist also nicht das Zurückbleiben dieser Wesenheiten, sondern der „vorausschauende “ Verzicht der ‚guten‘ Götter. Dadurch, dass diese sich aber die Ewigkeit errungen hatten, haben sie auch die Macht, das Böse wieder in das Gute zurückzuführen.
In den Wesen, deren Opfer (Throne) von den Cherubim zurückgewiesen wird, wird dadurch ein unbefriedigter Wille, Sehnsucht verursacht, damit auch der erste Ansatz von Egoität, Egoismus. …

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Rudolf Steiner – Seiten des „Ich“:
„Wenn jetzt schon wiederholt davon gesprochen worden ist, daß unsere sieben Kulturstufen ihr Ende finden werden durch den Krieg aller gegen alle, so müssen wir uns einen solchen Krieg aller gegen alle eigentlich ganz anders vorstellen, als man bis jetzt gewohnt ist, sich Kriege vorzustellen. Wir müssen nur einmal ins Auge fassen, was die Grundlage, die eigentliche Ursache dieses Krieges ist. Diese Grundlage oder Ursache ist das Überhandnehmen des Egoismus, der Ichsucht, der Selbstheit der Menschen. Und wir sind ja nunmehr in unseren Betrachtungen so weit fortgeschritten, daß wir gesehen haben, welch zweischneidiges, scharfes Schwert dieses Ich des Menschen ist. Wer nicht begreift, daß dieses Ich ein zweischneidiges Schwert ist, der wird kaum den ganzen Sinn der Menschheits- und Weltenentwickelung verstehen. Auf der einen Seite ist dieses Ich die Ursache dessen, daß die Menschen in sich selbst sich verhärten, daß sie alles, was ihnen zur Verfügung stehen kann an äußeren Dingen und inneren Gütern, in den Dienst dieses ihres Ichs einbeziehen wollen. Es ist dieses Ich die Ursache, daß sich alle Wünsche des Menschen darauf richten, dieses Ich als solches zu befriedigen. Wie dieses Ich danach strebt, einen Teil des gemeinsamen Erdenbesitzes an sich heranzubringen als sein Eigentum, wie dieses Ich danach strebt, aus seinem Gebiete alle anderen Iche hinwegzutreiben, sie zu bekriegen, zu bekämpfen: das ist die eine Seite des Ichs. Aber auf der anderen Seite dürfen wir nicht vergessen, daß dieses Ich zugleich dasjenige ist, was dem Menschen seine Selbständigkeit, seine innere Freiheit gibt, was den Menschen im wahrsten Sinne des Wortes erhöht. In diesem Ich ist seine Würde begründet. Es ist die Anlage zum Göttlichen im Menschen.“
(Rudolf Steiner, Apokalypse des Johannes, GA 104)

Rudolf Steiner:
Ein Tag wird kommen wo Gute oder Böse unauslöschlich auf unserer Stirne geschrieben sein wird
Wir können gegenwärtig noch mehr oder weniger das Gute oder Böse, das in uns ist, verbergen. Ein Tag wird kommen, wo wir es nicht mehr können, wo dieses Gute oder dieses Böse unauslöschlich auf unserer Stirne geschrieben sein wird, auf unserem Leib und sogar auf dem Angesicht der Erde. Dann wird sich die Menschheit in zwei Rassen spalten. Wie wir heute Felsen oder Tieren begegnen, werden wir alsdann Wesen von reiner Bosheit und Häßlichkeit begegnen.
In unseren Tagen liest nur der Hellseher die Güte oder die moralische Häßlichkeit in den Wesen. Wenn aber die Gesichtszüge des Menschen Ausdruck seines Karma sein werden, werden die Menschen sich von selbst teilen, je nach der Strömung, der sie offensichtlich angehören: je nachdem in ihnen die niedere Natur besiegt sein oder ob sie über den Geist triumphieren wird. Diese Unterscheidung beginnt allmählich schon wirksam zu werden.

Rudolf Steiner – GA 94 – KOSMOGONIE – Paris, 14 Juni 1906 (Seite 124)

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