Gemütsruhe ist schaffend in der geistigen Welt / Rudolf Steiner

Rudolf Steiner in der GA 140, S. 63 f.

Gemütsruhe ist schaffend in der geistigen Welt.

„Je ruhiger wir sein können, desto mehr geschieht durch uns in der geistigen Welt, so dass wir also gar nicht sprechen können davon, dass etwas geschieht in der geistigen Welt, wenn wir hasten und treiben, sondern indem wir in aller Gemütsruhe entwickeln eine größere liebevolle Anteilnahme an dem, was geschehen soll, und dann abwarten, wie die Dinge sich entwickeln. Diese Gemütsruhe, welche in der geistigen Welt schaffend ist, hat kaum irgend etwas Ähnliches im gewöhnlichen physischen Leben, wohl aber in höheren Gebieten auf dem physischen Plane, im Erkenntnisleben und im Kunstleben. Da haben Sie schon etwas Analoges. Der Künstler kann eigentlich nicht das Höchste, was er vermag nach seinen Anlagen, schaffen, wenn er nicht warten kann, wenn er nicht in aller Gemütsruhe warten kann, bis der rechte Augenblick gekommen ist, bis die Intuition kommt. Wer programmmäßig schaffen will, der kann nur minderwertige Produkte zustande bringen. Wer auf irgendeinen äußeren Anlass hin irgendein Werk, sei es das kleinste, schaffen will, wird es nicht so gut zustande bringen, als wenn er in liebevoller Hingabe und ruhig warten kann auf den Augenblick der Inspiration, wir können auch sagen, auf den Augenblick der Gnade. So ist es auch in der geistigen Welt, da gibt es kein Hasten und Drängen, da gibt es nur Gemütsruhe.
Im Grunde genommen muss es auch so sein bei der Ausbreitung unserer Bewegung. Alle äußere Agitation, alles äußere den Menschen die Geisteswissenschaft Aufdrängenwollen, führt im Grunde genommen zu nichts. Am besten ist es, wenn wir warten können, bis sich uns im Leben die Menschen zeigen, die in ihrer Seele das Bedürfnis haben, etwas zu hören, die sich hinneigen wollen dem Geistigen, und wir sollen gar nicht das Bedürfnis entwickeln, einen jeden an die Geisteswissenschaft heranzubringen. Wir werden die Erfahrung machen, je mehr Ruhe, agitationslose Ruhe wir entwickeln können, desto mehr Leute kommen an uns heran, während wir durch eine brüske Agitation die Leute geradezu zurückstoßen werden. Wenn ein öffentlicher Vortrag gehalten wird, geschieht es nur, damit gesagt werde, was gesagt werden muss; wer es aufnehmen will, kann es aufnehmen. Insofern muss unser ganzes Leben innerhalb der geisteswissenschaftlichen Bewegung ein Abbild des Geistigen sein, dass wir das, was geschehen soll, geschehen lassen und es abwarten mit Gemütsruhe.“

Im selben Vortrag sagt er aber auch:

„Nehmen wir unser Dasein in dieser Sinnenwelt während unseres wachenden Zustandes vom Morgen bis zum Abend. Da sehen wir, dass die Dinge, die wir durch unsere Augen und Ohren wahrnehmen, an uns herankommen; und sozusagen nur die höheren Gebiete des Lebens, die Erkenntnisgebiete, das Kunstgebiet suchen wir auf, die müssen wir tätig an uns heranbringen, da müssen wir mittun – aber das übrige äußere Leben, das uns in Anspruch nimmt, bringt wahrhaftig alles, was auf unsere Sinne und unseren Verstand wirken soll, von morgens bis abends an uns heran. Wo wir gehen, auf der Straße, wie wir auch leben, alles und jedes, jeder Augenblick hat seine Eindrücke, und wir tun, mit den angedeuteten Ausnahmen, nichts für das Herbeibringen; sie kommen von selber. Anders ist es mit dem, was in der physischen Welt durch uns geschieht; da müssen wir tätig sein, da müssen wir von Ort zu Ort schreiten, da müssen wir uns rühren. Das sind die bedeutsamen Kennzeichen des täglichen Lebens, dass das, was sich unserer Erkenntnis darbietet, geschieht, ohne dass wir etwas dazu tun. So grotesk es ist, im Geistigen ist es umgekehrt. In der geistigen Welt kann man nicht handeln, nicht tätig sein, nicht etwas herbeiführen dadurch, dass man von einem Ort zum anderen geht; man kann auch nichts herbeiführen in der geistigen Welt dadurch, dass man sozusagen Organe rührt, welche analog wären den physischen Händen, sondern dasjenige, was vor allen Dingen notwendig ist, damit mit uns etwas geschieht in der geistigen Welt, das ist die absolute Gemütsruhe.“

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