Grundwahrheiten des Christentums – und das Pamphlet von Kotzebue / R.Steiner

Ein herrliches Pamphlet – von Kotzebue — wollen wir uns heute doch an dieses erinnern —, er ist vergessen worden; aber die Kotzebues sind geblieben. Wollen wir uns heute erinnern an diesen Kotzebue…
Ein Pamphlet, ein dramatisches, hat er verfaßt, in dem er einen Studenten darstellt, der in das Philisterium (oder besser Kleinbürgertum) seiner Familie wieder zurückkommt — ich will nichts Schlimmes damit sagen —, nachdem er — das wird ausdrücklich gesagt — in Jena die „verderblichen Lehren“ von Goethe, Schiller, Fichte, Schlegel aufgenommen hat…

————————————————————————————-
Zu empfehlen:
Einführung in die Anthroposophie. hier weiter
————————————————————————————-

Aus: GA 167
RUDOLF STEINER
Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste
Zwölf Vorträge, gehalten in Berlin vom 13. Februar bis 30. März 1916

ZEHNTER VORTRAG – Kurzauszug – 1.Teil
Berlin, 16. Mai 1916

Die dem Geist widerstrebenden Kräfte. Grundwahrheiten des Christentums
Schon öfter habe ich erwähnt gerade in diesen Betrachtungen, daß es notwendig ist, ein wenig auch hinzublicken von unserem Gesichtspunkte aus auf die Beziehungen, die da bestehen zwischen dem, was wir durch Geisteswissenschaft erkennen, und demjenigen, von dem heute mit Bezug auf Wissenschaft und Erkenntnis so ziemlich im allgemeinen gilt, daß es das allein Richtige ist.

Man könnte sich vorstellen, daß der Gang der geistigen Entwicklung Mitteleuropas in den letzten Jahrhunderten etwas anders gegangen wäre als er gegangen ist.
Nun, das ist kein Verstoß gegen das umfassende Gesetz vom Karma, wenn man die Anschauung hat, daß irgend etwas, was in der Weit geschehen ist, auch anders hätte geschehen können. Denn das Gesetz vom Karma — und darüber werden wir das nächste Mal noch einmal sprechen — schließt durchaus nicht aus, daß Freiheit in der Welt walte. Fatalisten, die sich vorstellen, daß alles in der Welt so hat geschehen müssen, wie es sich vollzogen hat für die äußere Sinnesbeobachtung und für dasjenige, was der äußeren Sinnesbeobachtung zugänglich geworden ist, können diejenigen nicht werden, welche im Sinne der Geisteswissenschaft auf der einen Seite von Karma und auf der anderen Seite von demjenigen sprechen, was sich vollzieht in der Außenwelt.

Denn mit dem, was sich in der Außenwelt vollzieht, geschieht zu gleicher Zeit immer auch etwas Geistiges. Die beiden Strömungen laufen miteinander, und auf die beiden Strömungen miteinander bezieht sich das Karma-Gesetz, so daß ganz gut etwas in der äußeren Welt anders verlaufen könnte, als es sich in der Außenwelt zeigt, und dennoch würde das Notwendige geschehen. Ich bemerke das nur voraus, weil ich den Gedanken etwas weiter ausführen will, daß allerdings wenigstens denkbar wäre ein anderer Gang der Geistesentwickelung Mitteleuropas, der Geistesentwickelung, die sich gerade auf die Erkenntnis bezieht, als er für die äußere Beobachtung stattgefunden hat.

Gewiß, meine lieben Freunde, heute wird in den meisten Kreisen Schiller und Goethe Verehrung entgegengebracht und in der aller-neuesten Zeit schwingen sich sogar einzelne auf, Fichte als einen großen Geist zu verehren, wobei sich die meisten Menschen allerdings ersparen, irgend etwas auch nur von den allerersten Grundgedanken Fichtes kennenzulernen, sondern sich beschränken auf dasjenige, was man zwar aufnehmen, aber nicht verstehen kann, wenn man es ohne diese Grundgedanken Fichtes eben aufnehmen will. Aber wir verehren in weitesten Kreisen Goethe, Schiller, Fichte und auch noch andere. Wir verehren sie im Grunde genommen in derjenigen Weise, wie man verehren kann in der besten Art, ohne die Betreffenden, die man verehrt, irgendwie wirklich kennenzulernen.

Auch auf Goethe und Schiller bezieht sich das ja. Denn Goethe und Schiller in ihrem eigentlichen Nerv kennenzulernen, kennenzulernen, was in ihrem Geiste gelebt hat, die Zeit dazu muß erst noch kommen. Und wir können nur das eine hoffen, daß sie aus dem Ernste unserer Zeit heraus geboren werde. Verlangen, zum Beispiel Goethe zu verstehen, das ist schon vorhanden. Auf das Verlangen und auf die Sehnsucht nach dem Geistigen ist der Sinn des Volkes im weitesten Sinne gerichtet; das habe ich bei einem der neulichen Vorträge gesagt. Aber es handelt sich darum, wie diejenigen, die die Führenden im Geiste sind, dieses ihr Führeramt verwalten. «Faust» soll jetzt sogar zu den gelesensten Büchern gehören! Man kann überzeugt sein: wenn diejenigen, die heute aus den Schwierigkeiten der Zeit heraus den «Faust» lesen, zurückdenken auf dasjenige, was sie im «Faust» gelesen haben, sie werden lechzen nach einer Erklärung aus denjenigen Welten heraus, die der geistigen Anschauung Goethes offen lagen. Aber sie werden es gräßlich empfinden, wenn man ihnen zu dieser Erklärung entgegenbringt dasjenige, was die zu solchen Erklärungen scheinbar Berufenen theoretisiert haben…

Die Geistesentwickelung des neunzehnten Jahrhunderts hätte auch so gehen können, daß sie in sich aufgenommen hätte dasjenige, was der Gesamtanschauung Goethes und Schillers und der anderen, die sich um sie herum befinden und mit ihnen gleicher Erkenntnisgesinnung sind, zugrunde lag. Aber es ist anders gekommen. Man braucht heute nur — ich erzähle eine Tatsache — in eine Buchhandlung zu gehen, und der Lehrjunge braucht einen nur zu bedienen, und man verlangt Goethes «Naturwissenschaftliche Schriften», und er wird einen belehren darüber, man solle doch Bölsche nehmen, denn Goethe sei ja heute veraltet! —

Warum ist es denn anders gekommen, als es hätte kommen müssen, wenn die in der großen Zeit der klassischen Erkenntnis von der Wende des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts schlummernden Keime sich lebendig entwickelt hätten? Aus diesen Keimen heraus würde sich in gerader Linie und Fortsetzung die Geisteswissenschaft ergeben. Das werde ich insbesondere zeigen in derjenigen Schrift, die nun bald erscheinen wird, und die den Titel tragen wird: «Vom Menschenrätsel. Denken, Schauen und Sinnen deutscher und österreichischer Persönlichkeiten». Warum ist nicht angenommen worden dasjenige, was in den Keimen der Goethe-Schillerschen Weltanschauung liegt?

Deshalb, weil man Furcht davor hat, Furcht aus dem folgenden Grunde: Es ist bequem, sich heute Erkenntnisse zu verschaffen, weil man ja nur dasjenige, was einem vorgesetzt wird — ja, wie nennt man’s ? —, einzuochsen braucht und dann eventuell ein bißchen hinauszuochsen, und eine «Autorität» wird! Geisteswissenschaft fordert allerdings ein gründlicheres, intensiveres Denken als die meisten der heutigen Gelehrten aufzubringen in der Lage sind.

Und die Furcht, etwas lernen zu müssen, die ist es, die das Hindernis abgibt. Die Furcht vor schwierigeren Begriffen und Ideen, die ist es, die das eigentliche Motiv abgibt für die Hindernisse. Die heutige Art der Goethe- und Schiller-Verehrung ist eher geeignet, dasjenige, was Goethe und Schiller der Menschheit gegeben haben, zu vernebeln, als es zu erklären. Warum ? Weil eine Gesinnung sich eben verbreitet hat, die nicht eingehen will auf dasjenige, was aus dem Geiste, den diese Persönlichkeiten gehabt haben, heraus begriffen werden muß. Diese Gesinnung trat auch schon in der Goethe- und Schiller-Zeit selber auf, in jener großen Zeit, als in Jena der Geist Goethes herrschte, Schiller lehrte, Fichte lehrte, Schlegel lehrte, Schelling lehrte, diejenigen Geister lehrten, von denen wir ja in diesem Winter so viel gesprochen haben, und die ich in dem demnächst erscheinenden Buche auch besprechen werde.

Dasjenige, was über manche Einzelheiten des Lebens diese Geister zu sagen hatten, das steht natürlich immer in einem gewissen Zusammenhange darin, und man muß es aus dem Zusammenhange heraus begreifen, aus dem ganzen Geiste ihrer Wesenheit.

Dasjenige, was von Goethe und Schiller, von Fichte, Schlegel und so weiter für die heutige Zeit geblieben ist, das konnte nur aus dem Grunde bleiben, weil im Grunde gesiegt haben die Gesinnungsgenossen, sagen wir, jenes Mannes, der aufgetreten ist noch in der Zeit Goethes und es gewagt hat, in einem, man darf sagen, der allerschlimmsten Pamphlete diejenigen als Narren, als Phantasten und Träumer, die dem Leben schädlich sind, hinzustellen, die in die Schule Goethes, Schillers, Fichtes, Schlegels gegangen sind.

So etwas kann man immer erreichen, dasjenige, was aus ernster Wahrheitsforschung heraus stammt, lächerlich zu machen. Gewiß, manches wird, indem es da oder dort auch als ernste Wahrheitsforschung auftritt, so manche Einseitigkeit abgeben. Aber wenn man dann gerade die Einseitigkeiten herausklaubt, herauspolkt, wie man in Berlin sagt, um die betreffende Gesinnung, Erkenntnis-Gesinnung, zu verdächtigen, dann hat man «ein groß Publikum».

Der Mann — ich meine Kotzebue — ist vergessen worden; aber die Kotzebues ~ den Bösen sind sie los, aber die Bösen sind geblieben —, die sind in unserem ganzen geistigen Leben wohl recht vorhanden. Man kann in manchem der Aussprüche, die Schlegel, Fichte, auch Goethe und Schiller getan haben, mancherlei finden, das anklingt schon an unsere Geisteswissenschaft. Aber man kann auch manches herausreißen aus dem Zusammenhange und diese Geister verdächtigen, so, als ob sie Narren waren, Torheiten gesprochen hätten, um dem wirklichen menschlichen Fortschritt zu schaden, nämlich demjenigen, was sich die behäbige Philisterei, die nur am Sinnlich-Wirklichen haften will, unter dem Fortschritt vorstellt.

Kotzebue — wollen wir uns heute doch an dieses erinnern —, er ist vergessen worden; aber die Kotzebues sind geblieben. Wollen wir uns heute erinnern an diesen Kotzebue.

Ein Pamphlet, ein dramatisches, hat er verfaßt, in dem er einen Studenten darstellt, der in das Philisterium seiner Familie wieder zurückkommt — ich will nichts Schlimmes damit sagen —, nachdem er — das wird ausdrücklich gesagt — in Jena die verderblichen Lehren von Goethe, Schiller, Fichte, Schlegel aufgenommen hat. Er wird dargestellt als eine Art Narr, zugleich als ein «hyperboräischer Esel». Das Pamphlet heißt:

«Der hyperboräische Esel oder die heutige Bildung.»
Es wird ausdrücklich gesagt — ich erwähne es noch einmal —, daß der Betreffende, der da zurückkommt, Karl von Berg, Schüler von Goethe, Schiller, Fichte, Schlegel ist. Nur ein paar Szenen möchte ich Ihnen zu Gemüte führen, vor die Seele führen. Der Student, Karl von Berg, kommt nach Hause, nachdem er Goethe, Schiller, Fichte, Schlegel und andere Lehren in Jena in der größten Zeit der neueren Geistesentwickelung aufgenommen hat.
Er wird zunächst von der Mutter empfangen. Ihr kann man es ja nicht übelnehmen, daß sie nun nicht gerade unbesorgt ist, daß ihr Söhnlein gottesunfürchtig hätte werden können in solchem Zusammenhange nach all dem, was man ihr in die Ohren gesaust haben wird. Und da sagt dann Frau von Berg zu ihrem Sohn Karl, nachdem er nach Hause gekommen ist:

«Frau von Berg: Noch einmal drücke ich dich an mein mütterliches Herz! (sie umarmt ihn). Gott sei Dank, daß ich dich wieder habe! Dich, meine Hoffnung, meinen Stolz, mein Alles! — Bist du noch, der du warst? — O ja, du wirst es sein! Magst du doch viel oder wenig gelernt haben; die bekümmerte Mutter mögte dich lieber fromm als gelehrt wiedersehen. Tugendhaft gingst du von mir, tugendhaft kehrst du in meine Arme zurück, nicht wahr ? Karl: Liebe Mutter, es gibt keine andere Tugend als Konsequenz. Mutter: Wie? So könnte ja auch der ärgste Bösewicht tugendhaft sein? Karl: Wenn er konsequent handelt. —
Mutter: O weh! Was ist das? Karl! Du hast doch noch Religion?
Karl: Die Religion ist meistens nur ein Supplement oder gar ein Surrogat der Bildung.» Ich bemerke ausdrücklich, daß diese literarische Gaunerei so
weit getrieben ist, daß alles, was Karl sagt, wörtlich aus den Schriften
der betreffenden Männer entnommen ist, — aus dem Zusammenhang
herausgerissen wenigstens.
«Mutter: Nichts weiter ?
Karl: Nichts ist religiös im strengen Sinne, was nicht ein Produkt der Freiheit ist.» — Denken Sie, ein so schöner Satz! —
«Mutter: Ich kann darüber mit dir nicht streiten, auch begehre ich nur Beruhigung. Man hat mir so manches von den jetzigen Modesystemen erzählt. (Sie legt ihre Hand auf seine Schulter und spricht ängstlich.) Karl! Du glaubst doch an Gott?
Karl: Ich selbst bin Gott.»
Das Wohnen des Gottes in der eigenen Brust.
«Mutter: Weh mir! Er ist geworden wie der arme Wezel in Sondershausen !» Der arme Wezel in Sondershausen war nämlich ein Dichter der
damaligen Zeit, der wahnsinnig geworden ist.
«Karl: Jeder gute Mensch wird immer mehr und mehr Gott. Gott werden, Mensch sein, sich Bilden sind Ausdrücke, die einerlei bedeuten.» Es ist alles wörtlich aus dem Zusammenhang heraus!
«Mutter: Was ist das! Ich fürchte, er möchte gar keinen Gott glauben, und er glaubt deren Millionen!
Karl: Wenn jedes unendliche Individuum Gott ist, so gibt’s so viele Götter als Ideale.
Mutter: Hin ist sein Christentum!
Karl: Das wissenschaftliche Ideal des Christianismus ist eine Charakteristik der Gottheit mit unendlich vielen Variationen.
Mutter: Sprichst du von einem Rondo?
Karl: Gott ist nicht bloß ein Gedanke, sondern zugleich auch eine Sache, wie alle Gedanken, die nicht bloße Einbildung sind.
Mutter: Sprich, welche Religion hast du denn eigentlich?
Karl: Es ist ein sehr natürlicher, ja, fast unvermeidlicher Wunsch, alle Gattungen der Religion in sich vereinigen zu wollen.
Mutter: Alle?-
Karl: Alle.
Mutter: Ach! Ich kann dir nicht antworten. Aber ich bitte dich, rede mit unserem Pfarrer, er ist ein wackerer, vernünftiger Mann.
Karl: Ich mag nicht. Die Religion ist schlechthin groß wie die Natur. Der vortrefflichste Priester hat doch nur ein Stück davon.» Alles wörtlich!
«Mutter: Ich versichere dich, er hat sie ganz.
Karl: Überdies bin ich selbst Priester.
Mutter (erstaunt): Zugleich Gott und Priester?
Karl: Das Verhältnis des wahren Künstlers und des wahren Menschen zu seinen Idealen ist durchaus Religion. Wem dieser innere Gottesdienst Ziel und Geschäft des ganzen Lebens ist, der ist Priester, und folglich bin ich auch Priester.
Mutter: Sohn! Sohn! Was soll aus dir werden in dieser und jener Welt!
Karl: Bei den Neueren redet man immer von dieser und jener Welt, als ob es mehr als eine Welt gäbe.
Mutter: Weh dir! Du bist in den Stricken des Satans!»
Ich kann Ihnen die Versicherung geben: derjenige protestantische
Pastor, der in Hamburg — ich habe den Brief selber gelesen — geschrieben hat an eines unserer Mitglieder, ich selber wäre der Satan,
der ist nicht vereinzelt geblieben! «Du bist in den Stricken des Satans!
Karl: Der Satan ist eine deutsche Erfindung, denn der deutsche Satan ist satanischer als der italienische und englische. Er ist ein Favorit deutscher Dichter und Philosophen, er muß also auch wohl sein Gutes haben.
Mutter: Der Satan sein Gutes?!
Karl: Das gefällt mir nicht in der christlichen Mythologie, daß die Satanisken fehlen.
Mutter: Ach mein Gott! Haben wir denn an Einem Satan noch nicht genug? –
Karl: Mutter, ich bitte Sie, nicht diese Elegien von der heroisch kläglichen Art; es sind die Empfindungen der Jämmerlichkeit bei dem Gedanken der Albernheit von den Verhältnissen der Plattheit zur Tollheit.
Mutter: Wohl mir, daß ich deine Schmähungen nicht verstehe.
Karl: Sie wollen mich in meiner Bahn aufhalten? Dies ist umsonst. Wer einmal töricht oder edel sich bestrebt hat, in den Gang des menschlichen Geistes mit einzugreifen —
Mutter: Eingreifen? in einen Gang? was heißt das?
Karl: Der muß mit fort, oder er ist nicht besser daran als ein Hund im Bratenwender, der die Pfoten nicht vorwärts setzen will.
Mutter: Ach, ich bitte dich, setze die Pfoten rückwärts! Deine hohe Geistesverwirrung kann dich einst zur Verzweiflung und Selbstmord führen!
Karl: Der Selbstmord ist nur eine Begebenheit, selten eine Handlung.» Aus dem Zusammenhang herausgerissen!
«Mutter: O, es wäre für mich eine schreckliche Begebenheit!
Karl: Ist er eine Handlung, so kann vom Recht gar nicht die Rede sein, sondern nur von der Schicklichkeit.
Mutter: Es ist weder recht, noch schicklich.
Karl: Sie irren, es ist nie unrecht, freiwillig zu sterben, aber oft unanständig, länger zu leben.
Mutter: Was muß ich hören! weh mir! wie bitter hat meine Hoffnung mich getäuscht!
Karl: Getrost, Mutter, Sie werden bald selbst denken wie ich.
Mutter (mit Abscheu): Nimmermehr!
Karl: Sie meinen vielleicht wie Rousseau: daß irgendeine gute und schöne Freigeisterei den Frauen weniger zieme als den Männern ?
Mutter: Weder Euch noch uns.
Karl: Aber das ist nur Eine von Rousseaus unendlich vielen allgemein geltenden Plattheiten.
Mutter: Alberner Mensch! Es ist unverschämt, so von Rousseau zu sprechen. Aber großer Gott! möchtest du doch bloß unverschämt sein! —
Ich verlasse dich tief gebeugt. Ich bin nur ein Weib und kann dir nichts entgegensetzen als mein Gefühl. Dein Oheim ist Mann, er mag männlich mit dir sprechen (ab). Karl (allein): Der platte Mensch beurteilt alle anderen Menschen wie Menschen, behandelt sie aber wie Sachen, und begreift es durchaus nicht, daß sie andere Menschen sind als er.»
Und jetzt aus einer folgenden Szene. Karl, der jetzt seinem Oheim,
dem Baron entgegentritt.
«Karl: Der Mensch ist eine ernsthafte Bestie.
Baron: Eine Bestie? Schäme dich. Ich merke schon, du hast zu viel studiert, bist zu einsam gewesen. Ich werde dich in gute Gesellschaft führen.
Karl: Die Gesellschaften der Deutschen sind ernsthaft, ihre Komödien und Satiren sind ernsthaft, ihre Kritik ist ernsthaft, ihre ganze schöne Literatur ist ernsthaft.
Baron: O, es gibt auch Narren genug unter den Deutschen.
Karl: Narrheit ist absolute Verkehrtheit der Tendenz, gänzlicher Mangel an historischem Geist.
Baron: Hör‘ einmal, Vetter, bleib mir mit dem Krimskrams vom Halse und laß uns vernünftig reden. Ich habe ein Projekt für dich.
Karl: Ein Projekt ist der subjektive Keim eines werdenden Objekts.
Baron: Gleichviel, du mußt eine Existenz haben.
Karl: Es kann nichts anmaßender sein als überhaupt zu existieren oder gar auf eine bestimmte selbständige Art zu existieren.» Also nun die große Existenz-Frage, nicht wahr!
«Baron: Nun zum Teufel! wie existiere ich denn ?
Karl: Sie? Sie existieren gar nicht.
Baron (prallt zurück): Gar nicht ?
Karl: Die meisten Menschen sind nur gleichberechtigte Prätendenten der Existenz; es gibt wenig Existenten.
Baron: Mensch! du bist entweder närrisch oder toll.
Karl: Die Narrheit ist bloß dadurch von der Tollheit verschieden, daß sie willkürlich ist wie die Dummheit.»
Nun noch ein Stückchen. Es ist eine Szene zwischen Karl und Malchen.
«Karl eilt Malchen entgegen und reißt sie wütend an seine Brust. Karl: O, meine Amalie!
Malchen: Gemach! Gemach, lieber Vetter! Sie erdrücken mich. Karl: Es liegt in der Natur des Mannes ein gewisser tölpelhafter Enthusiasmus, der leicht bis zur Grobheit göttlich ist (er will sie abermals umarmen). Malchen (verschämt und sich sträubend):
Nicht so ungestüm, lieber Karl. Karl (betrachtet sie lächelnd): Es ist doch wirklich eine komische
Situation, ein unschuldiges Mädchen zu sein. Malchen (erstaunt): Wie ? eine komische Situation ? Karl: Allerdings, aber die Frauen müssen wohl prüde bleiben, solang die Männer sentimental, dumm und schlecht genug sind,
ewige Unschuld und Mangel an Bildung von ihnen zu fordern. Malchen: Sie fordern also keine Unschuld von mir? Karl: Sie sind ein blühendes Mädchen und folglich das reizendste Symbol vom reinen guten Willen. Malchen: Ein sonderbares Kompliment! Karl: Wir werden uns heiraten. Malchen: Vielleicht. Karl: Zwar fehlt es den Frauen an Sinn für die Kunst, an Anlage zur Wissenschaft und an Abstraktion, zwar ist mutwillige Bosheit mit naiver Kälte und lachender Gefühllosigkeit eine angeborene Kunst ihres Geschlechts. —
Malchen: Eine schmeichelhafte Schilderung! Karl: Dennoch bin ich entschlossen, den Versuch zu wagen. Malchen: Einen Versuch? Allerliebst. Karl: Fast alle Ehen sind nur Konkubinate, provisorische Versuche
zu einer wirklichen Ehe. Malchen: Herr Vetter, ich hoffe, daß ich Sie nicht verstehe. Karl: Wir könnten auch allenfalls den Versuch ins Große treiben, zum Exempel eine Ehe ä quatre. Malchen (fast stumm vor Erstaunen): Wie ?
Karl: Es läßt sich nicht absehen, was man gegen eine Ehe ä quatre gründliches einwenden könnte.» Alles herausgerissen!
«Malchen: Sie wären wirklich imstande, Ihre Geliebte zu teilen?
Karl: Ich werde mich bemühen, Sie so zu besitzen, als ob ich Sie nicht besäße.
Malchen: Eine angenehme Aussicht!
Karl: Das ist die Pflicht des wahren Cynikers.»
Noch ein Stückchen. Der Fürst kommt nun und unterredet sich auch mit Karl.
«Fürst: Ich liebe die Geschichte.
Karl: Der historische Stil muß vornehm sein durch nackte Gediegenheit, erhabene Eil und großartige Fröhlichkeit.
Fürst: Welch ein Bombast von Worten! Haben Sie sich vielleicht der Staatsverwaltung gewidmet?
Karl: Wenn nur nicht in den Handlungen der gesetzgebenden, ausübenden oder richterlichen Gewalt oft etwas Willkürliches vorkäme, wozu sie für sich nicht berechtigt scheinen.
Fürst: Was wäre dabei zu tun ?
Karl: Ist die Befugnis dazu nicht etwa von der konstitutiven Gewalt entlehnt ?
Fürst: Kann sein.
Karl: Die daher notwendig auch ein Veto haben müßte ?
Fürst: Jetzt merke ich, wo Sie hinaus wollen und rate Ihnen wohlmeinend, sich mit der Staatsverwaltung nicht zu befassen; wenigstens nicht in meinem Lande, wo Ruhe und Sittlichkeit herrschen.
Karl: Sittlichkeit? Das glaube ich kaum. Denn die erste Regung der Sittlichkeit ist Opposition gegen die positive Gesetzlichkeit und konventionelle Rechtlichkeit.
Fürst: Das schmeckt sehr nach den neueren alles zerstörenden Grundsätzen.»

Wenn auch das Gebiet nicht so streng eingehalten worden ist, auf dem man dem entgegengetreten ist, das damals von dem großen geistigen Aufschwung hat kommen können: der Geist, der sich dagegen aufgelehnt hat, der hat durchaus geherrscht.
Und so ist es denn wirklich so, daß die Keime, die dazumal gelegt worden sind, erst aufgehen müssen. Und aufgehen werden sie nicht anders, als daß die Menschen die aus der Bequemlichkeit und Plattheit fließende Furcht verlieren vor dem, was die Geisteswissenschaft aus den geistigen Welten heraus erschließen kann.

Die erste Bedingung wird sein, daß man erkennt, wie notwendig — ich habe das öfter gesagt — es im Leben ist, wahr, durchaus wahr zu sein, wirklich den Mut zu haben zu den — verzeihen Sie jetzt das Wort, es steht da drinnen — zu den Konsequenzen desjenigen, was man als wahr anerkennt. Wahrheit liegt nicht bloß in der Art und Weise, wie man seine Behauptungen tut, sondern Wahrheit oder Lüge liegt auch in der Art und Weise schon, wie man Worte braucht. Man kann das klar und deutlich sehen, wenn man den Widerstand, der heute von der Außenwelt kommt, auf dem Gebiete betrachtet, das eigentlich dazu führen müßte, das Christentum und das Mysterium von Golgatha so zu erfassen, wie es in unserer Zeit erfaßt werden muß, damit der Mensch alles dasjenige, was er erfühlen kann über das Mysterium von Golgatha, auch mit der vollen Höhe der Zeiterkenntnis in Einklang setzen kann.

Man kann sagen: Am wütendsten sind gewisse Leute draußen gegenüber dem, was gehört werden konnte aus der Geisteswissenschaft über das Auf-die-Erde-Treten der Erscheinung des Christus-Jesus.

Wir mußten, meine lieben Freunde, alle drei Welten aufrufen, um die Erscheinung des Christus-Jesus zu begreifen. Wir haben zuerst jenen Jesus, welcher in sich die Individualität des großen Zarathustra trägt. Der wächst heran bis zu seinem zwölften Jahre. Da verläßt er den Leib und geht hinüber in den Leib des anderen Jesus-Knaben, welcher eine Seele gebildet hat, die nicht mitgemacht hat die ganze Erdenentwickelung, sondern—ich habe es auseinandergesetzt — die zurückgeblieben ist gleichsam in der Substanz der Erden-Menschenseele, indem ein Teil hinuntergegangen ist in die Menschenleiber und ein Teil oben geblieben ist, der dann erst eingetreten ist in denjenigen Leib, den die zweite Maria geboren hat als den zweiten Jesus-Knaben.

Und ich habe Sie darauf aufmerksam gemacht, daß uns die geisteswissenschaftliche Erkenntnis zeigt, wie dieser Jesus-Knabe gleich bei seiner Geburt — was der Mensch in der gegenwärtigen Zeit nicht kann — gesprochen hat, gesagt hat, was er ist. Mit der Seele des Zarathustra wächst dieser Jesus-Knabe heran, wird dreißig Jahre alt, und die Christus-Individualität inkarniert sich in ihm und lebt in diesem Leibe, der zubereitet ist von dem Geiste des großen Zarathustra, zubereitet ist von jener Seele, die nicht mitgemacht hat die Erdenentwickelung, sondern von der Erdenentwickelung zurückgeblieben ist in jener Zeit, wo die Erde noch nicht heruntergestiegen ist bis zu ihrer jetzigen Materialität.

Die Christus-Individualität lebt nun drei Jahre in diesem Leibe. Drei Welten mußten wir aufrufen, um diese große Gestalt, diese größte Gestalt und dieses größte Ereignis in der Menschheitsentwickelung zu begreifen: Die höchsten geistigen Welten, aus denen der Christus herunterstieg, diejenige Welt, die da ist, bevor es eine Erde gab, und diejenige Welt, durch die sich die Menschen hindurch entwickelt haben, der der Zarathustra, zwar als eine vorzügliche Inkarnation, aber doch als eine gewöhnliche menschliche Inkarnation angehört.

Wenn man — ich habe das erwähnt in meiner kleinen Schrift, die auch jetzt erscheint: «Die Aufgabe der Geisteswissenschaft und deren Bau in Dornach» — diejenigen Leute hört, die so etwas beurteilen, so sieht man, wie sie die Angst haben davor, SO‘ etwas begreifen zu sollen. Und sie nennen solche Dinge «unchristlich», und setzen dann dasjenige an die Stelle, was sie selber glauben über den Christus. Und meint man, sie sollten doch zufrieden sein, wenn man ihnen kommt und sagt:
Ja, was ihr glaubt, das glauben wir schon auch; aber wir glauben noch etwas dazu! — so sind sie damit aber nicht zufrieden, sondern sie erlauben einem nicht, noch etwas anderes dazu zu wissen zu dem, was sie zu wissen vermeinen. Darin zeigt sich, daß es den Leuten gar nicht ankommt auf Wahrheitserkenntnis, sondern lediglich auf die Ausübung ihrer Macht. Sie wollen nicht gestatten, daß der Christus in höchster Glorie vorgestellt wird, wenn diese Glorie nur erreicht werden kann in der Anschauung durch etwas, was ihnen nicht bequem ist zu lernen.

Lehnen sich so gewisse Leute, die sich nicht nur Christen nennen, sondern die sogar offiziell als Priester oder Pfarrer das Christentum vertreten, gegen die Christlichkeit der Geisteswissenschaft auf, so ist auf der anderen Seite eine andere Tatsache zu beachten. Das ist die Tatsache, daß es heute Leute gibt, die behaupten, sie dürften als christliche Pfarrer wirken und brauchten nicht daran zu denken, daß der Christus oder, wie sie sich ausdrücken, der Jesus, auf eine andere Weise in die Menschheitsentwickeiung eingetreten ist als jeder andere Mensch. Es gibt heute schon christliche Priester, Pfarrer, die durchaus der Meinung sind, das sie nicht nötig haben, an eine besondere Art der Geburt bei dem Jesus zu denken, sondern die ihn so wie einen höheren Sokrates auffassen, auch eben als einen der edlen Menschen, vielleicht nur als den edelsten. Ja, es gibt Menschen, die berühmte Theologen sind, und die von der Auferstehung so reden, daß sie sagen: Was auch immer im Garten von Gethsemane vor sich gegangen ist, der Auferstehungsglaube ist daraus hervorgegangen; diesen Auferstehungsglauben wollen wir festhalten…

2.Teil: hier weiter

+++

weitere Texte von R.Steiner: hier weiter

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*