Kurzzusammenfassung des Buches: Die Stufen der höheren Erkenntnis – Rudolf Steiner

Gewiss ist ja in jedem Menschen das „göttliche Selbst“ enthalten. Aber das ist ja doch in jedem Wesen der Fall. Im Stein, in der Pflanze, im Tier ist auch das „göttliche Selbst“enthalten und wirksam. Aber nicht darauf kann es ankommen, dies so ganz im allgemeinen zu fühlen und zu wissen, sondern darauf, wirklich in Verbindung zu treten mit den Offenbarungen dieses „göttlichen Selbst“.

Bevor der Mensch den Pfad höherer Erkenntnis betritt, kennt er nur die erste von vier Erkenntnisstufen. Es ist diejenige, welche ihm im gewöhnlichen Leben innerhalb der Sinnenwelt eigen ist.
(Auch) in dem, was zunächst «Wissenschaft» genannt wird, hat man es nur mit dieser ersten Erkenntnisstufe zu tun. Denn diese
Wissenschaft arbeitet ja nur das gewöhnliche Erkennen feiner aus, macht es disziplinierter. Sie bewaffnet die Sinne durch Instrumente Mikroskop, Fernrohr usw., um genauer zu sehen, was die unbewaffneten Sinne nicht sehen. Aber die Erkenntnis-
stufe bleibt doch dieselbe, ob man normal große Dinge mit dem gewöhnlichen Auge sieht, oder ob man sehr kleine Gegenstände
und Vorgänge mit dem Vergrößerungsglase verfolgt…
Man nennt diese erste Erkenntnis stufe in der Geheimwissenschaft die «materielle Erkenntnisart». Dazu kommen dann zu-
nächst drei höhere.

Sie sollen hier beschrieben werden, bevor in der Schilderung des «Erkenntnispfades» weitergegangen wird. Nimmt man das
gewöhnliche und sinnlich-wissenschaftliche Erkennen als die erste Stufe an, so hat man zunächst folgende vier Stufen zu
unterscheiden:
1. Die materielle Erkenntnis
2. Die imaginative Erkenntnis.
3. Die inspirierte Erkenntnis, die man auch die «willensartigen»
nennen kann.
4. Die intuitive Erkenntnis.
Diese Stufen sollen im weiteren zur Sprache kommen…

Nur als Zwischenbemerkung sei hier angeführt, dass derjenige, welcher eine solche Schulung beschreibt, es voll würdigen kann, wenn vom Standpunkte unserer gegenwärtigen Zeitbildung aus manches gegen eine solche Beschreibung eingewendet wird. Und man kann da nicht nur das oder jenes einwenden, sogar kann man überlegen lächeln und sagen: «Imagination, Inspiration und Intuition kann doch nicht pedantisch anerzogen werden; sie ist eine Naturgabe des Genies.»
Ja, gewiss, vom Standpunkte dieser Zeitbildung mag es recht komisch anmuten, wenn viel über die Heranbildung dessen geredet wird, bei dem diese Bildung von einer Erklärung nichts wissen will; aber diese Zeitbildung ist sich nicht bewusst, wie wenig sie ihre eigenen Gedankengänge zu Ende zu denken vermag. Wer es einem Bekenner dieser Zeitbildung zumuten wollte, dass er daran glauben solle, irgendein höher entwickeltes Tier habe sich nicht langsam entwickelt, sondern sei «plötzlich» da gewesen: der würde bald hören, dass der im modernen Sinne Gebildete an ein solches «Wunder» nicht glaube. So etwas sei «Aberglauben» Nun, auf dem Gebiete des Seelenlebens ist aber ein solcher modern Gebildeter, ganz im Stile
seiner eigenen Ansichten, ein von krassem Aberglauben Befallener.
Er will nämlich nicht daran denken, dass sich eine vollkommenere Seele auch entwickelt haben muss, dass sie nicht plötzlich als eine Naturgabe da sein könne. Äußerlich erscheint allerdings manches Genie wie «aus dem Nichts» geboren, auf unerklärliche Weise da; doch erscheint es eben so nur für den materialistischen Aberglauben; der Geisteswissenschafter weiß, dass eine genialische Veranlagung, die in einem Leben bei einem Menschen wie aus dem
Nichts heraus geboren ist, einfach die Folge von dessen Erziehung zur Inspiration in einem früheren Erdenleben ist.

Auf theoretischem Gebiete ist der materialistische Aberglaube schlimm; bei weitem schlimmer aber ist er noch auf einem solchen praktischen Gebiete wie hier. Da er annimmt, dass die Genies in alle Zukunft «vom Himmel fallen» müssen, kümmert er
sich nicht um derlei «okkultistischen Unfug» oder solch «phantastische Mystik», die von Vorbereitung zur Inspiration sprechen. Dadurch hält aber der Aberglaube der Materialisten den wahren Fortschritt der Menschheit auf. Er sorgt nicht dafür, dass die in den Menschen schlummernden Fähigkeiten entwickelt werden.

In Wirklichkeit sind nämlich oft diejenigen, welche sich Fortschrittler und Freidenker nennen, solche, welche die Feinde der
wahren Fortentwicklung sind. Doch dies soll – wie gesagt – nur eine Zwischenbemerkung sein, die notwendig ist mit Rücksicht
auf das Verhältnis der Geheimwissenschaft zur gegenwärtigen Zeitbildung…

Warum ist solch eine Anleitung in die Geheimwissenschaft sinnvoll?

Für die tiefergehenden Erkenntnisse würde der Mensch eben unermesslich lange Zeiträume brauchen. Es wäre so, wie wenn zum Beispiel jemand die ganze Geometrie aus sich selbst herausspinnen wollte, ohne Rücksicht darauf, was Menschen vor ihm auf diesem Gebiete schon gearbeitet haben. Gewiss, «in der Theorie» ist so etwas durchaus möglich. In der Praxis es auszuführen wäre Torheit. Auch in der Geheimwissenschaft verfährt man nicht so, sondern man lässt sich durch einen Lehrer oder niedergeschriebene Texte diejenigen Dinge überliefern, welche durch inspirierte Vorgänger für die Menschheit errungen worden sind. Diese Überlieferung muss gegenwärtig die Grundlage abgeben für die eigene Schulung…

Dadurch, dass gegenwärtig solche Mitteilungen in der Literatur und in Vorträgen usw. gemacht werden, und dass auch die er
sten Andeutungen gegeben werden über die Übungen, welche zur Erkenntnis höherer Welten führen (zum Beispiel sind eben
die Darstellungen in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» solche erste Andeutungen), kann man jetzt einiges
von dem erfahren, was ehedem nur in streng geschlossenen Geheimschulen mitgeteilt worden ist. Wie schon öfters erwähnt
worden ist, rührt eine solche Veröffentlichung von den Verhältnissen in unserer Zeit her und muss geschehen…

Wenn der Beobachter höherer Welten einmal weiß, was wirklich Imagination ist, dann erhält er auch sehr bald die Empfin
dung, dass die Bilder der astralen Welt nicht bloße Bilder, sondern die Kundgebungen geistiger Wesenheiten sind. Er lernt erkennen, dass er die imaginativen Bilder ebenso auf geistige oder seelische Wesenheiten zu beziehen hat wie die sinnlichen Farben auf sinnliche Dinge oder Wesenheiten…

Von derjenigen Welt, in welche der geistige Beobachter auf diese Art eindringt, ist die physische eine Offenbarung. Was von
dieser physischen Welt den Sinnen und dem auf sie beschränkten Verstand zugänglich ist, das ist nur die Außenseite. Um nur
ein Beispiel anzuführen: die Pflanze, wie sie mit den physischen Sinnen und dem physischen Verstande beobachtet wird, ist
nicht das vollständige Pflanzenwesen. Wer nur diese physische Pflanze kennt, der hat etwas Ähnliches vorliegen, wie ein Wesen haben würde, das den Fingernagel eines Menschen wahrnehmen könnte, dem aber die Wahrnehmung des Menschen
selbst unzugänglich wäre.
Bau und Wesenheit des Fingernagels können aber nur verstanden werden, wenn man sie aus der ganzen menschlichen Wesenheit erklärt. So ist in Wahrheit die Pflanze nur verständlich, wenn man das kennt, was zu ihr gehört wie die ganze menschliche Wesenheit zum Fingernagel des Menschen. Dieses zur Pflanze Gehörige kann man aber nicht in der physischen Welt finden. Der Pflanze liegt zunächst etwas zugrunde, was sich nur durch die Imagination in der astralen
Welt enthüllt, und ferner etwas, was nur durch die Inspiration in der geistigen Welt offenbar wird.

Und noch etwas kommt dabei in Betracht. Geht man in der angedeuteten Art von der physischen Welt aus, so bleibt man auch
trotz seines Aufsteigens in die höheren Welten in einem lebendigen Zusammenhange mit dieser physischen Welt. Man wahrt
sich das volle Verständnis für alles, was in ihr vorgeht, und die volle Tatkraft, in ihr zu wirken. Ja, dieses Verständnis und diese Tatkraft wachsen in der förderlichsten Art gerade durch die Erkenntnis der höheren Welten. In jedem Gebiete des Lebens, und wenn es auch noch so prosaisch-praktisch erscheint, wird der Kenner der höheren Welten förderlicher, besser wirken als der Nichtkenner, wenn sich der erstere nur den lebensvollen Zusammenhang mit der physischen Welt bewahrt hat… Wo derjenige, der einer solchen Schulung fernesteht, lange Gedankenketten durchmachen muss, zwischen Entschluss und
Ratlosigkeit hin – und hergetrieben wird, da wird der Geheimwissenschafter rasch die Lagen des Lebens überschauen,
dem gewöhnlichen Blicke verborgene Zusammenhänge schnell aufdecken usw. Es gehört für ihn dann oft sogar viel Geduld
dazu, sich in die langsame Art hineinzubegeben, wie ein anderer etwas begreifen kann, während bei ihm doch dieses Begreifen pfeilschnell vor sich geht…

So gewiss als die Inspirationen, welche aus einem gesunden Fühlen und Wollen entspringen, Offenbarungen einer höheren
Welt sein können, so gewiss entspringen aus einem wüsten Fühlen und Wollen die Irrtümer, Täuschungen und Phantast
ereien über eine höhere Welt.
Die Geheimschulung stellt sich deshalb die Aufgabe, dem Menschen die Mittel zu zeigen, welche ihn befähigen, seine Gefühle
und seine Willensimpulse zu gesund-fruchtbaren für die Geistesschulung zu machen…

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s. dazu auch:

Schulungswege… „Vertiefung des spirituellen Erlebens“ – ein Kurzvid zum Thema: „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten“
hier weiter

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