„Sie suchten sich die ganze Generation zusammen, damit zuletzt dasjenige herauskomme, was Ihre Mutter und Ihr Vater sein konnten.“ R.Steiner

Rudolf Steiner in der GA 214:

…„Sie kennen vielleicht die Art der Beschreibung, die ich in meinem Buche «Theosophie» gegeben habe, von jenen Welten, die der Mensch zu durchleben hat zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Ich will heute einiges aus diesen Welten zunächst von einem etwas anderen Gesichtspunkte aus schildern, als es in jenem Buche gegeben ist.

In jenem Buche sind zum größten Teil Imaginationen gebraucht für die seelische und für die geistige Welt, durch die der Mensch durchgeht, wenn er durch die Pforte des Todes geschritten ist, um sich hinauf zu entwickeln zu einem neuen Erdenleben. Ich will heute nicht so sehr von einem imaginativen Standpunkte aus Ihnen die Sache schildern, als von dem Standpunkte, der sich mehr der Inspiration ergibt. Da können wir, um überhaupt die Möglichkeit eines Verständnisses zu gewinnen, von den Erlebnissen, die wir innerhalb des Erdenlebens haben, ausgehen.

Da stehen wir in irgendeinem Zeitpunkte zwischen Geburt und Tod in unserem physischen Leib der Welt gegenüber. Wir nennen dasjenige, was innerhalb unserer Haut ist, was innerhalb unseres physischen Leibes ist, eben unseren Menschen, unser Menschenwesen. Wir setzen voraus, dass dieses Menschenwesen nicht nur die anatomischen und die physiologischen Vorgänge birgt, sondern setzen voraus, dass da drinnen auch irgendwie die seelischen und geistigen Vorgänge spielen. Aber wir sprechen von uns, indem wir dabei dasjenige meinen, was innerhalb unserer Haut liegt, und wir sehen in die Welt hinaus, die Welt ist um uns herum, die nennen wir unsere Außenwelt. Nun wissen wir, dass wir uns Vorstellungsbilder machen von dieser Außenwelt, diese Vorstellungsbilder leben dann in uns. So dass wir um uns herum die Außenwelt haben und gewissermaßen Spiegelbilder der Außenwelt in unserem Seelenleben drinnen.

Wenn wir nun in dem Leben sind zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, da sind wir in derselben Welt drinnen, die jetzt unsere Außenwelt ist hier auf Erden. Alles dasjenige, was Sie genauer sehen können oder nur ahnen können als Außenwelt, das ist dann Ihre Innenwelt. Zu dem sagen Sie dann: Mein Ich. – So wie Sie jetzt zu Ihrem Ich gehörend Ihre Lunge ansehen, so sehen Sie dann zwischen dem Tode und einer neuen Geburt die Sonne und den Mond als Ihre Organe an, als dasjenige, was in Ihnen drinnen ist. Und die einzige Außenwelt, die Sie dann haben, das sind Sie selbst, wie Sie auf Erden sind, das sind Ihre irdischen Organe.

Wenn wir hier auf der Erde sagen: In uns eine Lunge, in uns ein Herz; außer uns eine Sonne, außer uns ein Mond, außer uns ein Tierkreis -, so sagen wir in dem Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt: In uns ein Tierkreis, in uns die Sonne, in uns der Mond, außer uns Lunge, außer uns Herz. – Alles dasjenige, was wir jetzt innerhalb unserer Haut tragen, das wird immer mehr und mehr zwischen dem Tode und einer neuen Geburt unsere Außenwelt, unser Universum, unser Kosmos. Es ist die Anschauung über das Verhältnis von Welt und Mensch völlig entgegengesetzt, wenn wir leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt.

Und so ist es, dass, wenn wir den Tod durchleben, wenn wir also durch die Pforte des Todes schreiten, wir zunächst ein deutliches Bild haben von dem, was da war, wie wir auf Erden waren – nur ein Bild. Sie müssen sich vorstellen, dass dieses Bild auf Sie den Eindruck der Außenwelt macht. Zuerst haben Sie dieses Bild als eine Art Erscheinung in sich. Und Sie haben nach dem Tode zuerst noch ein Bewusstsein von dem, was Sie auf Erden hier als Mensch waren, in der Gestalt von irdischen Erinnerungen und irdischen Bildern.

Aber die hören immer mehr und mehr auf, und Sie schreiten immer mehr und mehr fort in der Anschauung des Menschen: Ich-Welt, Universum-Mensch. Das steigert sich immer mehr und mehr. Nur müssen Sie nicht sich vorstellen, dass dann die Lunge so aussieht, wie sie jetzt aussieht. Es würde nicht ein Anblick sein, der Ihnen ersetzen könnte den schönen Anblick von Sonne und Mond; aber dasjenige, was dann Lunge ist, was Herz ist, das ist etwas viel Großartigeres, etwas viel Gewaltigeres, als was jetzt Sonne und Mond vor dem menschlichen Auge sind.

Man bekommt auf diese Weise wirklich erst einen Eindruck von dem, was eigentlich Maja ist. Die Menschen sprechen von Maja, von der großen Täuschung, die die irdische Welt hier ist, aber sie glauben nicht recht daran; die Menschen, sie glauben doch immer im Geheimen, dass alles so ist, wie es hier vor irdischen Augen ausschaut. Das ist aber nicht der Fall. Die Lunge ist nur ein Scheingebilde, das Herz ist nur ein Scheingebilde. In Wahrheit ist unsere Lunge nur ein großartiger Teil unseres Kosmos, und unser Herz erst recht; denn unser Herz ist in seiner Wahrheit etwas viel Majestätischeres, etwas viel Großartigeres als eine Sonne.

Wir sehen allmählich tatsächlich eine ungeheure kosmische Welt aufgehen, von der wir so sprechen, dass wir dann auch sagen: Unten ist der Himmel. Aber wir meinen eigentlich: Unten ist dasjenige, was das menschliche Haupt vorbereitet in der nächsten Inkarnation; oben, sagen wir dann, ist das Untere. Es kehrt sich alles um. Dort sind alle die Kräfte, welche den Menschen vorbereiten, um zu der Erde zu gehen, um gewissermaßen im nächsten irdischen Leben auf seinen zwei Beinen zu stehen.

Das können wir dann zusammenfassen in die Worte: Je mehr wir uns einem neuen Erdenleben nähern, desto mehr zieht sich gewissermaßen das Universum Mensch für uns zusammen. Wir werden immer mehr und mehr gewahr, wie dieses zuerst majestätische Universum – majestätisch ist es insbesondere in der Mitte zwischen dem Tode und einer neuen Geburt -, wie dieses majestätische Universum Mensch gewissermaßen
zusammenschrumpft, wie aus den Planeten, die wir in uns tragen, aus dem Weben der Planeten dasjenige wird, was dann im menschlichen Ätherleib vibriert, pulsiert; wie aus demjenigen, was die Fixsterne im Tierkreis sind, dasjenige wird, was unser Sinnes-Nervenleben ausbildet. Das schrumpft zusammen, das bildet sich, wird ein zuerst geistiger, dann ätherischer Leib. Er wird erst dann aufgenommen vom mütterlichen Schoß und mit irdischer Materie umkleidet, wenn er ganz klein geworden ist.

Und da kommt dann der Augenblick, wo wir uns dem irdischen Leben nähern, wo wir gewissermaßen entschwinden fühlen das Universum, das wir früher gehabt haben. Es schrumpft zusammen, es wird kleiner. Und das erzeugt in uns die Sehnsucht, wiederum herunterzukommen auf die Erde, uns wiederum zu verbinden mit einem physischen Leib, weil gewissermaßen vor dem geistigen Blick dieses Universum sich zurückzieht. Wir sehen hin, wie wir Mensch werden. Und wir müssen da mit ganz anderen Zeiträumen rechnen. Das Leben zwischen Tod und neuer Geburt ist Jahrhunderte lang, und wenn ein Mensch im 20. Jahrhundert geboren ist, so bereitet sich langsam, etwa schon im 16. Jahrhundert, sein Herunterstieg vor. Und da ist er es, der Mensch, der dann in einer gewissen Beziehung auf die irdischen Verhältnisse herunterwirkt.

Ein Ururgroßvater von Ihnen hat im 16. Jahrhundert sich verliebt in eine Ururgroßmutter; die fühlten einen Drang, zueinander zu kommen. Da, in diesem Drang zusammenzukommen, da wirkten Sie schon aus den geistigen Welten herein. Und als dann im 17. Jahrhundert ein weniger ferner Ururgroßvater eine weniger ferne Ururgroßmutter liebte, da waren Sie wiederum in gewissem Sinne der Vermittler. Sie suchten sich die ganze Generation zusammen, damit zuletzt dasjenige herauskomme, was Ihre Mutter und Ihr Vater sein konnten.

Und in diesem mysteriösen Unbestimmten, das in den irdischen Liebeverhältnissen liegt, sind die Kräfte im Spiele, die von denen ausgehen, welche künftige Inkarnationen suchen. Daher ist auch niemals völlige Freiheit, völliges Bewusstsein bei dem, was für die äußeren Verhältnisse zusammenführt die männlichen und die weiblichen Personen. Das sind Dinge, die heute ganz außerhalb des Verständnisses der Menschen liegen.

Was wir heute Geschichte nennen, ist ja eigentlich nur etwas ganz Äußerliches. Von der Seelengeschichte der Menschen haben wir ja im äußeren Leben heute nicht viel drin. Dass die Seelen der Menschen ganz anders gefühlt haben im 12., 13. Jahrhundert noch, davon wissen ja die heutigen Menschen nichts. Nicht so deutlich, wie ich es jetzt ausgesprochen habe, mehr traumhaft wussten die Menschen im 10., 11., 12. Jahrhunderte noch von solchen geheimnisvollen Kräften, die aus der geistigen Welt hereinwirken, aber von Menschenseelen hereinwirken. Man hat nicht viel im Abendlande ausgesprochen von den wiederholten Erdenleben, von der Reinkarnation. Aber überall hat es Menschen gegeben, die von diesen Dingen gewusst haben. Nur die Kirchen haben immer alle Gedanken gerade an wiederholte Erdenleben ausgeschaltet, verdammt. Und Sie müssen sich eigentlich eine Vorstellung darüber machen, dass viele Menschen in Europa bis ins 12., 13. Jahrhundert herein gewusst haben, dass der Mensch wiederholte Erdenleben durchmacht.

Dann kam die Zeit, in welcher die Menschheit des Abendlandes sich entwickeln sollte durch die Intellektualität hindurch. Der Mensch muss sich allmählich seine Freiheit erwerben. Freiheit gab es nicht in alten Zeiten, wo traumhaftes Hellsehen war. Freiheit gibt es auch nicht in jenen Menschenverhältnissen – höchstens einen Glauben an die Freiheit -, die, sagen wir, von der irdischen Liebe beherrscht sind, wie ich sie jetzt eben geschildert habe. Da ist immer das Interesse der auf die Erde herabkommenden Seelen im Spiele.

Aber die Menschheit muss doch innerhalb der Erdenentwickelung immer freier und freier werden. Nur dann erreicht die Erde das Ziel der Entwickelung, wenn die Menschheit immer freier und freier wird. Dazu ist aber Intellektualität in einem bestimmten Zeitalter notwendig gewesen. Dieses Zeitalter ist das unsrige. Denn wenn Sie zurückschauen in frühere Erdenverhältnisse, wo die Menschen ein traumhaftes Hellsehen gehabt haben, da lebten in dem traumhaften Hellsehen immer geistige Wesenheiten darinnen. Der Mensch konnte damals nicht sagen: Ich habe meine Gedanken im Kopfe. – Das wäre falsch gewesen. Er musste in alten Zeiten sagen: Ich habe das Leben von Engeln im Kopfe. – Und später musste er sagen: Ich habe das Leben von Elementargeistern im Kopfe. – Dann kam erst das 15. Jahrhundert, und im 19., 20., da hat der Mensch gar nichts mehr von Geistigem im Kopfe, nur Gedanken hat er im Kopfe, Gedanken.

Dadurch, dass er nichts mehr von einem höheren Geistigen in sich hatte, nur Gedanken, dadurch konnte er sich Bilder von der Außenwelt machen. Aber konnte der Mensch frei sein, solange die Geister in ihm lebten? Das konnte er nicht. Die dirigierten ihn ganz und gar, gaben alles. Der Mensch konnte erst frei werden, als keine Geister ihn mehr dirigierten, als er nur Gedankenbilder hatte.

Gedankenbilder können Sie zu nichts zwingen. Wenn Sie sich vor den Spiegel stellen – die Spiegelbilder können noch so böse Menschen sein, sie werden Ihnen nie eine Ohrfeige geben; eine wirkliche Ohrfeige nie, weil sie keine Realität haben, weil sie Bilder sind. Wenn ich mich zu etwas entschließen will, so kann ich das im Spiegelbild nachbilden lassen; aber das Bild kann sich zu nichts entschließen.

In dem Zeitalter, wo die Intellektualität nur Gedanken in unseren Kopf setzt, da entsteht die Freiheit, denn Gedanken können nicht zwingen. Wenn wir unsere moralischen Impulse nur reine Gedanken sein lassen, wie ich es in meiner «Philosophie der Freiheit» dargestellt habe, dann können wir uns die Freiheit in unserem Zeitalter erringen. So musste die intellektualistische Zeit heraufkommen. Es klingt sonderbar, aber es ist so: Im Wesentlichen ist die Zeit vorüber, in der die Menschen die bloße Intellektualität, das bloße Bilddenken ausbilden durften. Das ist mit dem 19. Jahrhundert vorübergegangen. Und wenn jetzt die
Menschen weiter diese bloßen Bildgedanken ausbilden, dann verfallen die Gedanken den ahrimanischen Mächten, dann finden die ahrimanischen Mächte den Zugang zum Menschen, dann verliert er seine Freiheit wiederum an die ahrimanischen Mächte. Und vor dieser Gefahr steht die Menschheit gegenwärtig.

Die Menschheit steht gegenwärtig vor der Eventualität, entweder das spirituelle Leben zu begreifen, zu begreifen, dass so etwas Realität ist, wie ich es heute im Anfang dieser Auseinandersetzung geschildert habe, oder es zu leugnen. Dann kann man aber nicht mehr frei denken, wenn man es heute leugnet, sondern dann fängt Ahriman – die ahrimanischen
Mächte fangen dann an, in der Menschheit zu denken Und dann geht die ganze Menschheitsentwickelung in einer absteigenden Linie vor sich.

Es ist also im höchsten Grade notwendig, dass immer mehr und mehr Menschen der Gegenwart begreifen: Man muss wiederum zum spirituellen Leben zurück. Und dieses Fühlen, dass man wiederum zum spirituellen Leben zurück muss, das ist das, was heute die Menschen in sich suchen sollten. Wenn sie es nicht suchen, so verfällt die Menschheit dem Ahriman. So ernst ist von einem höheren Gesichtspunkte angesehen heute die Lage der Erdenmenschen. Und man sollte jedem anderen Gedanken eigentlich diesen Gedanken voranstellen, jeden anderen Gedanken im Lichte dieses Gedankens betrachten.

Das wollte ich als den ersten Teil der heutigen Betrachtung geben. Vielleicht ist Herr Kaufmann so liebenswürdig, den ersten Teil zu übersetzen.“

Rudolf Steiner in der GA 214, S. 143 ff.

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s. dazu auch:

Seelenerlebnisse nach dem Tode. Die Wirkungen unserer Taten im anderen Wesen erleben wir jetzt selber… Rudolf Steiner
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