Alberto Giacometti – Ein Portrait

Alberto Giacometti – Ein Portrait

Die Ausstellung „Alberto Giacometti. Begegnungen“ (26. Januar bis 20. Mai 2013) im Bucerius Kunst Forum widmet sich erstmals umfassend Alberto Giacomettis (1901–1966) Portraitkunst.
Sie durchzieht sein gesamtes Werk und zeigt seine Persönlichkeit und künstlerische Weltauffassung wie kein anderer Bereich seines Schaffens. Die über lange Jahre entstandenen Bildnisse seiner Familie und die Portraits von Künstlern und Philosophen seines Pariser Freundeskreises um Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir führen den kreativen Prozess seines Schaffens vor Augen. Die Ausstellung umfasst 44 Skulpturen, 10 Gemälde und 65 Zeichnungen. Wichtige Leihgaben kommen aus der Familie des Künstlers – bedeutende Werke, die bisher in Deutschland nicht gezeigt wurden:

…in Englisch:

Horst Coman:

„Je mehr etwas scheitert, desto mehr gelingt es“

Giovanni Alberto Giacometti 10. Oktober 1901 | 11. Januar 1966

Schon früh in meinem Leben staunte ich über die Figuren von Alberto Giacometti und ich fragte mich sehr oft, wie er zu diesen zunächst als zerbrechlich anzusehenden Figuren kam. Bis ich die erste Ausstellung zum Werk Giacomettis in Chur/Schweiz besuchen konnte. Das war 1983. Zwei Jahre später erschien eine Biografie von „James Lord – Alberto Giacometti. Der Mensch und sein Lebenswerk“. Sie dient mir, neben anderen Publikationen zu Leben und Werk Giacomettis, noch heute als Inspirationsquelle. Im Museum of modern Art in Louisiana fand im Jahr 2008 eine Ausstellung mit Werken von Cézanne & Giacometti – Wege des Zweifels statt. Mich hatte das sehr interessiert und so besorgte ich mir den Ausstellungskatalog, den es auch in deutscher Sprache gab.

Sein Atelier war 3 x 4 Meter groß und sehr spärlich eingerichtet. Ein Tisch, ein paar Stühle, ein Bett und ein Ofen, der aber nicht mehr funktionierte. Jeden Tag schleifte Alberto Säcke mit Gips in sein Atelier und versuchte Skulpturen zu fertigen. Jedes mal begann er wieder aus Neue mit einer großen Figur, die ihm auf unverständliche Weise zwischen seinen Händen zusammenschrumpfte und immer kleiner und schmaler wurde. Am Ende waren sie meist ganz zerbrechlich und stecknadelgroß. Warum war es ihm nicht möglich, eine Figur in der Größe herzustellen, wie er es wollte?

Er schrieb. „Ich will den Menschen so abbilden, wie ich ihn sehe!“ Zunächst las ich über diesen Satz hinweg, doch beim wiederholten Lesen und ein paar Jahre älter versuchte ich ihn zu verstehen. Ich stellte ein Objekt zwei Meter vor mir auf und nahm ein Blatt Papier. Ich dachte, wenn dieses Papier meinen ganzen Sehbereich darstellt, mein ganzes Sichtfeld, von allem, was ich sehe, nach rechts, nach links, nach oben und nach unten, dann wird auf einmal das Objekt im Verhältnis ganz klein! Wenn ich also auf dem Papier abbilden wollte, wie ich es sehe, müsste ich den ganzen Umraum, der sich aus meiner Perspektive auftut, mit berücksichtigen.

Als kleiner Junge hielt er sich viel im Atelier seines Vaters auf und schnupperte die Luft des Künstlerdaseins. Er zeichnete alles, was ihm lieb war. Und das mit ungeheurer Präzision: Steine, Pflanzen, auch Bilder von großen Künstlern reproduzierte er mit großer Freude. Großes Vergnügen bereitete es ihm, die eigenen Märchenbücher zu illustrieren.

Seine Zeichnungen waren sehr exakt und Mitschüler bewunderten ihn für seine Fähigkeit, eine äußere Form so naturgetreu wiedergeben zu können.

Als er später in Paris an der Kunstakademie studierte, wandte er sich den abstrakten Künsten zu. Er sagte einmal: „Ich versuche, ganz aus der Erinnerung heraus zu gestalten, was ich beim Anblick eines Menschen empfunden habe.“ So entstanden abstrakte Büsten seines Vaters, die Alberto aus der Erinnerung an ihn herstellte. Immer mehr verschwand die Ähnlichkeit zum Vater und auch die Ähnlichkeit zu einem menschlichen Wesen überhaupt. Er lernt, sich selbst zu studieren und seinen Empfindungen im Anblick eines Gegenübers Ausdruck zu verleihen.

In der Mitte seines Lebens verbindet er beide Perspekiven: „Ich will den Menschen so abbilden, wie ich ihn sehe!“ kann auch so verstanden werden: Er versucht weder seinen Gegenüber abzubilden wie er ist, noch bleibt er dabei stehen, dem Ausdruck zu verleihen, wie er sich im Anblick des Anderen fühlt. Giacometti überwindet die bloße Zuschauerperspektive, die nur im objektiven Sinn zu beschreiben versucht, was sie sieht. Er erlebt sich als geistig-seelisches Wesen, das in konkreter Beziehung steht mt dem Gegenüber. Ganz in dem Bewusstsein, dass eine subjektive Wahrnehmung die reale Beziehung nicht nur mit beeinflussen wird, sondern eine neue Realität in diesem Moment entstehen lässt. Dieser Vorgang muss eine ungeheure Wachheit erfordern und dass in jedem Augenblick. Das Verhältnis erneuert sich ja ständig zwischen ihm und seinem Gegenüber, so dass er nie sagen könnte, jetzt habe ich es! Immer nur ein Fragment. Aber ein Fragment!

Mehr als sieben Jahre ringt er mit seinen kleinen Figuren. Und damit auch um ein für ihn adäquates Verhältnis zwischen der Welt uns sich als erkennendem Wesen. Viele seiner Freunde und auch seine Mutter, die für ihn eine fast heilige Bezugsperson darstellt, verstehen sein Ringen nicht. Er besucht sie einmal in der Woche. In einer Streichholzschachtel trägt er seine neuesten Werke mit sich. „So etwas hätte Dein Vater nie gemacht!“ ruft sie empört aus – in der Hoffnung, ihren Sohn zur Vernunft zu bringen. Doch er ringt weiter. Viele halten ihn für einen freundlichen Verrückten. Nur wenige seiner Freunde, wie Pablo Picasso, Jean-Paul Sartre und Jean Genet, verstehen sein unermüdliches Ringen.

„Je mehr etwas scheitert, desto mehr gelingt es!“ Diese Aussage verstehe ich keineswegs so, dass es Giacometti um das Scheitern an sich ging und er Freude dabei erlebt hätte. Vielmehr spricht sich da sein unermüdlicher Wille aus, der in seinem bemühen nicht nachlässt, schöpferisch zu werden, auch wenn er sich als völlig unfähig erlebt. Eines Tages besucht er ein Kino. Er staunt, als er die anderen besucher beobachtet und ihren inneren Seelenbewegungen, die durch den Film angeregt werden, wahrnehmen kann. Er tritt auf die Straße heraus und fühlt sich wie neu geboren. Alles hat sich ihm verändert.

Mit diesem neuen Impuls macht er sich an die Arbeit und es glücken ihm erstmalig große Figuren. Im Unterschied zu den kleinen sind viele seiner neuen Arbeiten in einer Tätigkeit dargestellt. Diese sind bekannt geworden als männliche Figuren, die schreiten. Was hat diesen Umschwung bewirkt? Ist sein langes Ringen, dieses fortwährende Schreiten und Weitersuchen, sein individuelles Nadelöhr? Hat er nun die Kraft gefunden, das Geistig-Seelische im Menschen nicht nur wahrzunehmen, sondern allen, die seine werke betrachten, als Möglichkeit sichtbar werden zu lassen?

Zurück zur Ausgangsfrage: Können wir von Alberto Giacometti etwas erfahren, wie wir einstmals sichtbar werden? Mit Worten gibt er darauf keine Antwort, aber sein Lebensweg als Künstler ist dafür ein Beispiel geworden. Er beginnt beim konkreten Hinsehen auf die äußeren Erscheinungen. Dann zeigt er uns, was geschieht, wenn man wahrhaftig sich selbst gegenüber wird und die eigenen inneren Bewegungen und Empfindungen kennenlernt. Als drittes überwindet er die bloße Zuschauerperspektive und setzt sich selbst in eine lebendige, immer neu zu suchende Beziehung zur welt. Diese Suche nach einer neuen Wirklichkeit, die das Scheitern in Gelingen umwendet, bildet aus der inneren Bewegung heraus Substanz. Sie schafft Beziehungsfläche, die ein konkretes Gegenüber, ein Subjekt, für die Welt bedeutet. Vielleicht ist das eine mögliche Antwort auf unsere Frage: Je mehr wir die Welt erkennen, desto mehr können wir von ihr erkannt werden.

Alberto Giacometti starb am 11. Januar 1966. Lassen wir ihn selbst das Schlusswort sprechen. Es ist ein Zitat aus dem Jahr 1956, zehn Jahre vor seinem Tod:

„Es ist seltsam, dass man mir jetzt so viel Aufmerksamkeit schenkt, wo ich doch nur ein Anfänger bin. Denn wenn ich jemals etwas leisten werde, so beginne ich erst jetzt zu ahnen, was es sein könnte. Immerhin, vielleicht ist es besser, mit den Ehrungen gleich am Anfang zu beginnen, damit man nachher in Ruhe arbeiten kann.“

Wiki:
Alberto Giacometti
[alˈbɛrto dʒakoˈmetti] (* 10. Oktober 1901 in Borgonovo, Gemeinde Stampa; † 11. Januar 1966 in Chur) war ein Schweizer Bildhauer, Maler und Grafiker der Moderne, der seit 1922 hauptsächlich in Paris lebte und arbeitete. Er besuchte jedoch regelmässig das heimatliche Gebirgstal Bergell, um seine Familie zu treffen und dort künstlerisch tätig zu werden.
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