„…auf dem ökumenischen Konzil in Konstantinopel ist eben der Geist durch die Kirche abgeschafft worden.“ Und was bedeutet Gewissen? R.Steiner

„…die Menschen wären nie Materialisten geworden, wenn die Kirche nicht abgeschafft hätte die Erkenntnis vom Geist. Denn auf diesem achten allgemeinen, ökumenischen Konzil in Konstantinopel ist eben der Geist durch die Kirche abgeschafft worden, und das ist dann geblieben das ganze Mittelalter hindurch. Erst jetzt muß man durch Geisteswissenschaft wiederum daraufkommen, daß der Mensch als Seele eben auch da war, bevor er auf der Erde war. Das ist das Wichtige, das ist das ungeheuer Wichtige.“
…Und was bedeutet eigentlich das Wort Gewissen? Was die Sache bedeutet, haben wir gerade gesagt: Es ist die Erbschaft von dem, was vorirdisches Leben ist, was im Menschentum drinnen bleibt. Aber das Wort Gewissen, was bedeutet es? Nicht wahr, wenn man das Erdenleben betrachtet und sich sagt: Die Ereignisse, die in zwei, drei Jahren sein werden, die sind unsicher, ungewiß, aber daß der Mensch in sich einen Geist hat, der vor seinem Erdendasein da war und der nach seinem Erdendasein bleibt, das ist gewiß. –
Und mit dem Gewißsein hängt eben das Wort Gewissen auch zusammen, und es ist das allergewisseste, was es geben kann. So daß also in dem Worte Gewissen schon hingedeutet ist auf dasjenige, was ewig ist im Menschen.
R.Steiner

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RUDOLF STEINER GA 350
Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen
Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt?
Vom Wirken des Ätherischen und Astralischen im Menschen und in der Erde
Ursprung und Bedeutung der Kulte

…gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach vom 30. Mai bis 22. September 1923

DREIZEHNTER VORTRAG
Dornach, 25. Juli 1923

Inhaltsübersicht:
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Die Entstehung des Gewissens im Verlaufe der Menschheitsentwickelung…
Ungeborenheit und Unsterblichkeit – Lehre des Aristoteles und der Katholischen Kirche…
Der Mensch kommt mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leib aus der geistigen Welt herunter…
Die urindische Kultur vor 8000 Jahren, die Menschen fühlten sich als Gottersohne. In der urpersischen Zeit kam zum ersten Mal eine gewisse Schätzung der Erde auf…
Den alten Ägyptern wurde immer wichtiger das Leben nach dem Tode, sie hatten eine furchtbare Angst vor dem Sterben….
Die alten Griechen haben die Erde am meisten geliebt Die alten Ansichten des Aristoteles wurden dann spater christliches Kirchendogma….
Die früheren Menschen haben ihre sittlichen Impulse aus der geistigen Welt heruntergebracht…
Entstehung des Gewissens. Die Kirche als Verwalterin des Gewissens…
Das tragische Lebensschicksal des Augustin Smetana…
Das Dogma von der Ewigkeit der Hollenstrafe. Das Gewissen als Erbschaft des vorirdischen Lebens…
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DREIZEHNTER VORTRAG – Dornach, 25. Juli 1923

Nun, meine Herren, wenn Sie heute noch etwas auf dem Herzen haben oder fragen wollen, so bitte ich, das zu tun.
Frage: Etwas Wunderbares, das der Mensch an sich hat, ist das Gewissen Wenn man etwas getan hat, denkt man daran. Und auch wenn man die Sachen, die vergangen sind, nicht mehr denkt, so weiß man aber doch, man hat ein Gewissen Es wäre interessant, zu fragen, ob das Gewissen auch so getötet werden kann, daß man es vergessen kann So wie die Menschheit heute ist, mußte man eigentlich annehmen, daß das Gewissen bei einem großen Teil der Menschheit getötet ist.

Dr. Steiner: Sehen Sie, meine Herren, das ist eigentlich eine große Frage, aber sie hängt schon zusammen mit dem, was wir gerade in den vorangehenden Vorträgen gesagt haben. Ich habe Ihnen ja der Reihe nach versucht zu erklären, wie in dem Menschen, der aus Stoff besteht, außerdem noch enthalten sind ein Ätherleib – also ein ganz anders gearteter Leib, den man mit den gewöhnlichen Sinnen nicht wahrnehmen und nicht sehen kann —, dann astralischer Leib und Ich-Organisation, wir könnten auch sagen: ein Ich-Leib. Diese vier Teile hat der Mensch.

Nun müssen wir uns vorstellen, wie der Mensch eigentlich wird, wenn er stirbt. Ich habe Ihnen ja schon öfter gesagt: Wenn der Mensch schläft, dann bleibt im Bette liegen der physische Leib und der Ätherleib. Der astralische Leib und das Ich, die gehen heraus, die sind dann nicht mehr im physischen Leib und Ätherleib. –
Wenn der Mensch aber stirbt, dann wird von dem, was der Mensch hat, der physische Leib abgelegt. Der ist dann ein wirklich physischer Körper; die drei anderen Teile, der Ätherleib, der astralische Leib und das Ich, die gehen dann heraus. Ich sagte Ihnen ja, der Ätherleib bleibt noch ein paar Tage mit dem Ich und dem astralischen Leib verbunden. Dann trennt er sich
auch, so wie ich es Ihnen beschrieben habe, und dann lebt der Mensch in demjenigen, was sein Ich und sein astralischer Leib ist. Wie er nun weiter und weiter lebt, da lebt er in derjenigen geistigen Welt, die wir in diesem Leben auf Erden eigentlich durch die Geisteswissenschaft ergründen. So daß wir sagen können: Jetzt wissen wir hier auf Erden etwas von einer geistigen Welt; dann werden wir drinnen sein.

Nun kommen wir aber nach einiger Zeit wiederum herunter auf die Erde. Wir gehen ebenso, wie wir von der Geburt zum Tode gehen im Erdenleben, dann durch eine geistige Welt durch und kommen wie-
derum herunter. Wir nehmen den physischen Leib an, der uns von unseren Eltern und so weiter gegeben ist. Da kommen wir aus der geistigen Welt herunter. Wir waren also, bevor wir hier auf die Erde gekommen sind, sagen wir geistige Wesen. Wir sind von der geistigen Welt heruntergestiegen. Sehen Sie, meine Herren, das ist eine außerordentlich wichtige Tatsache, daß der Mensch weiß, er kommt aus der geistigen Welt mit seinem Ich und mit seinem astralischen Leib herunter. Es ist sonst gar nicht erklärbar, wodurch der Mensch überhaupt, wenn er aufwächst, irgendwie vom Geiste redet. Wenn er niemals im Geistigen drinnen gewesen wäre, so würde er gar nicht vom Geiste reden.

Sie wissen ja, es haben einmal auf Erden die Menschen gar nicht so viel wie heute gewisse Menschen vom Leben nach dem Tod gesprochen, aber viel haben die Leute gesprochen vom Leben, bevor sie auf die Erde heruntergekommen sind.
In alten Zeiten hat man überhaupt viel mehr gesprochen von dem, was mit dem Menschen war, bevor er Fleisch und Blut angenommen hat, als von nachher. In alten Zeiten war es den Menschen viel wichtiger, daran zu denken, daß sie Seelen waren, bevor sie Erdenmenschen geworden sind. Nun, von der Entwickelung der Menschheit auf Erden habe ich Ihnen noch weniger gesprochen,
aber wir wollen auf diese Frage hin heute ein bißchen von dieser Entwickelung der Menschen auf Erden sprechen.
Wenn wir etwa, ich will sagen, acht- bis zehntausend Jahre zurückgehen in der Zeit, dann würden wir hier in Europa ein recht wüstes Leben finden. In Europa ist da noch ein recht wüstes Leben. Dagegen war dazumal, achttausend Jahre etwa vor unserer jetzigen Zeit, ein außerordentlich entwickeltes Leben in Asien drüben. In Asien haben wir ja (es wird gezeichnet) hier ein Land, Indien heißt es. Da ist die Insel Ceylon, oben wäre der mächtige Fluß, der Ganges, da oben ist ein Gebirge, Himalaya. In diesem Indien, das also in Asien drüben ist, und auch etwas darüber, da wohnten Menschen, die eben, wie gesagt, vor achttausend Jahren ein ganz hochentwickeltes Geistesleben hatten. Ich nenne sie heute Inder.
Dazumal hat es dieses Wort Inder noch nicht gegeben. Aber man nennt das heute Indien, und deshalb gebrauche ich diesen Ausdruck. Nicht wahr, wenn man zurückgehen würde und würde diese Menschen fragen: Wie nennt ihr euch denn selber? – so würden die Menschen sagen: Wir sind die Göttersöhne! -, weil sie bezeichnet haben das Land, wo sie waren, bevor sie auf der Erde waren.

Da waren sie selber noch Götter, denn die Menschen haben sich dazumal, wenn sie geistig waren, Götter genannt. Sie würden auch auf die Frage, was werdet ihr denn, wenn ihr einschlaft, gesagt haben: Wenn wir wach sind, sind wir Menschen, wenn wir einschlafen, sind wir Götter. — Götter sein hat nur bedeutet, anders sein als beim Wachen, mehr geistig sein.
Diese Menschen haben also eine ganz besonders hohe Kultur gehabt, und denen war es nicht so wichtig, zu reden vom Leben nach dem Tode, sondern vom Leben, bevor man geboren worden ist, von diesem Leben unter den Göttern, wie sie gesagt haben.

Sehen Sie, irgendwelche äußeren Urkunden sind von diesen Menschen nicht vorhanden. Aber diese Menschen haben natürlich weitergelebt – Sie wissen, es gibt ja auch heute noch Inder -, und in viel späterer Zeit haben sie dann große dichterische Werke geschrieben, die man die Veden nennt. Veda ist die Einzahl, Veden die Mehrzahl. Veda heißt eigentlich das «Wort». Man hat sich gesagt:
Das Wort, das ist eine Geistesgabe, und das, was die Leute in ihren Veden geschrieben haben, das
war dasjenige, was sie eben noch wußten aus der anderen Welt. In dieser älteren Zeit haben sie viel mehr gewußt, aber dasjenige, was heute noch durch Bücher äußerlich studiert werden kann, das ist eben das, was in den Veden steht. Das ist viel später geschrieben worden. Aber
bei dem, was in den Veden steht, was viel später aufgeschrieben worden ist, sieht man, daß diese Menschen noch fest gewußt haben: Bevor der Mensch herunterstieg auf die Erde, ist er in einer geistigen Welt gewesen.
Nun, wenn wir dann etwa sechstausend Jahre vor unsere Zeit zurückgehen, dann haben wir hier schon eine weniger hoch entwickelte Kultur. Da geht die Kultur zurück in Indien. Dasjenige, was von den Gelehrten heute noch beschrieben wird als alte indische Kultur, das ist schon von der ursprünglichen Höhe zurückgegangen. Aber es entwickelt sich da im Norden davon (es wird gezeichnet) – das ist ja dann Arabien -, aber da im Norden davon, da oben, da entwickelt sich eine Kultur an der Stelle, wo später Persien ist. Ich habe sie deshalb die urpersische Kultur genannt. Da entwickelt sich eine ganz andere Kultur.
Es ist ganz merkwürdig. Sehen Sie, wenn man zu diesen alten Indern zurückgeht, die also zweitausend Jahre vor denen hier gelebt haben, dann trifft man bei diesen alten Indern überall darauf auf, daß sie eigentlich die Erdenwelt sehr wenig schätzen. Sie denken immer, sie
sind in die Erdenwelt von der geistigen Welt aus gekommen. Das wußten sie sehr genau. Die Erdenwelt schätzten sie gar nicht; sie schätzten die geistige Welt. Sie sagten, sie kommen sich wie ausgestoßen vor, und dasjenige, was auf der Erde war, war ihnen gar nicht besonders wichtig.

Und da hier, also sechstausend Jahre vor unserer Zeit, in dem Lande, das man heute Persien nennt, da kam zum ersten Mal auf eine gewisse Schätzung der Erde. Man achtete das Erdenleben. Dieses Erdenleben, das achtete man so, daß man sich sagte: Ja, das Licht ist sehr, sehr wertvoll, aber die Erde ist auch sehr wertvoll mit ihrer Dunkelheit. – Und so bildete sich da allmählich die Ansicht aus, daß die Erde ebenso wertvoll ist, daß sie kämpft mit dem Himmel. Und diesen Kampf des Himmels mit der Erde, den bildete man für zweitausend, dreitausend Jahre aus als eine Ansicht, die für diese Leute besondere Wichtigkeit hatte.

Dann, wenn wir etwa drei- oder viertausend Jahre zurückgehen, dann kommen wir in ein Land, da von Arabien hinüber nach Afrika, wo der Nil fließt: Ägypten. Die Ägypter und auch diejenigen, die dann da drüben in Asien mehr eigentlich gegen den Westen saßen, schon mehr gegen Europa zu, die bekamen die Erde noch lieber. Und deshalb, wenn wir da drei-, viertausend Jahre zurückgehen, dann finden wir: Diese Ägypter, die also sozusagen die dritte Art von Menschen
waren – Inder, Perser, Ägypter —, diese Menschen, die bauten diese riesigen Pyramiden. Aber was sie vor allen Dingen taten, das war: sie behandelten den Nil. Den Nil, der eben jedes Jahr das Land überschwemmt mit seiner fruchtbaren Erde, den kanalisierten sie, so daß ihnen diese Überschwemmungen nach allen Richtungen Nutzen bringen konnten. Dazu bildeten sie die sogenannte Geometrie aus. Die brauchten sie. Die Geometrie und Feldmeßkunst, das wurde da nun ausgebildet.

Die Leute bekamen die Erde immer lieber und lieber. Und sehen Sie: In demselben Maße, in dem die Leute auf der Erde die Erde lieber bekamen, desto weniger wurde ihnen klar, daß sie aus einer geistigen Welt herübergekommen sind. Ich möchte sagen, das haben sie immer mehr und mehr vergessen, weil sie die Erde immer lieber bekommen haben, und in demselben Maße wurde ihnen wichtiger, sich zu sagen: Man lebt nach dem Tode.

Gewiß, wir haben ja gesehen, das Leben nach dem Tode ist dem Menschen gesichert, aber die Menschen haben früher, bevor die Ägypter gekommen sind, überhaupt nicht so stark an die Unsterblichkeit gedacht. Warum? Weil es ihnen selbstverständlich war. Wenn sie gewußt
haben, sie kommen herunter aus einer geistigen Welt, haben den physischen Leib nur angenommen, dann haben sie gar nicht daran gezweifelt, daß sie nach dem Tode in einer geistigen Welt ankommen werden.
Aber in Ägypten dahier, wo die Menschen schon weniger gedacht haben an den Aufenthalt im Geistigen vor dem Erdenleben, da haben die Ägypter diese riesige Angst bekommen vor dem Sterben. Diese riesige Angst vor dem Sterben, die ist eigentlich noch nicht viel älter als drei-, viertausend Jahre.
Die Inder und die Perser haben keine Todesangst gehabt. Man kann also eigentlich nachweisen, daß die Ägypter diese furchtbare Angst vor dem Sterben gehabt haben. Denn, sehen Sie,
wenn sie nicht diese heillose Angst vor dem Sterben gehabt hätten, dann könnten nicht heute diese Engländer und die anderen nach Ägypten gehen und die Mumien in ihren Museen dann ausstellen! Denn dazumal wurden die Leute so einbalsamiert durch allerlei Salben und Mittel. Wie der Mensch im Leben ausschaute, so haben sie ihn in den Sarg gelegt und aufbewahrt. Da wurden die Leute einbalsamiert und zu Mumien gemacht, weil man gedacht hat: Wenn man den Leib zusammenhält, dann bleibt auch das Seelische solange vorhanden, als es noch den Leib hat auf Erden. – Man hat den Leib aufgehoben, damit das Seelische nicht irgenwie Schaden leidet. Sehen Sie doch, das ist die Angst vor dem Sterben. Da hat man also mit aller Gewalt aus der Erdenmate-
rie heraus die Unsterblichkeit bewirken wollen bei den Ägyptern. Diese Ägypter haben aber trotzdem noch außerordentlich viel gewußt, was später ganz verlorengegangen ist.

Und das nächste Volk, das uns besonders auffällt, das ist dann etwas im Norden von Ägypten, in Griechenland, im heutigen Griechenland.
Aber das alte Griechenland war ganz anders. Sehen Sie, die Griechen, die haben nun schon fast ganz vergessen gehabt das Leben vor der Geburt. Nur einzelne Leute in besonders hohen Schulen, die man Mysterien nannte, die wußten noch davon. Aber im ganzen war in der griechischen Zivilisation das geistige Leben vor der Geburt schon ganz vergessen, und die Griechen haben das Erdenleben am allermeisten geliebt. Und deshalb ist in Griechenland auch ein Philosoph aufgetaucht, Aristoteles heißt er, im 4. Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung. Sie sehen, jetzt kommen wir schon an die christliche Zeitrechnung heran.

Aristoteles, der hat zuerst eine Ansicht aufgestellt, die früher gar nicht vorhanden war. Er hat nämlich die Ansicht aufgestellt:
Nicht nur der Leib des Menschen wird geboren, wenn ein Kind geboren wird, sondern auch die Seele des Menschen wird geboren. – Also in Griechenland taucht zuerst die Ansicht auf, daß die Seele des Menschen mit dem Leib geboren wird, dann aber unsterblich ist, also durch den
Tod geht und in der geistigen Welt weiterlebt.
Nur hat Aristoteles dann eine eigentümliche Ansicht aufgestellt. Aristoteles hat eigentlich schon alles vergessen gehabt, was Weisheit in alten Zeiten war, und er hat dann die Ansicht aufgestellt: Die Seele wird zugleich mit dem Leib geboren. Wenn aber der Mensch stirbt, so bleibt die Seele so, daß sie nur das eine Erdenleben hinter sich hat. Da muß sie ewig nur auf das zurückschauen, was das eine Erdenleben ist.

Denken Sie sich, was das für eine schreckliche Ansicht ist! Wenn also irgendeiner auf der Erde Schlechtes getan hat, so ist er in alle Ewigkeit nicht fähig, das irgendwie auszubessern, sondern muß immer zurückschauen, muß immer sehen das Bild, was er da Schlechtes gemacht hat.
Das ist die Ansicht von Aristoteles.

Dann ist das Christentum gekommen. In den allerersten Jahrhunderten hat man das Christentum ein wenig verstanden. Als aber dann das Römische Reich das Christentum aufgenommen hat und in Rom sich das Christentum festgesetzt hat, hat man dort das Christentum nicht mehr verstanden. Man hat es nicht verstanden.
Nun gab es gerade innerhalb des Christentums immer Konzilien. Da sind die hohen Würdenträger der Kirche zusammengekommen und haben festgestellt, was die große Herde der Gläubigen zu glauben hat.
Nicht wahr, da bildete sich die Ansicht: Es gibt Hirten und Schafe, und die Hirten haben dann auf den Konzilien festgesetzt, was die Schafe zu glauben haben. –
Am achten dieser Konzile wurde nun festgelegt durch die Hirten für die Schafe, daß es ketzerisch sei, zu glauben, daß der Mensch vor seiner Geburt in der geistigen Welt gelebt habe. Also die alten Ansichten des Aristoteles, die wurden dann christliches Kirchendogma! Und dadurch wurde die Menschheit geradezu gezwungen, nichts zu wissen, gar nicht daran zu denken, daß der Mensch mit einer Seele aus der geistigen Welt heruntergekommen ist. Es wurde ihnen
verboten.

Wenn heute die Materialisten sagen: Die Seele wird mit dem Körper geboren und ist nichts anderes als Körperliches -, dann ist das nichts anderes als das, was die Leute gelernt haben von der Kirche. Das ist es eben, daß die Menschen heute glauben, sie kommen über die Kirche
hinaus, wenn sie Materialisten sind.

Nein, die Menschen wären nie Materialisten geworden, wenn die Kirche nicht abgeschafft hätte die Erkenntnis vom Geist. Denn auf diesem achten allgemeinen, ökumenischen Konzil in Konstantinopel ist eben der Geist durch die Kirche abgeschafft worden, und das ist dann geblieben das ganze Mittelalter hindurch. Erst jetzt muß man durch Geisteswissenschaft wiederum darauf kommen, daß der Mensch als Seele eben auch da war, bevor er auf der Erde war. Das ist das Wichtige, das ist das ungeheuer Wichtige.

Wer die Menschheitsentwickelung auf der Erde verfolgt, der sieht ganz klar ein: Ursprünglich war das Wissen davon da, daß die Menschen, bevor sie zur Erde heruntersteigen, in einem geistigen Dasein sind. – Das ist nur nach und nach vergessen und später sogar durch
Konzilbeschluß abgeschafft worden.
Nun muß man sich nur klar werden, was das bedeutet. Denken Sie sich einmal, die Menschen, die gelebt haben bis zu den Ägyptern hin, also in alten Jahrtausenden, die haben gewußt: Bevor du auf dieser Erde hier herumgewandelt bist, bist du in der geistigen Welt gewesen. –

Ja, die haben nicht nur heruntergebracht aus der geistigen Welt so ein allgemeines verschwommenes Wissen, sondern die haben heruntergebracht aus der geistigen Welt das Bewußtsein, da haben sie mit anderen Wesen gelebt. Und davon haben sie heruntergebracht auch ihre sittlichen Antriebe. Was ich auf der Erde tun soll, das sehe ich aus dem, wie
diese Erdendinge sind, haben diese alten Leute gesagt; was ich sonst tun soll, da brauche ich mich ja nur zu erinnern an das, was vor der Geburt war. Sie haben ihre sittlichen Impulse von der geistigen Welt heruntergebracht. Sehen Sie, wenn man die Menschen in diesen alten Zeiten ge-
fragt hat: Was ist gut? Was ist böse? – dann sagten die: Gut ist dasjenige, was die Wesen, unter denen ich war, bevor ich auf der Erde war, wollen; böse ist das, was die nicht wollen. –

Das hat aber jeder einzelne sich gesagt. Jetzt, meine Herren, hat man das vergessen.
In Griechenland, da gab es nun etwas sehr Merkwürdiges. In Griechenland hat man soweit vergessen, daß es ein Leben vor der Geburt gibt, daß der Aristoteles gesagt hat: Die Seele wird mit dem physischen Körper geboren. –
Die Leute haben also gar keine Ahnung mehr davon gehabt, daß sie vor der Geburt schon gelebt haben. Aber sie haben etwas gespürt in sich von diesem Leben. Nicht wahr, ob man etwas
weiß oder nicht weiß, das hat ja für die Wirklichkeit keinen Einfluß.
Ich kann immerzu sagen: Hier hinter mir ist kein Tisch, ich sehe keinen Tisch [stößt im Zurückgehen an den Tisch an] —, aber der Tisch ist doch da, wenn ich ihn auch nicht sehe. Das Leben vor der Geburt blieb eben doch da, und die Menschen spürten es in sich. Und das fing man
an in Griechenland das Gewissen zu nennen.

In Griechenland kommt etwa im 5. Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung zuallererst
das Wort Gewissen auf. Vorher gab es das Wort Gewissen nicht. Also das Wort Gewissen kommt davon her, daß die Leute vergessen haben das vorgeburtliche Leben, das vorirdische Leben, und dem, was sie davon noch gespürt haben in sich, dem haben sie ein Wort gegeben. Und
seit jener Zeit ist das so geblieben. Die Menschen spüren in sich das vorgeburtliche Leben, aber sie sagen: Nun ja, das ist halt so; das entsteht da unten irgendwo und dann schießt es herauf — aber sie kümmern sich nicht weiter darum.

Sehen Sie, das war gut für die Kirche. Denn was konnte denn jetzt geschehen von der Kirche? Ja, meine Herren, früher, wo jeder gewußt hat, daß er gelebt hat als Seele, bevor er auf die Erde heruntergestiegen ist, da haben die Leute gesagt:
Sittlich ist das, was wir wissen von unserem früheren Leben, von dem vorirdischen Leben. – Jetzt spürten die Griechen nur das Gewissen. Und dann kam später die Kirche, die verwaltete nun das Gewissen. Nicht wahr, die fing die Sache auf und sagte: Ihr wißt ja nicht, was ihr tun sollt. Das wissen nicht die Schafe, das wissen die Hirten! – Und sie machte Vorschriften und verwaltete das Gewissen.
Sehen Sie, man brauchte das schon, daß man auf einem Konzil den Geist abschaffte, denn dann konnte man das, was dem Menschen vom Geiste geblieben war als Gewissen, eben verwalten. Und dann hat die Kirche gesagt: Nein, nichts ist vom Menschen dagewesen, bevor er auf der Erde da war. Die Seele ist mit dem Körper geboren. Wer das nicht glaubt, ist des Teufels. Aber wir, als Kirche, wir wissen, wie es in der geistigen Welt ausschaut und was der Mensch auf Erden zu tun hat. –
Dadurch hat sich die Kirche des Gewissens bemächtigt.
Das kann man noch im einzelnen nachweisen. Denn sehen Sie, das hat ja noch bis ins 19. Jahrhundert hineingespielt, hat hineingespielt manchmal in einer ganz furchtbaren Weise.

Da gab es zum Beispiel in den dreißiger, vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, des 19. Jahrhunderts, in Prag einen Menschen, der hieß Smetana. Dieser Mensch war der Sohn eines katholischen Kirchendieners, der selbstverständlich ein frommer Katholik war. Der war der Empfindung, daß man dasjenige zu glauben hat, was die Kirche vorschreibt; von der geistigen Welt
weiß man dasjenige, was die Kirche vorschreibt. Nun hatte er einen Sohn. Die Menschen waren dazumal etwas ehrgeizig und haben ihre Kinder auf das Gymnasium geschickt. Aber in den Gymnasien, die in Prag waren im vorigen Jahrhundert, da lernte man nicht eigentlich sehr
viel. Man lernte im Grunde genommen recht wenig. So wurde denn der junge Smetana im Gymnasium aufgezogen. Und das war eben einmal so: Derjenige, der überhaupt etwas lernen sollte, der wurde dann Prie ster. So wurde auch der junge Smetana Priester.
Dazumal war es ja in Prag und auch im übrigen Österreich so, daß man auch die hohen Schulen mit Priestern als Lehrer besetzte. Und so kam er nun dazu, daß er, als er selber zu lehren hatte, etwas andere Bücher las als diejenigen, die ihm als Priester von der Kirche vorgeschrieben waren. Ja, dadurch kam er allmählich in Zweifel hinein, namentlich über ein Dogma.

Er sagte sich: Was ist das doch eigentlich Fürchterliches, daß der Mensch geboren werden soll, sein Erdenleben zubringt, nachher durch den Tod geht und nun, wenn er ein schlechter Kerl war, ewig nur anschauen soll — die Kirche malte das ja noch mit den nötigen Bildern aus – dasjenige,
was er als schlechter Kerl auf der Erde vollbracht hat und niemals die Möglichkeit haben sollte, sich zu verbessern!
Nun, sehen Sie, dieser Mann, Smetana, hat in einem Ordenshaus gewohnt. Aber als er Lehrer geworden ist, wurde es ihm etwas zu eng im Ordenshaus; da hat er eine weltliche Wohnung bezogen, hat immer mehr und mehr – es waren ja dazumal noch keine anthroposophischen
Bücher vorhanden – die Bücher von Hegel, Schelling und so weiter gelesen, die wenigstens etwas, einen Anfang von etwas Vernünftigem gaben. Da ist er immer mehr und mehr in Zweifel hineingekommen über die sogenannte Ewigkeit der Höllenstrafe, denn ein schlechter Kerl geht
nach Aristoteles durch den Tod und muß ewig in seiner Schlechtigkeit leben. Daraus ist aber die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafe entstanden, die dann durch die Kirche konzilmäßig festgesetzt wurde.

Diese Lehre ist natürlich keine christliche, sondern diese Lehre ist diejenige des Aristoteles. Es ist gar nicht wahr, daß das eine christliche Lehre ist, diese Lehre von der Höllenstrafe; die ist von Aristoteles.
Aber das war ja den Leuten nicht klar.
Diesem Smetana aber wurde es klar. Da hat er nun angefangen etwas zu lehren, was nicht ganz stimmte mit der Lehre der Kirche. 1848 war es gerade, da hat er etwas gelehrt, was nicht ganz stimmte. Da bekam er zunächst eine furchtbare Verwarnung, einen riesigen lateinisch ge-
schriebenen Brief, in dem ihm bedeutet wurde, er solle nun reuig zurückkehren in den Schoß der Kirche, denn es hätte ungeheures Ärgernis erregt bei den Hirten, daß er die Schafe etwas lehrte, was nicht von den Hirten vorgeschrieben ist. Auf diesen ersten lateinisch geschriebenen
Brief hat er noch geantwortet, daß er es für eine Heuchelei halte, etwas anderes zu sagen als dasjenige, wovon man überzeugt ist. Da kam ein zweiter lateinischer Brief, der ihn noch ernsthaftiger verwarnte. Und als er diesen nicht mehr beantwortete, denn es hätte keinen Zweck gehabt, da wurde eines Tages in allen Kirchen in Prag angekündigt, daß eine sehr wichtige Feier stattfinden solle, weil eines der verlorenen Schafe, das sogar ein Hirte geworden war, aus der Kirche ausgeschlossen werden müsse.
Zu denjenigen, die dazumal überall die Zettel verteilen mußten, daß diese wichtige Feier stattfinden solle, gehörte auch der Kirchendiener, der alte Smetana, der Vater. Der war nun ein frommer Katholik geblieben. Sie können sich nun denken, was das bedeutet, daß ganz Prag zu-
sammengerufen worden ist, um den Sohn Smetanas zu verdammen, daß er ewig ausgeschlossen werden soll aus der Kirche und so weiter, ihn zu verdammen, und der Vater mußte selber die Zettel herumtragen! Ja, es war niemals in Prag die Kirche so voll als an diesem Tag. Alle Kirchen in
Prag waren ganz voll. Und da wurde von allen Kanzeln verkündet, daß der abtrünnige Smetana von der Kirche ausgestoßen wird.
Die Folge davon war – natürlich lag der Keim zur Lungensucht in der Familie der Smetana -, daß zuerst die Schwester aus Gram starb, nachher starb der alte Vater aus Gram, und nachher starb Smetana selber nach kurzer Zeit aus Gram, aus Leid.

Aber darauf kam es ja nicht an, nicht wahr, sondern es kam darauf an, daß Smetana nicht mehr die
Geschichte von der Ewigkeit der Höllenstrafe verkündete, wie er sie auffaßte.
Das hängt alles zusammen mit der Entwickelung der Gewissensidee der Menschheit. Denn dasjenige, was der Mensch eben behält von dem Leben vor dem Irdischen, das lebt in ihm und spricht in ihm als Gewissen. Und vom Gewissen aus kann man sich sagen: Das Gewissen, das kann nicht aus dem Stoff der Erde kommen. –
Denn denken Sie sich einmal, irgendeiner, sagen wir, hat ein furchtbares Gelüste. Das hat es
ja schon gegeben. Dann sind es die Stoffe in seinem Leib, die Stoffe der Erde, die ihn drängeln und zwicken, daß er zu diesem Gelüste kommt.
Dann sagt ihm das Gewissen:Du mußt aber diese Gelüste bekämpfen.-
Ja, meine Herren, das wäre doch geradeso, wenn das Gewissen auch aus dem Körper noch käme, als wenn irgend jemand zu gleicher Zeit vorwärts und rückwärts gehen sollte. Es ist ja unsinnig, zu sagen, das Gewissen komme aus dem Leib. Das Gewissen ist eben mit dem, was wir herunterbringen vom vorirdischen Leben aus der geistigen Welt, wenn wir da zur Erde heruntersteigen, verbunden.

Aber so wie ich es Ihnen dargestellt habe, ist eben das Bewußtsein, daß das Gewissen aus
der geistigen Welt stammt, für die Erdenmenschen verlorengegangen, und bei solchen Menschen, wie dem Smetana, von dem ich Ihnen vorhin erzählt habe, ist es eben im 19. Jahrhundert durch diese furchtbare Sache von der Höllenstrafe wiederum aufgedämmert.

Das Gewissen gehört dem Menschen selber an. Der Mensch trägt das Gewissen in sich. Was hülfe einem denn all das Gewissen, das man in sich trägt, wenn man durch den Tod durchgehen würde und dann ewig sehen würde, was man für ein schlechter Kerl gewesen ist? Man könnte sich ja
da nicht helfen. Daß man Gewissen hat, hätte ja dann keine Bedeutung!
So daß man sagen kann: Wenn das der Mensch ist (es wird gezeichnet), so lebt in dem Menschen das Gewissen. Das Gewissen ist dasjenige, was er aus der geistigen Welt ins Erdenleben mit hereingebracht hat.

Das Gewissen sagt in ihm: Das hättest du nicht tun sollen, und das hättest du nicht tun sollen. – Der irdische Mensch sagt: Das will ich tun, das wünsche ich. – Das Gewissen spricht anders, weil das Gewissen aus dem ewigen Menschen kommt. Und dann, wenn der Mensch den physischen Leib abgelegt hat, dann merkt er erst: Du bist ja selber das, was in deinem Gewissen immer gesprochen hat. Das hast du nur nicht bemerkt während der Zeit des Erdenlebens. Jetzt bist du durch den Tod gegangen. Jetzt bist du dein eigenes Gewissen geworden. Das Gewissen ist jetzt dein Leib. Früher hast du kein Gewissen gehabt.
Jetzt hast du dein Gewissen, mit dem lebst du nach dem Tode weiter.
Aber dem Gewissen muß man auch einen Willen zuschreiben. Sehen Sie, alle die Sachen, die ich Ihnen gesagt habe, haben sich zugetragen.
Die Griechen hatten vergessen das vorirdische Leben. Die Kirche hatte zum Dogma erhoben, daß man nicht glauben darf, daß es ein vorirdisches Leben gibt. Das Gewissen ist vollständig mißverstanden worden.
Das alles hatte sich erfüllt. Und nun hat es natürlich fortdauernd auch große Gelehrte gegeben. Aber diese großen Gelehrten im Mittelalter, die standen ja unter dem Eindrucke: Ein vorirdisches Leben kann es nicht geben. Die Kirche verbietet, daran zu glauben.
In diesem Zwiespalt stand zum Beispiel ein solcher Mensch wie Thomas von Aquino, der von 1225 bis 1274 gelebt hat. Der mußte sich als katholischer Priester dem anbequemen, was die katholische Kirche vorschreibt. Aber er war ein großer Denker. Und in bezug auf das, was
ich Ihnen heute gesagt habe, mußte er also sagen: Wenn der Mensch stirbt, so hat er nur die Anschauung seines Erdenlebens, immer bis in alle Ewigkeit, niemals anders. Er schaut das an. –

Was tut also Thomas von Aquino? Thomas von Aquino schreibt dem Menschen nur den Verstand zu für alle Ewigkeit, aber keinen Willen. Der Mensch muß das anschauen nach dem Tode, aber er kann nichts mehr daran ändern.
Dadurch war Thomas von Aquino gerade einer der größten Aristoteliker des Mittelalters, daß er sagte: Wenn einer etwas Schlechtes getan hat auf Erden, muß er es ewig anschauen; wenn einer etwas Gutes getan hat, schaut er ewig das Gute an. – Also nur die Erkenntnis, nicht
der Wille wurde der Seele zugeschrieben.
Das entspricht eben nicht der Wahrheit. Der Wahrheit entspricht es, daß man zwar anschaut nach dem Tode, was man war im Guten und im Bösen, aber daß man den Willen, die ganze Seelenkraft beibehält, um das zu ändern. So kommt es, daß man natürlich, wenn man sein Leben
anschaut, sieht, wie es gewesen ist, dann in der geistigen Welt lebt und sieht, was hätte anders sein sollen. Dann kommt das von selber, daß man wieder herunter will, um das entsprechend auszubessern. Natürlich kommen dann wieder Fehler, aber dann kommen immer die folgenden Leben, und der Mensch erreicht ein Ziel der vollständigen Menschenentwickelung.

Wozu Thomas von Aquino noch genötigt war im Mittelalter, nur an die Erkenntnis zu glauben, nicht an den Willen, daran haben nun die Menschen im 19. Jahrhundert noch so gekrankt wie dieser Smetana.
Dem ist nun zuzuschreiben, daß dann im 19. Jahrhundert andere Leute gekommen sind, die eine förmliche Wut gekriegt haben auf die Erkenntnis. Das stammte noch alles von dem Dogma der Höllenstrafe her; nur haben die Leute das nicht durchschaut. Schopenhauer zum Beispiel hat eine förmliche Wut gekriegt auf die Erkenntnis und hat nun dem Willen alles zugeschrieben. Ja, aber wenn man nun dem Willen wieder alles zuschreibt, dann ist dieser Wille zu dumm und töricht.
Daher hat Schopenhauer dem dummen Willen die ganze Weltenschöpfung und alles zugeschrieben. Und diejenigen Menschen, die nachgedacht haben, kamen eben zu solchen furchtbaren inneren Konflikten, wie der Smetana in Prag gekommen ist. Solche gab es sehr viele; das ist
nur ein ausgezeichnetes Beispiel, dessen Schwierigkeiten niedergeschrieben worden sind. Solche Menschen gab es viele.

Und so müssen wir uns klar sein darüber: Der Mensch hat sein Gewissen als eine Erbschaft von seinem vorirdischen Leben. Da spricht der Geist in dem Gewissen. Das, was wir vor dem Erdenmenschen schon waren, das ist ins Fleisch eingetaucht und spricht im Gewissen. Und
wenn wir den Leib abgelegt haben werden, dann wird die Seele im Gewissen nach dem Tode weiter sprechen, aber nicht ohnmächtig, sondern einen Willen haben und das ausbessern müssen, forttätig sein müssen.
Sehen Sie, das ist der Unterschied zwischen der Anthroposophie und zwischen alledem, was zum Beispiel heute in der christlichen Dogmatik enthalten ist. In der christlichen Dogmatik kennt man diese innere Kraft der menschlichen Seele, die da schaffen kann, nicht, sondern da
stirbt der Mensch und kann nur ewig das anschauen, was er in dem einen Erdenleben gemacht hat, weil in dem einen Erdenleben die Seele mit dem Körper geboren wird. So daß man also, wenn man schematisch darstellen will, sagen muß: Wenn das ein Erdenleben des Menschen ist (obere Zeichnung, Kreis), so beginnt das auch mit der Seele, und wenn der Mensch nun stirbt — da ist Geburt, da Tod -, dann dehnt sich sein Seelenleben in alle Ewigkeit aus. Ich will nicht mehr, weil das ja zu teuer ist, mit meiner Zeichnung noch auf die zweite Tafel gehen, ich müßte sogar noch eine dritte haben! In alle Ewigkeit dehnt sich das aus: nur die Erkenntnis, nur der Verstand, der soll immer nur anschauen in alle Ewigkeit die Schlechtigkeit des Erdenlebens, weil ja der Verstand mitgeboren ist mit dem Physischen des Erdenlebens.

Der erste Materialist war eigentlich der, der dieses Dogma festgesetzt hat, war eigentlich Aristoteles schon.

Nun, Anthroposophie findet, daß es nicht nur das eine Erdenleben gebe, sondern auch die aufeinanderfolgenden Erdenleben. Der Mensch hat immer vom vorhergehenden Erdenleben etwas übrigbehalten, das er ja nicht genau kennt, das aber in ihm sitzt: das ist das Gewissen. Jetzt
legt er den Leib ab, in seinem Gewissen lebt er weiter. Da (untere Zeichnung, rot links) ist nun im Grunde bis zur nächsten Geburt lauter Gewissen. Jetzt (mittlerer Kreis) ist wieder Gewissen drinnen als eine Stimme, die spricht; jetzt (rot rechts) lebt es in der Außenwelt, ist
wiederum da. – Und der Mensch ist eigentlich selber derjenige, der immer seine neuen Leben auf der Erde schafft. Allerdings, darüber ärgert sich natürlich diejenige Lehre ganz besonders, die dem Menschen gar nichts zuerkennen will, die alles nur so anschauen will, als wenn der
Mensch ein Geschöpf wäre. Er ist nicht ein bloßes Geschöpf, sondern es sind Schöpferkräfte in ihm.

Und das ist eben der Unterschied der Anthroposophie von den anderen Anschauungen, daß die Anthroposophie durch ihr Forschen herausbringt: Ja, diese Schöpferkräfte sind im Menschen, der Mensch ist auch schöpferisch. Er ist nicht bloß geschaffen, sondern er ist schöpferisch. Und zu zum Allerschöpferischsten in ihm gehört eben das Gewissen, denn das ist dasjenige, was uns wie
eine heilige Erbschaft aus dem vorirdischen Leben geblieben ist und was wir wieder hinaustragen, wenn wir durch den Tod gehen.

Das ist geradezu eben das, was die moderne Wissenschaft noch immer von der Kirche hat, und gerade in diesem Punkte sollte man wirklich ganz genau sehen. Denn die Sache ist ja so gegangen: Da herüber nach Rom, da kam immer nur dasjenige, was logisch auf der einen Seite und
materialistisch auf der anderen Seite war. Das haben dann die modernen Völker angenommen. Aber in der deutschen Sprache ist manchmal auf einem ganz anderen Weg noch ein Rest geblieben vom Alten, nur erkennt man es nicht wiederum. Das ist sehr merkwürdig.
Darin erkennt man, wie der Mensch zusammenhängt mit den großen Ereignissen.
Wenn man heute diese Länder, die da oben in Asien liegen, anschaut – Sibirien -, so sind das eigentlich Gegenden, die sehr wenig bevölkert sind, aber sie waren einmal stark bevölkert. Da waren nur die Flüsse dort viel, viel mächtiger. Sibirien ist ein Land, das nach und nach aus-
getrocknet ist, sich gehoben hat, und die Menschen sind dann nach Westen gezogen, nach Europa herüber. Das ist durch die Hebung von Sibirien entstanden. Und auf diese Weise sind viele Vorstellungen, die da in Asien waren, auf einem anderen Weg nach Europa hereingekommen,
und diese Vorstellungen, die leben in den europäischen Sprachen weiter fort.

Daher muß man sagen: Je weiter man nach Westen kommt, desto weniger ist diese Vorstellung vom Gewissen vorhanden. – Aber gerade das Wort Gewissen, das zeigt eben, daß man unter den Leuten, die das Wort Gewissen bildeten, ein Gefühl hatte: Da steckt etwas im Menschen. –

Und was bedeutet eigentlich das Wort Gewissen? Was die Sache bedeutet, haben wir gerade gesagt: Es ist die Erbschaft von dem, was vorirdisches Leben ist, was im Menschentum drinnen bleibt. Aber das Wort Gewissen, was bedeutet es? Nicht wahr, wenn man das Erdenleben betrachtet und sich sagt: Die Ereignisse, die in zwei, drei Jahren sein werden, die sind unsicher, ungewiß, aber daß der Mensch in sich einen Geist hat, der vor seinem Erdendasein da war und der nach
seinem Erdendasein bleibt, das ist gewiß. –

Und mit dem Gewißsein hängt eben das Wort Gewissen auch zusammen, und es ist das allergewisseste, was es geben kann. So daß also in dem Worte Gewissen schon hingedeutet ist auf dasjenige, was ewig ist im Menschen.

Es ist sehr bedeutsam, daß Gewissen etwas anderes als Inhalt enthält, als zum Beispiel Conscience oder etwas ähnliches in den westlichen Gegenden.
Conscience ist dasjenige, was «zusammengewußt» wird auf der Erde — con-, Conscience -, was sich zusammenballt aus dem Erdenwissen.
Dasjenige, was aber als Gewissen im Menschen lebt und mit dem Wort Gewissen bezeichnet wird, das ist das Gewisseste, was es geben kann, was nicht unbestimmt, was ganz sicher ist. Und ganz sicher ist, daß der Mensch auf Erden nicht nur an ein Leben nach dem Tode glaubt – eine
Ansicht, wie sie der Aristoteles und die Kirchengläubigen hatten -, sondern auch einen Willen entwickelt, es immer besser und besser zu gestalten, die Erde immer wieder und wiederum aus dem Geist besser und besser zu gestalten, daß also der Wille ebenso lebt nach dem Tode,
wie die Erkenntnis lebt. Bei Thomas von Aquino hat nur die Erkenntnis bloß gelebt. Jetzt müssen wir uns klar sein, daß der Wille lebt.
Sehen Sie, meine Herren, es ist schon so: Man braucht in der Tat durchaus nicht jemanden, der vor Jahrhunderten zu seiner Zeit ein großer Gelehrter war, wie Thomas von Aquino im 13. Jahrhundert, herunterzusetzen, weil er in der damaligen Zeit dieses gelehrt hat. Aber es
ist etwas anderes, wenn der Thomas von Aquino dasjenige, was man im 13. Jahrhundert einzig und allein lehren konnte, damals gelehrt hat, als wenn man heute, wie es gerade jetzt wiederum geschieht in Paris, eine Thomas-Gesellschaft gründet, um dasselbe zu lehren, wie man es da-
mals gelehrt hat, geradeso wie eben Leo XIII. für alle Priester und Gelehrten der katholischen Kirche geboten hat im 19. Jahrhundert, nur dasjenige zu sagen, was der Thomas von Aquino im 13. Jahrhundert gelehrt hat. Heute würde ja der Thomas das auch nicht mehr sagen!

Und diese zwei Dinge stehen sich in der Welt gegenüber, so etwas wie in Paris eine Thomas-Gesellschaft, die die Menschen wiederum zurückführen will, und die Anthroposophie, die das Gegenwärtige lehrt, dasjenige, was ein gegenwärtiger Mensch ist. Und vor allen Dingen ist es
wichtig, wenn man so etwas wie das Gewissen betrachtet, daß einen das stößt auf das Ewige im Menschen. Aber das Ewige kann man nicht richtig verstehen, wenn man nicht auch hinsieht auf das vorirdische Leben, wenn man bloß auf dasjenige hinsieht, was eigentlich erst seit der
Ägypterzeit als das nachirdische Leben, als die sogenannte Unsterblichkeit entstanden ist.

Sehen Sie, meine Herren, erst vor drei, vier Jahrtausenden haben die Menschen angefangen zu reden davon, daß sie unsterblich sind, daß sie also nicht mit der Seele sterben, wie der Leib stirbt. Vorher aber haben die Leute gesagt, sie seien auch nicht geboren als Seele, wie der Leib
geboren wird. Sie hatten eine Wortbedeutung gehabt, die wir heute Ungeborenheit nennen müßten.
Das war die eine Seite. Und die Unsterblichkeit ist die andere Seite. Nicht einmal die Sprachen haben heute mehr ein anderes Wort als Unsterblichkeit! Das Wort Ungeborenheit, das muß wiederum aufkommen.
Dann wird man sagen:

Das Gewissen ist dasjenige im Menschen, was nicht geboren ist und nicht stirbt. –

Dann wird man erst das Gewissen richtig schätzen können. Denn das Gewissen hat nur eine Bedeutung für den Menschen, wenn man es richtig schätzen kann.

Nun, am Sonnabend dann, meine Herren, um neun Uhr weiter.

+++

Einführung in die Anthroposophie. Rudolf Steiner
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