Die Hölle. Kurztext / Rudolf Steiner

RUDOLF STEINER
Die Erkenntnis der Seele und des Geistes
GA 56
Fünfzehn öffentliche Vorträge
gehalten zwischen dem 10. Oktober 1907
und dem 14. Mai 1908

Kurztext aus XIV. Vortrag: Die Hölle
Berlin, 16. April 1908

Weit müssen wir zurückgehen in dem menschlichen Streben nach einer Lösung der Welträtsel, wenn wir den Ursprung der beiden Vorstellungen ins Auge fassen wollen, die sich dem Menschen bald aufdrängen, wenn er in einem tieferen Sinne, vor allen Dingen in einem geistigen Sinne an diese Welträtsel herantritt: die beiden Vorstellungen von Gut und Böse.
Immer wird das menschliche Denken sich zu erheben suchen zu den geheimnisvollen Kräften, die von der geistigen Welt aus unsere Entwickelung bedingen und durchströmen. Immerzu tritt uns in den verschiedensten Formen der Versuch entgegen, die dem Heil, dem Fortschritt der Mensdienentwickelung dienenden, die wohltätigen Kräfte des Lebens in Beziehung zu bringen zu den zerstörenden, den widerwärtigen, den hemmenden. Aber es stellt sich auch immer wieder die intime Verwandtschaft, die trotz des scheinbar starken Gegensatzes für den genauer Beobachtenden zwischen diesen beiden Kraftrichtungen besteht, vor den Menschen hin. Wir brauchen nur an die bei einer anderen Gelegenheit bereits erwähnten Schillerschen Worte über das Feuer zu denken:
Wohltätig ist des Feuers Macht Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht
Doch furchtbar wird die Himmelskraft Wenn sie der Fesseln sich entrafft Einhertritt auf der eigenen Spur
Die freie Tochter der Natur.

Man möchte sagen, in einem solchen Worte liegt wie eingehüllt die Frage, die uns heute und im nächsten Vortrag zu beschäftigen hat, die Frage, die sich ja auch zu verschiedenen Zeiten gekleidet hat in die Worte Hölle und Himmel, wobei man sich durchaus nicht vorstellen darf, daß diese Worte überall, wo sie auftreten, jene abergläubische Bedeutung haben, die viele Anhänger dieser Vorstellungen ihnen beilegen, aber auch nicht minder viele von denen, die sie heute, ohne ihre tiefere Bedeutung zu kennen, gern bekämpfen möchten.
Wenn wir uns nur flüchtig umsehen, so sehen wir unsere Frage bereits der alten persischen Kultur entspringen, wo ein Reich der guten Kräfte, des Ormuzd, und ein Reich der bösen Mächte, des Ahriman, einander scharf gegenübergestellt werden. Und wenn wir sehen, wie da in einem merkwürdigen Gedankenbild den verborgenen Kräften, die in der Welt im guten Sinn vorwärts dringen, sich einmischen die hassenden Kräfte, die den Gang aufhalten, bis zuletzt doch die Lichtmacht siegt, so haben wir eines der großen Bilder vor uns, in welches Menschenphantasie und Menschenimagination unser Problem kleiden. Vom griechischen Tartaros bis in die nordische Sagenwelt tritt uns ein Reich der Hölle entgegen, es treten uns Namen entgegen, mit denen der Begriff Hölle verbunden ist. Es ist dasjenige Gebiet, in das alle diejenigen verdammt sind, die in der physischen Welt nicht eines der Kulturrichtung entsprechenden, ehrenvollen Todes gestorben sind.

Eine Eigentümlichkeit kann uns auffallen, wenn wir uns an diese Sage vom Reich der Hölle erinnern. Beachten wir sie genau, denn von vornherein sei es gesagt: In den Einkleidungen der Sagenwelt findet sich manchmal eine tiefere Weisheit, als diejenige ist, die in unserer Zeit mit abstrakten Begriffen ergründet wird.

Es ist merkwürdig, wie die alte nordische Sagenwelt den gegenwärtigen Bestand der Welt ableitet von einem, von kaltem Nebel erfüllten «Nifelheim», dem nordischen Land, das nach germanischer Vorstellung sonnenfremd war in uralter Zeit, und von dem anderen Reiche, dem «Muspel-heim», dem warmen Reiche. Durch das Zusammenwirken der beiden Reiche entstand der gegenwärtige Zustand der Erde.
Und nicht etwa von dem warmen Muspelheim, sondern von dem kalten, nebelerfüllten Nifelheim wurden die wichtigsten, jetzt der Menschheit dienenden Kräfte hergeleitet. Dort haben sich zuerst ausgebildet die höheren, der heutigen Kultur zugrunde liegenden menschlichen Kräfte. Gleichzeitig aber – und das ist das Merkwürdige, das in einer wunderbaren Weise unsere Frage streift – wird uns gesagt, daß die Hei, die die unwürdigen Toten zu sich nimmt, von den Göttern in dieses Nebelheim verbannt ist, wo diejenigen hinkommen, die nicht eines würdigen Todes gestorben sind. Es ist merkwürdig, daß zusammengebracht werden das Reich und die Kräfte des Aufstiegs mit dem Ort und der Persönlichkeit, welche repräsentiert die Kraft des Todes, der Verwesung.

Und wenn wir solche alten Zeiten verlassen und uns mehr unseren Zeiten nähern, so finden wir, daß vor allen Dingen diejenigen, von denen Pochhammer in seiner Dante-Ausgabe gesagt hat, daß sie ebenso die Lehrer der erwachsenen Menschen sein sollten wie die Erzieher und Lehrer der Jugend, zur Vorstellung von einer Welt greifen, in der das Böse konzentriert ist, wenn sie aus den Tiefen des Weltendaseins heraus unser Sein erklären wollen. Wie grandios und gewaltig schildert uns Dante diese Welt gleich am Anfang seines überwältigenden Gedichtes, das uns des Menschen Läuterungs- und Werdegang zu den höheren geistigen Welten darstellt!

Und wiederum war ein Dichter gedrängt, zu diesen Vorstellungen zu greifen, um die in der Seele des
Menschen wohnenden Kräfte darzustellen, als Goethe seinen «Faust» schrieb. Daher stellte er dem, was Faust zu den hellen, lichten Mächten führen sollte, den Repräsentanten der höllischen Mächte, den Mephistopheles gegenüber.
Sie können sehr viele bedeutungsvolle Aussprüche in Goethes «Faust» finden, welche das eigenartige Verhältnis Fausts zu Mephisto und der beiden zum Weltendasein schildern. Nur an zwei sei hier in diesem Zusammenhang erinnert, in denen wiederum merkwürdig und jetzt an die nordische Sage anklingend sich für Goethe die beiden Begriffe Gut und Böse nebeneinanderstellen. Der eine Ausspruch ist der, wo Mephistopheles genannt wird «ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft». In einen sehr intimen Zusammenhang mit dem ganzen Weltendasein werden da die BegrifFe von Gut und Böse gesetzt. Und einen anderen Ausspruch Goethes, der uns auf der einen Seite tief in Goethes Seele, andererseits aber auch recht tief in unser Problem hineinführt, wollen wir nicht unerwähnt lassen; denn er handelt von der ganzen Beziehung der guten Mächte im Faust zu dem, was Mephisto in ihm erreichen möchte, dem Bösen. Sehr bezeichnend läßt Goethe den Faust in dem Augenblick, wo er mit Mephisto den Pakt abschließen soll, der bestimmt, unter welchen Bedingungen er Mephisto verfallen soll, die Worte sagen:
Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, Dann will ich gern zugrunde gehn! Dann mag die Totenglocke schallen, Dann bist du deines Dienstes frei, Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, Es sei die Zeit für mich vorbei!

«Werd ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön», ist ein Ausdruck, von dem uns Goethe deutlich begreiflich macht, daß ihn Mephistopheles in seinem vollen Umfange gar nicht verstanden hat. Doch weiß Faust, daß er nur dann den höllischen Mächten verfallen kann, wenn er in die Lage kommt, zum Augenblick zu sagen: «Verweile doch, du bist so schön.»

Das soll hingestellt sein an den Anfang unserer heutigen Betrachtung, weil es uns zeigen kann, in welche Richtung von der Sagenwelt auf der einen Seite, von einem in dichterischem Gewände einhergehenden, tiefen menschlichen Denken andererseits dasjenige gelenkt wird, was uns heute beschäftigt. Freilich werden diejenigen, die heute glauben, aus einigen zusammengestoppelten Begriffen der materiellen Welt ein ganzes Weltanschauungsbild aufbauen zu können, sehr leicht fertig mit den Begriffen Hölle und Himmel. Sie kümmert das ja nicht, was wir jetzt an die Spitze unserer Betrachtung gestellt haben. Da wird einfach gesagt: Wir brauchen nur den Entwicklungsweg der verschiedenen Religionen und kindlichen Weltanschauungen zurückzugehen und uns wird klar, daß entweder die Völker selbst in ihrer Not oder irgendwelche Menschen dasjenige erfunden haben, was man Himmel und Hölle nennt, teils um die Völker zu trösten für das Leid, das sie auf der Erde erdulden, teils um sie durch die Furcht vor der Hölle anzuspornen, ihre eigensüchtigen Triebe zum Guten zu wenden.
Wer so redet, weiß nichts von den wirklichen Beweggründen und Motiven, aus welchen man solche Vorstellungen wie Himmel und Hölle in die Seelen und Herzen der Menschen hineingeführt hat…

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