Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen – Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? Rudolf Steiner

„…wenn Sie in die heutige Zeit hineinschauen, das Zeitungswesen zum Beispiel betrachten, das gibt Ihnen immerfort Tollkirschen zu fressen. Da müssen Sie fortwährend, wenn die Seele gesund bleiben soll, seelisch speien…“ R.Steiner, 1923
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RUDOLF STEINER GA 350
Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen – Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt?
Vom Wirken des Ätherischen und Astralischen im Menschen und in der Erde
Ursprung und Bedeutung der Kulte
Ernährungsfragen

Sechzehn Vorträge – gehalten vor den Arbeitern am Goetheanumbau in Dornach
vom 30. Mai bis 22. September 1923

…daraus drei zusammenhängende Vorträge

Kurztext/Inhaltsübersicht:
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Wie kann man im Bezug auf Welt- und Lebensanschauung zum Schauen der Weltgeheimnisse kommen?…
Wie weit hat der Mensch zu gehen, bis er auf dem Weg der Naturwissenschaften höhere Welten findet? Haben die Kräfte im dem Weltenall auf die ganze Menschheit Einfluß?…
Nun ist es für die Forschungen in der geistigen Welt wahrhaftig noch viel schwerer. Da muß man viel mehr Vorbereitungen dazu machen. Die Leute stellen sich so vor, das könne man in acht Tagen lernen…
Wir müssen das schon deshalb betrachten, weil ja die Menschen in der Welt draußen oftmals denjenigen, der in der geistigen Welt forscht, auch wenn er noch so normal ist, doch verrückt nennen…
…denn «geisteskrank» heißt nicht, der Geist ist krank, sondern geisteskrank heißt: Der Körper ist so krank, daß er den Geist, der immer gesund ist, nicht benützen kann…
Sie werden sagen: Ja, die Menschen gehen doch auf die Schulen, heute lernt man in der Volksschule schon ganz wunderbar denken! Gewiß, das schaut so aus. Dennoch können die heutigen Menschen gar nicht denken…
Die lateinische Sprache hat aber eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit. Sie ist nämlich so ausgebildet worden im alten Rom, daß sie selber denkt. Es ist interessant, wie der lateinische Unterricht in den Gymnasien gegeben wird…
Sehen Sie, solange man nicht selber denken kann, solange kann man überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen. Jetzt haben Sie den Grund, warum sich die heutige Erkenntnis auflehnt gegen alles geistige Erkennen: weil die Leute durch die lateinische Erziehung dazu gekommen sind, nicht selber zu denken. Das ist das erste, was man lernen
muß: selber denken. Die Leute haben heute ganz recht, wenn sie sagen: Das Gehirn denkt. – Warum denkt das Gehirn? Weil die lateinischen Sätze ins Gehirn hereingehen, und das Gehirn denkt ganz automatisch bei dem heutigen Menschen. Das sind Automaten der lateinischen Sprache, die herumlaufen und gar nicht selber denken…
Diejenigen Menschen, die am meisten nur nach dem Lateinischen gedacht haben,
das waren ja die Gelehrten, und die Gelehrten haben zum Beispiel die Physik gemacht. Die Physik haben sie ausgedacht, sie haben sie gedacht ganz im Sinne der lateinischen Sprache mit dem physischen Gehirn…
Wenn einer vor dreißig Jahren Physik gelernt hat und heute sich anschaut, wie es geworden ist, möchte er sich die Haare ausraufen, weil er sich sagen muß: Ja, da komme ich
nicht zu Rande mit den Begriffen, die ich gelernt habe! – Dies ist eben so. Und woher rührt das? Ja, das rührt eben davon her, weil in den letzten Jahren die Menschen durch die Entwickelung der Menschheit dazu gebracht worden sind, daß der Ätherleib anfangen soll zu denken…
Nun, sehen Sie, da ist es eben so, daß es notwendig geworden ist, daß ich im Jahre 1893 dieses Buch geschrieben habe über die Philosophie der Freiheit. Dieses Buch, «Die Philosophie der Freiheit», ist nicht so wichtig durch das, was drinnen steht. Natürlich, das, was drinnen steht, das wollte man schon auch dazumal der Welt sagen, aber das ist nicht das Allerwichtigste, sondern das Wichtige bei diesem Buche «Die Philosophie der Freiheit» ist, daß zum ersten Mal ganz und gar selbständiges Denken in diesem Buche ist. Kein Mensch kann das Buch
verstehen, der nur unselbständig denkt. Er muß sich Seite für Seite, ganz von Anfang an, daran gewöhnen, zurückzugehen zu seinem Ätherleib, um solche Gedanken überhaupt haben zu können, wie sie in diesem Buche sind. Deshalb ist dieses Buch ein Erziehungsmittel – es ist ein sehr wichtiges Erziehungsmittel -, und als solches muß man es auffassen…
Im Griechentum, das vorangegangen ist dem Lateinertum – das Lateinertum, das entstand erst fünf, sechs Jahrhunderte vor Christi Geburt, aber das Griechentum ist viel älter -, im Griechentum, da gab es noch eine Erkenntnis des Geistigen. Da konnte man noch in die geistige Welt hineinschauen. Als das Römertum gekommen ist mit der lateinischen Sprache, da wurde der Geist allmählich ausgerottet…
…daß die Menschen allmählich nur Begriffe gehabt haben für feste Körper. Sehen Sie sich das einmal bei den Römern an: Die Römer haben diese ganz trockenen, nüchternen, ungeistigen Begriffe in die Welt eingeführt…
Nun ist es ja so, daß es Menschen gibt, bei denen die geistigen Kräfte, wie man sagt, ganz furchtbar zurückgehen. Nun kann der Geistaber nicht zurückgehen, sondern es ist wieder nur der Körper, der zurückgeht. Es ist nun interessant, daß gerade sehr geistreiche Menschen oftmals im Alter furchtbar zurückgehen…
Kant war aber in seinem Alter blödsinnig. Also sein Körper ist so zurückgegangen, daß er seinen weisen Geist nicht mehr benützen konnte. Und so ist es bei vielen. Gerade sehr gescheite Leute sind im Alter ja richtig blödsinnig geworden…
Wenn man also ganz alt geworden ist, muß man wieder mehr den Kopf gebrauchen. Aber jetzt müßte man im Alter nicht den physischen Kopf gebrauchen, sondern den feineren Kopf,
den Ätherkopf da oben muß man gebrauchen…
Der Ausdruck: Im Alter wird man kindisch – der hat nämlich eine sehr gute Begründung. Man gelangt wirklich wiederum in die Kindheit zurück…
Das erste ist ein ganz selbständiges Denken. Da muß man mit vielem brechen, was heutige Erziehung ist, denn die heutige Erziehung ist eben unselbständiges Denken…
Das zweite aber, das ist, daß man lernen muß, nicht bloß in dem gegenwärtigen Augenblick zu leben, sondern immer wiederum zurückgehen zu können in das Leben, das man bis in die Kindheit hinein geführt hat…
Ihren physischen Körper haben Sie Ihr ganzes Leben daran gewöhnt, vorwärts zu denken. Wenn Sie jetzt anfangen rückwärts zu denken, da tut der physische Körper nicht mit…
Wenn ich anfange rückwärts zu denken, müßte ich ankommen bei der geistigen
Welt. – Aber gerade in dem Moment, wo das Schauen beginnt, schlafen die Leute ein, weil ihnen die Anstrengung zu groß ist…
Und sehen Sie, das Eigentümliche ist, daß man gerade zwischen diesen zwei Temperaturen, zwischen der Kälte bei der man anfängt zu erfrieren, und der Wärme, die man gerade noch aushallenkann, zwischen diesen zwei Temperaturen, in denen der menschliche Körper lebt, gerade keine geistigen Wesenheiten sehen kann…
…das heißt sich immer wieder mit Geduld in furchtbare Langeweile verset-
zen, ein richtiger Weg ist, um in das geistige Schauen hineinzukommen. Es ist merkwürdig: Was der Mensch gerade nicht haben will, das muß er ausüben…
Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man Fieber kriegt, dann wird der Puls schnell. Da wird man warm, und da ist es so, daß man Hitze in den Kopf, in das Gehirn hinein kriegt. Da kommt man eben in die Hitze hinein. Da redet man irre. – Wenn man sich aber jetzt mit solchen Sätzen plagt, wobei man ganz aufhören will zu denken, da wird das Blut nicht regsamer, sondern im Hinterkopf stockt es, das Blut…
Sie müssen zuerst künstliche Langeweile in sich erzeugen können, sonst können Sie überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen. Sehen Sie nur einmal die gegenwärtige Zeit an. Was will denn die gegenwärtige Zeit? Die gegenwärtige Zeit will fortwährend die Lange-
weile vertreiben. Wohin rennen die Menschen nicht überall, um ja keine Langeweile zu haben!…
Aber dieses Sich-amüsieren-Wollen ist eben ein Vor-dem-Geiste-Davonlaufen. Das ist schon so. Und diejenigen allein können in den Geist hineinkommen, die sich nicht davor scheuen, das Amüsante einmal ganz zu lassen…
Die heutige Wissenschaft, die will immer ins Kleinste schauen. Wenn Sie aber die Leber des Menschen erkennen wollen, so ist sie kleiner als der Mensch, wenn Sie es hier im Physischen anschauen. Wenn Sie es geistig anschauen wollen, da wächst und wächst sie ins Riesenhafte, da wird die Leber ein ganzes Weltenall…
Und jetzt erst ist man auf dem Punkte, daß man überhaupt fähig wird, über die geistige Welt zu denken, weil diese die entgegengesetzten Eigenschaften von der physischen Welt hat…
Wenn Sie dies alles durchmachen, dann kommen Sie dazu, statt ihres physischen
Körpers Ihren Ätherkörper benützen zu können. Sie können dann anfangen mit demÄtherkörper zu denken, und der Ätherkörper muß alles umgekehrt denken von der physischen Welt. Denn durch den Ätherkörper kommt man allmählich in die geistige Welt hinein…
Nun, sehen Sie, das kann einem heute passieren. Es ist das der radikalste Fall, aber wer heute Zeitungen liest, dem kann es so und so oft passieren, auf jeder Seite, daß er etwas liest, was einfach nicht wahr ist…
Aber das muß man sich angewöhnen, wenn man in die geistige Welt hineinkommen will, daß einem bei einer unrichtigen Sache ein seelischer Schmerz kommt, und daß man bei einer richtigen Sache eine seelische Freude hat…
Das heißt, man muß dazu kommen, die Wahrheit so zu fühlen, wie man Freude und Glückseligkeit und Lust im physischen Leben empfindet, und man muß dazu kommen, das Unwahre so schmerzlich zu empfinden, innerlich seelisch so krank zu werden vom Unwahren, wie man sonst von den Störungen seines Körpers alleinkrank wird…
Dasjenige, was im Bette liegen geblieben ist, das ist wie eine Pflanze, denn die Pflanze hat auch einen physischen Leib und einen Ätherleib. Wenn die Pflanze keinen Ätherleib hätte, wäre sie ein Stein. Da würde sie nicht leben, würde nicht wachsen. Also dasjenige, was im Bette liegen bleibt, ist wie eine Pflanze. Die Pflanze denkt nicht. Das, was da im Bette drinnen ist…
Wenn man im gewöhnlichen Leben ist und man schlüpft mit seinem astralischen Leib heraus aus dem physischen Leib, schläft man ein…
Wenn Sie nun den astralischen Leib erkennen wollen, so müssen Sie durch innere Kraft den astralischen Leib zusammenhalten können…
Jetzt muß man eben die Kraft entwickeln, den astralischen Leib so klein zu
behalten. Das kann man eben dadurch, daß man ein scharfes Denken entwickelt…
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Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt?
ACHTER VORTRAG – Dornach, 28. Juni 1923

Es sind einige Fragen da, die mir das letzte Mal gegeben wurden und die ich in einer etwas anderen Reihenfolge beantworten werde, als sie hier gestellt worden sind. Die Fragen sind also:
Wie kann man m bezug auf Welt- und Lebensanschauung zum Schauen der Weltge heimnisse kommen?
Wie weit hat der Mensch zu gehen, bis er auf dem Weg der Naturwissenschaften höhere Welten findet?

Haben die Kräfte m dem Weltenall auf die ganze Menschheit Einfluß?

Welche Beziehung haben die Pflanzen zum Menschen, zum menschlichen Leib?

Nun, ich möchte das so einrichten – es sind natürlich sehr komplizierte Fragen -, daß die Antwort sozusagen nach und nach herauskommt. Anders kann man das nämlich nicht machen bei so komplizierten Fragen.
Denn wenn zum Beispiel gefragt wird: Wie kommt man zum Schauen der Weltengeheimnisse? – so heißt das ja: Wie kommt man zu der wirklichen geistigen Wissenschaft. – Nun, das ist etwas,
was Sie sich heute natürlich nicht leicht vorstellen müssen. Denn die Sache ist ja so, daß die meisten Menschen, wenn sie davon hören, daß es so etwas wie eine Anthroposophie oder eine geistige Wissenschaft gibt, denken: Nun werde ich mir auch einmal die Fähigkeit aneignen,
das Geistige zu schauen. In acht Tagen werde ich damit wohl fertig sein, und dann werde ich alles das ja wohl auch selber wissen können.

Nun, so einfach verhält sich die Sache natürlich nicht, sondern man muß sich darüber klar sein: Zu der gewöhnlichen Naturwissenschaft gehört doch im Grunde recht viel. Schon wenn man die allereinfachsten Beobachtungen anstellen will in der Naturwissenschaft, so gehört dazu zuerst, daß man lernt, wie man die Instrumente gebraucht. Es ist natürlich verhältnismäßig leicht, ein Mikroskop zu gebrauchen, aber um mit einem Mikroskop in der richtigen Weise etwas zu erforschen, kann man ja nicht einfach sagen: Ich werde jetzt ein Stück Muskel oder so etwas
unters Mikroskop legen und dann werde ich hineinschauen, und dann weiß ich, was da drinnen vorgeht. –
Wenn Sie es so machen würden, so würden Sie natürlich gar nichts sehen. Denn es handelt sich darum, daß man, wenn man unter einem Mikroskop etwas sehen will, zuerst feine
Schnitte machen muß. Also ein Stück Muskel nützt gar nichts, sondern es handelt sich darum, daß man mit einem feinen Rasiermesser einen dünnen Schnitt macht, dann ganz wenig manchmal entfernt und wiederum einen feinen Schnitt macht, so daß man eine ganz dünne Schichte kriegt. Und zumeist kann man auch damit noch gar nichts erreichen. Denn wenn Sie so eine ganz dünne, sagen wir, Muskel- oder Zellschichte unters Mikroskop legen und hineinschauen, sehen Sie auch
meistens gar nichts. Dasjenige, was Sie tun müssen, ist, sich zu fragen:
Wie kann ich das, was ich unter dem Mikroskop gar nicht sehe, sichtbar machen? – Und da muß man es oftmals mit gewissen Farbstoffen durchdringen, so daß man es erst sichtbar macht dadurch, daß man Farbstoffe hineinbringt. Und dann muß man sich klar darüber sein, jetzt hat man die Sache etwas verändert. Man muß wiederum wissen, wie die Sache ist, wenn man sie nicht verändert. Das sind aber alles noch sehr einfache Sachen. Auch wenn Sie mit dem Teleskop die Sterne untersuchen wollen, müssen Sie erst die Handhabung des Teleskopes lernen.

Allerdings, das ist ja noch einfacher. Sie wissen, daß es herumziehende Leute gibt, die einem auf der Straße ein Fernrohr aufstellen.
Allein das hilft Ihnen auch nicht viel. Es hilft Ihnen nur, wenn Sie wissen: da müssen Sie wieder ein Mikroskop dazu haben und eine Uhr, die Sie erst handhaben müssen und so weiter. –

Also das sind nur Beispiele, durch die ich Ihnen veranschaulichen möchte, wie kompliziert es ist, die einfachsten Dinge in der sinnlich-physischen Welt zu untersuchen. Nun ist es für die Forschungen in der geistigen Welt wahrhaftig noch viel schwerer. Da muß man viel mehr Vorbereitungen dazu machen.

Die Leute stellen sich so vor, das könne man in acht Tagen lernen. Das ist eben nicht der Fall. Sondern da muß der Mensch vor allen Dingen darauf bedacht sein, daß er ja etwas, was in ihm ist, erst in Tätigkeit bringen muß. Was fortwährend eigentlich nicht in Tätigkeit ist, das
muß er erst in Tätigkeit bringen.
Damit Sie sehen, wie die Dinge eigentlich sind, möchte ich Ihnen zunächst folgendes sagen. Sie wissen ja, gerade bei solchen Forschungen, die in die geistige Welt hineingehen, und auch in der gewöhnlichen Wissenschaft, muß man vielfach von der Erkenntnis dessen ausgehen, was nicht normal ist. Sie lernen die Dinge erst richtig kennen, wenn Sie das Nicht-Normale kennengelernt haben.
Ich habe Ihnen das ja schon einmal an bestimmten Beispielen gezeigt. Wir müssen das schon des-
halb betrachten, weil ja die Menschen in der Welt draußen oftmals denjenigen, der in der geistigen Welt forscht, auch wenn er noch so normal ist, doch verrückt nennen.

Also wir müssen uns schon darauf einlassen, die Dinge ein bißchen so zu untersuchen, daß wir zuletzt eben auf die Wahrheit kommen. Sie müssen natürlich nicht glauben, daß man dadurch etwas erreichen kann, daß man ins Nicht-Normale, ins Krankhafte hineinschaut, aber lernen kann man daran viel.
Es handelt sich zum Beispiel darum, daß es ja Leute gibt, die dadurch nicht normal sind, daß man sagt, sie seien geistesgestört. Was heißt das eigentlich, ein Mensch sei geistesgestört? Es gibt kein schlechteres Wort auf der Welt als dieses «geistesgestört», weil der Geist ja niemals gestört sein kann. Der Geist kann nämlich gar nicht gestört sein! Nehmen Sie zum Beispiel folgenden Fall: Wenn ein Mensch, wie man sagt, zwanzig Jahre geistesgestört ist – solche Dinge kommen vor – und nachher wird er wiederum normal, was tritt da eigentlich ein? — Nun, nicht wahr, es kann eintreten, daß dieser Mensch zwanzig Jahre hindurch behauptet, er würde von anderen verfolgt; er leidet, wie man sagt, an Verfolgungswahn. Oder aber es tritt das ein, daß er, sagen wird, allerlei Gespenster sieht, die nicht da sind und so weiter. Das kann also zwanzig Jahre dauern. Nun, meine Herren, es kann einer, der zwanzig Jahre in dieser Weise geistesgestört ist, durchaus wiederum gesund werden.

Aber Sie werden immer eines bemerken: Wenn einer drei, fünf oder zwanzig Jahre, wie man sagt, geistesgestört ist und er wird nachher wieder gesund, so ist er nicht mehr ganz derselbe wie früher. Vor allen Dingen werden Sie folgendes bemerken. Er sagt Ihnen, nachdem er wieder gesund geworden ist: Ja, ich habe in der Zeit, in der ich krank war, fortwährend in die geistige Welt hineinschauen können. –
Er erzählt Ihnen alle möglichen Wahrnehmungen aus der geistigen Welt. Und geht man dann mit den Erkenntnissen, die man als ein vollständig Gesunder von der geistigen Welt erlangt, seinen Erzählungen nach, so ist es zwar so, daß er manchen Kohl sagt, aber anderseits auch viel Rich-
tiges. Also das ist das Merkwürdige: Es kann einer durch Jahre hin durch geistesgestört sein, wieder gesund werden, und dann erzählt er einem, er ist da in der geistigen Welt drinnen gewesen, hat das und das erlebt. Und wenn man selbst die Sache kennt als gesunder Mensch, so
muß man ihm für vieles recht geben.
Wenn Sie mit einem reden während der Zeit, in der er geistesgestört ist, wird er Ihnen niemals irgend etwas Vernünftiges erzählen können.
Da erzählt er Ihnen eben den Kohl, den er da erlebt. Es ist nämlich gar nicht so, daß solche Menschen, die durch Jahre hindurch geistesgestört sind, während ihrer sogenannten Geisteskrankheit diese Dinge erlebt haben. Da haben sie gar nichts von der geistigen Welt erlebt. Aber hinterher, wenn sie wieder gesund geworden sind und in einer gewissen
Weise zurückschauen können in die Zeit, wo sie nicht gesund waren, da kommt ihnen dasjenige, was sie gar nicht erlebt haben während der Krankheit, dann vor wie Blicke in die geistige Welt hinein.

Eigentlich tritt also dieses Bewußtsein: Ich habe viel von der geistigen Welt gesehen -, erst ein in dem Momente, wo die Leute wieder gesund werden.
Sehen Sie, daraus kann man nämlich außerordentlich viel lernen. Daraus kann man lernen, daß der Mensch etwas in sich hat, was er während der Zeit, in der er geistig krank war, überhaupt nicht benutzt hat. Aber das war da, das hat gelebt. Und wo war das? Er hat nichts gesehen von der äußeren Welt, denn er kann Ihnen erzählen: Der Himmel ist rot, und die Wolken sind grün – alles mögliche. Er sieht gar nichts ordentlich in der äußeren Welt. Aber dieser tiefere Mensch, der
in ihm sitzt, den er gar nicht gebrauchen kann während seiner Krankheit, der ist in der geistigen Welt. Und wenn er dann selber wiederum sein Gehirn gebrauchen kann und zurücksehen kann auf dasjenige, was dieser geistige Mensch erlebt hat, dann kommen ihm die geistigen Er-
lebnisse.
Wir sehen daraus, daß der Mensch, während er in dem Zustand ist, den man geisteskrank nennt, da mit seinem geistigen Teil gerade in der geistigen Welt lebt. Der ist sehr gesund, der geistige Teil. Was ist denn krank bei einem Geisteskranken? Ja, bei einem Geisteskranken ist näm-
lich der Körper krank, und der Körper kann die Seele und den Geist eben nicht benützen. Bei einem, von dem man sagt, er ist geisteskrank, ist immer irgend etwas im Körper krank, und wenn das Gehirn krank ist, kann man natürlich nicht ordentlich denken. Man kann auch nicht
ordentlich fühlen, wenn die Leber krank ist.
Und so kommt es, daß eigentlich «geisteskrank» der schlechteste Ausdruck ist, den man wählen kann, denn «geisteskrank» heißt nicht, der Geist ist krank, sondern geisteskrank heißt:
Der Körper ist so krank, daß er den Geist, der immer gesund ist, nicht benützen kann. –

Vor allem müssen Sie sich klar sein darüber, daß der Geist immer gesund ist. Nur der Körper kann krank werden und den Geist dann nicht in richtiger Weise benützen. Wenn einer ein krankes Gehirn hat, so ist es gerade so, wie wenn einer einen Hammer hat, der bei jedem Schlag
abbricht. Wenn ich zu dem, der keinen Hammer hat, sage: Du bist ein fauler Kerl, du kannst überhaupt nicht klopfen – so ist das natürlich ein Unsinn. Der kann ganz gut klopfen, aber er hat keinen Hammer zum Klopfen. So ist es ein Unsinn, wenn man sagt, jemand sei geisteskrank.
Der Geist ist vollkommen gesund, aber er hat nicht den Körper, durch den er wirken kann.

Dasjenige, was man auf diese Weise lernen kann, das zeigt sich nun ganz besonders dann, wenn man nachdenkt darüber, wie es sich eigentlich mit unserem Denken verhält. Aus dem, was ich Ihnen gesagt habe, werden Sie ersehen, daß man zwar den Geist hat, aber zum Denken ein
Werkzeug braucht, das Gehirn. Zum Denken in der physischen Welt braucht man das Gehirn. Es ist gar keine Kunst, wenn der Materialismus sagt, man brauche das Gehirn. Selbstverständlich braucht man das Gehirn. Aber es besagt nichts über den Geist, wenn er es so behauptet.
Außerdem ersehen Sie daraus, daß sich der eigentliche Geist im Menschen ganz zurückziehen kann.

Beim Geisteskranken zieht sich der eigentliche Geist ganz zurück. Und es ist wichtig, daß man das weiß, weil man dadurch erst einsehen lernt, daß die Menschen in der heutigen Zeit – jetzt werde ich Ihnen etwas sagen, was Sie sehr erstaunen wird, aber es ist so – überhaupt nicht denken können. Sie bilden sich ein, daß sie denken können, aber sie können es gar nicht. Ich will ihnen zeigen, warum die Menschen nicht denken können.

Sie werden sagen: Ja, die Menschen gehen doch auf die Schulen, heute lernt man in der Volksschule schon ganz wunderbar denken! –
Gewiß, das schaut so aus. Dennoch können die heutigen Menschen gar nicht denken. Es sieht nur so aus, als ob sie denken könnten. Nicht wahr, in der Volksschule haben wir Volksschullehrer. Die Volksschullehrer haben wiederum etwas gelernt, angeblich haben sie auch denken
gelernt. Diejenigen, von denen sie wieder gelernt haben, sind, wie man in Stuttgart sagt, «Großkopfete»; also das sind ganz furchtbar weise Menschen nach der heutigen Ansicht. Die haben Hochschulstudium durchgemacht. Bevor sie Hochschulstudium gemacht haben, haben sie
das Gymnasium oder etwas ähnliches durchgemacht, und da haben sie Latein gelernt. Wenn Sie nämlich so ein bißchen herumgucken, werden Sie zwar sagen können: Ja, mein Lehrer, der hat nicht Latein gekonnt!
– Aber der hat ja wiederum von einem gelernt, der doch Latein gekonnt hat! Daher ist auch das, was Sie gelernt haben, abhängig von der lateinischen Sprache, und alles, was man heute lernt, ist abhängig von der lateinischen Sprache. Sie können das schon daraus sehen, daß, wenn Ihnen
einer ein Rezept ausstellt, er es lateinisch schreibt. Das rührt noch her von den Zeiten, wo man überhaupt alles lateinisch geschrieben hat. Es ist noch nicht lange her, dreißig, vierzig Jahre, da wurde verlangt, daß jeder, der an der Hochschule war, seine Prüfungsarbeit in der lateinischen Sprache schrieb.
Also alles, was man heute lernt, ist abhängig von der lateinischen Sprache. Und das ist dadurch so geworden, daß man im Mittelalter, wenn man zurückgeht ins 14., 15. Jahrhundert – das ist also noch gar nicht so lange her -, alles lateinisch vorgetragen hat. Der erste, der zum
Beispiel deutsch in Leipzig vorgetragen hat, ist ein gewisser Thomasius.
Das ist noch nicht lange her, das war im 17. Jahrhundert. Überall wurde lateinisch vorgetragen.

Derjenige, der etwas gelernt hat, ging durch die lateinische Sprache hindurch, und im Mittelalter war überhaupt all das, was man lernen konnte, nur lateinisch. Wenn man irgend
etwas anderes lernen wollte, mußte man erst Lateinisch lernen. Sie werden sagen: Aber nicht in der Volksschule. — Aber Volksschulen gibt es ja erst seit dem 16. Jahrhundert. Erst allmählich, als die Volkssprache auch die Wissenschaft aufnahm, gab es Volksschulen. Also dasjeni-
ge, wovon unser ganzes Denken beeinflußt ist, ist die lateinische Sprache. Sie alle, meine Herren, denken so, wie die Menschen denken gelernt haben durch die lateinische Sprache. Und wenn Sie auch zum Beispiel anführen, sagen wird, die Amerikaner lernten nicht so früh Latei-
nisch – ja, aber die Amerikaner von heute sind ja von Europa eingewandert! Das hängt alles von der lateinischen Sprache ab.

Die lateinische Sprache hat aber eine ganz bestimmte Eigentümlichkeit. Sie ist nämlich so ausgebildet worden im alten Rom, daß sie selber denkt. Es ist interessant, wie der lateinische Unterricht in den Gymnasien gegeben wird. Er wird so gegeben, daß man also Latein lernt, und
dann lernt man das Denken, das richtige Denken an dem lateinischen Satze. So daß also das ganze Denken abhängig wird von etwas, was gar nicht der Mensch macht, sondern was die lateinische Sprache macht.
Verstehen Sie das nur, meine Herren, daß das etwas ganz Wichtiges ist! Also die Menschen, die heutzutage irgend etwas gelernt haben, denken nicht selber, sondern bei denen, wenn sie auch niemals die lateinische Sprache gelernt haben, denkt die lateinische Sprache. Deshalb ist es ja
so, daß man selbständiges Denken, so kurios das ist, eigentlich heute nur noch bei manchen Menschen trifft, die nicht viel gelernt haben.
Ich will damit ja nicht etwa sagen, wir sollen wiederum in den Analphabetismus zurück. Das können wir nicht. Ich will nirgends einen Rückschritt; aber dasjenige, was ist, muß man verstehen. Deshalb ist es ja so wichtig, daß man manchmal auch zurückgehen kann zu dem, was
der einfache Mensch, der wenig gelernt hat, noch weiß. Er kann es ja gar nicht mehr herausbringen, weil man ihn natürlich auslacht. Aber trotzdem, es ist außerordentlich wichtig, daß man weiß: Die Menschen denken heute nicht selbst, sondern die lateinische Sprache denkt in
ihnen.
Sehen Sie, solange man nicht selber denken kann, solange kann man überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen. Jetzt haben Sie den Grund, warum sich die heutige Erkenntnis auflehnt gegen alles geistige Erkennen: weil die Leute durch die lateinische Erziehung dazu ge-
kommen sind, nicht selber zu denken.

Das ist das erste, was man lernen muß: selber denken. Die Leute haben heute ganz recht, wenn sie sagen:
Das Gehirn denkt. – Warum denkt das Gehirn? Weil die lateinischen Sätze ins Gehirn hereingehen, und das Gehirn denkt ganz automatisch bei dem heutigen Menschen. Das sind Automaten der lateinischen Sprache, die herumlaufen und gar nicht selber denken.

In der letzten Zeit ist nämlich etwas geschehen, was ganz merkwürdig ist. Ich habe es Ihnen schon das letzte Mal angedeutet, aber Sie werden es nicht bemerkt haben, weil es nicht so leicht zu bemerken ist.
In der letzten Zeit ist nämlich etwas ganz Besonderes geschehen. Nicht wahr, wir haben in uns unseren physischen Körper, außerdem unseren Ätherkörper und die anderen auch noch, davon will ich jetzt nicht reden. Nun, das Gehirn gehört natürlich zum physischen Körper, aber es
ist der Ätherkörper auch im Gehirn darin, und selbst denken kann man nur mit dem Ätherkörper. Man kann nicht mit dem physischen Körper selbst denken. Aber denken kann man mit dem physischen Körper, wenn es so ist wie bei der lateinischen Sprache: daß das Gehirn wie ein
Automat benutzt wird, wenn man mit dem Gehirn denkt. Aber solange man bloß mit dem Gehirn denkt, kann man ja nichts Geistiges denken.

Da muß man anfangen mit dem Ätherkörper zu denken, mit dem Ätherkörper, der bei dem, der geisteskrank ist, durch viele Jahre oft nicht benutzt wird. Das muß man in innere Tätigkeit bringen.
Aber das ist es, worauf es zuallererst ankommt: daß man selbständig selber denken lernt. Ohne daß man selbständig selber denken kann, kann man nicht in die geistige Welt hineinkommen. Dazu ist natürlich notwendig, daß man überhaupt zuallererst darauf kommt: Donnerwetter, du hast
ja in deiner Jugend gar nicht selber denken gelernt! Du hast nur gelernt, das zu denken, was seit Jahrhunderten durch den Gebrauch der lateinischen Sprache gedacht worden ist. — Und wenn man dies in der richtigen Weise weiß, dann weiß man, daß die allererste Bedingung, auf die
es ankommt zum Hineinkommen in die geistige Welt, ist: Lerne selbständig denken.

Aber jetzt kommt das, worauf ich hindeuten wollte, indem ich sagte, in der letzten Zeit ist etwas Merkwürdiges vorgekommen. Diejenigen Menschen, die am meisten nur nach dem Lateinischen gedacht haben, das waren ja die Gelehrten, und die Gelehrten haben zum Beispiel die Physik gemacht. Die Physik haben sie ausgedacht, sie haben sie gedacht ganz im Sinne der lateinischen Sprache mit dem physischen Gehirn. Als wir klein waren, als ich so alt war wie zum Beispiel da der junge Erbsmehl, da haben wir nur eine Physik gelernt, die ausgedacht worden ist mit dem lateinischen Gehirn. Nur das haben wir ja gelernt, was ausgedacht worden ist mit dem lateinischen Gehirn. Aber seither, meine Herren, ist ja ungeheuer viel geschehen.

Sehen Sie, als ich klein war, kam eben das Telephon auf. Es war ja vorher nicht da. Nachher kamen alle die anderen großen Erfindungen, in die heute der Mensch schon so hineinwächst, als wenn sie immer dagewesen wären. Die sind ja erst in den allerletzten Jahrzehnten gekommen. Dadurch sind immer mehr Leute in die Wissenschaft hineingekommen, die nicht lateinisch dres-
siert worden sind. Das ist solch eine merkwürdige Geschichte. Wenn man nämlich dem wissenschaftlichen Leben in den letzten Jahrzehnten nachgeht, so findet man, daß immer mehr solche Techniker hineinkommen in die Wissenschaft. Die haben sich nicht viel mit dem Latei-
nischen befaßt. Dadurch ist ihr Denken nicht so automatisch geworden. Und dieses nichtautomatische Denken ist dann auch auf die anderen übergegangen. Daher ist es heute so, daß die Physik lauter Begriffe, Ideen hat, die zerfallen.
Die sind höchst interessant. Da ist zum Beispiel der Professor Grüner in Bern, der vor zwei Jahren über die Neuorientierung der Physik gesprochen hat. Da hat er gesagt: Alle Begriffe
sind anders geworden in den letzten Jahren.
Daß man das nicht bemerkt, kommt eben nur davon her, daß, wenn Sie heute in populäre Vorträge gehen, Ihnen die Leute noch das erzählen, was man vor zwanzig Jahren gedacht hat! Das was heute gedacht wird, das können sie Ihnen nicht erzählen, weil sie selber noch nicht denken können. Es ist nämlich gerade so, wenn man die Begriffe nimmt, die man noch vor dreißig Jahren hat gelten lassen, wie wenn man ein Stückchen Eis hat und das zerschmilzt: die Ideen zerschmelzen. Sie sind nicht mehr da, wenn man sie genau denken will. Wir müssen das eben einsehen.
Es ist ja so:
Wenn einer vor dreißig Jahren Physik gelernt hat und heute sich anschaut, wie es geworden ist, möchte er ich die Haare ausraufen, weil er sich sagen muß: Ja, da komme ich nicht zu Rande mit den Begriffen, die ich gelernt habe! – Dies ist eben so. Und woher rührt das? Ja, das rührt eben davon her, weil in den letzten Jahren die Menschen durch die Entwickelung der Menschheit
dazu gebracht worden sind, daß der Ätherleib anfangen soll zu denken.
Und das wollen sie nicht, sie wollen mit dem physischen Leib weiter denken. Aber im physischen Leib fallen einem die Begriffe ganz auseinander. Und mit dem Ätherleib wollen sie nicht denken lernen. Selbständig denken wollen sie nicht lernen.

Nun, sehen Sie, da ist es eben so, daß es notwendig geworden ist, daß ich im Jahre 1893 dieses Buch geschrieben habe über die Philosophie der Freiheit. Dieses Buch, «Die Philosophie der Freiheit», ist nicht so wichtig durch das, was drinnen steht. Natürlich, das, was drinnen steht, das wollte man schon auch dazumal der Welt sagen, aber das ist nicht das allerwichtigste, sondern das Wichtige bei diesem Buche «Die Philosophie der Freiheit» ist, daß zum ersten Mal ganz und gar selbständiges Denken in diesem Buche ist. Kein Mensch kann das Buch
verstehen, der nur unselbständig denkt. Er muß sich Seite für Seite, ganz von Anfang an, daran gewöhnen, zurückzugehen zu seinem Ätherleib, um solche Gedanken überhaupt haben zu können, wie sie in diesem Buche sind. Deshalb ist dieses Buch ein Erziehungsmittel – es ist ein sehr wichtiges Erziehungsmittel -, und als solches muß man es auffassen.

Als das Buch erschienen war in den neunziger Jahren, da haben die Leute überhaupt nicht gewußt, was sie mit ihm machen sollen. Das ist für sie so gewesen, wie wenn einer in Europa chinesisch schreibt und kein Mensch das verstehen kann. Es war ja natürlich deutsch geschrieben, aber es war in Gedanken geschrieben, die den Leuten gar nicht gewohnt waren, weil in dieser Beziehung alles Lateinische ganz absichtlich abgestreift ist. Es ist zum ersten Male ganz bewußt Rücksicht darauf genommen: Da drinnen sollen keine Gedanken sein, die noch durchs Lateinische beeinflußt sind, sondern nur ganz selbständige Gedanken. –
Ein Lateiner ist ja nur das physische Gehirn. Der Ätherleib des Menschen ist kein Lateiner. Daher muß man sich erst bemühen, in einer Sprache solche Gedanken auszudrücken, wie man sie dann hat, wenn man sie im Ätherleib hat.

Ich will Ihnen noch etwas sagen. Natürlich bemerkten die Menschen, daß in den letzten Jahrzehnten die Begriffe alle anders geworden sind.
Als ich eben noch jung war, da kam der Professor, schrieb die ganze Tafel voll. Das mußte man lernen, und dann machte man ein gutes Examen. Na, schön! Und jetzt, in den letzten Jahren sind die Leute darauf gekommen, was eben dieser Grüner gesagt hat bei seiner Rektoratsrede: Alle unsere Begriffe hätten ja keinen Sinn mehr, wenn es keine festen, sondern nur flüssige Körper geben würde. –
Er stellt sich vor, daß die ganze Welt ein flüssiger Körper wäre. Dann aber hätten die
Begriffe alle keinen Sinn mehr, dann müßte man ganz anders denken,sagt er. Ja, natürlich müßte man anders denken, wenn kein fester Körper mehr da wäre! Dann könnten Sie mit all den Begriffen, die Sie in der Schule gelernt haben, nichts mehr anfangen. Wenn Sie also, sagen wir,
als Fisch plötzlich ganz gescheit würden und es käme Ihnen die Idee, Sie sollten als Fisch auf eine menschliche Hochschule gehen, dann würden Sie da etwas lernen, was es überhaupt für den Fisch nicht gibt, weil der Fisch im Wasser lebt. Er hat feste Körper nur an der Grenze, wo er
antippt und gleich wieder zurückprallt. Also wenn der Fisch anfangen würde zu denken, müßte er ja ganz andere Gedanken haben als der Mensch.

Aber solche Gedanken, die braucht der Mensch heute auch, weil ihm die anderen Gedanken entfallen, und er muß sich selber sagen:
Donnerwetter, wenn alles flüssig wäre, müßten wir ganz andere Gedanken haben.
Ja aber, meine Herren, habe ich Ihnen nicht erzählt von einem Zustand der Erde, wo es noch keine festen Körper gegeben hat, wo alles flüssig war, wo selbst die Tiere so waren, daß sie flüssig waren? Ich habe Ihnen ja erzählt von diesem Zustande. Ist es Ihnen nicht begreif-
lich, daß das heutige Denken in diese Zustände überhaupt nicht zurückkommt? Die kann es ja nicht denken! Also kann das heutige Denken über den Weltanfang überhaupt nichts ausmachen. Und, so muß man sagen, die heutigen Menschen fangen an, sich zu denken: Donnerwetter, wenn die Welt flüssig wäre, müßten wir ganz andere Begriffe haben! – Aber in der geistigen Welt sind keine festen Körper!
Also mit all den Begriffen, die die lateinische Sprache in die Menschen nach und nach hineindressiert hat, kann man überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen. Die muß man sich erst abgewöhnen, diese Begriffe.
Sehen Sie, das ist ja ein großes Geheimnis: Im Griechentum, das vorangegangen ist dem Lateinertum – das Lateinertum, das entstand erst fünf, sechs Jahrhunderte vor Christi Geburt, aber das Griechentum ist viel älter -, im Griechentum, da gab es noch eine Erkenntnis des Gei-
stigen. Da konnte man noch in die geistige Welt hineinschauen. Als das Römertum gekommen ist mit der lateinischen Sprache, da wurde der Geist allmählich ausgerottet.

Jetzt muß ich wiederum etwas sagen, was Ihnen sehr kurios vorkommen wird, aber Sie werden das begreifen.
Wer hat sich denn der lateinischen Sprache durch die Jahrhunderte bedient, nur die lateinische Sprache gebraucht? – Die Kirche selber hat am meisten dazu beigetragen! Das ist es gerade, daß die Kirche, die vorgibt, den Menschen den Geist beizubringen, gerade am meisten dazu
beigetragen hat, den Geist auszutreiben. Und im Mittelalter waren alle Hochschulen kirchlich. Natürlich muß man der Kirche dankbar sein, daß sie überhaupt die Hochschulen begründet hat im 13., 14., 15. Jahrhundert, aber sie hat sie begründet aus dem Lateinertum heraus, und
das Lateinertum hat niemals die Möglichkeit, zum Geist zu kommen.
Und so ist es eben gekommen, daß die Menschen allmählich nur Begriffe gehabt haben für feste Körper. Sehen Sie sich das einmal bei den Römern an: Die Römer haben diese ganz trockenen, nüchternen, ungeistigen Begriffe in die Welt eingeführt. Das hat gemacht, daß dann alles so materiell vorgestellt worden ist. Was glauben Sie, wenn noch die Griechen solch eine Handlung wie das Abendmahl geschildert hätten – ja, die hätten doch das nicht so geschildert, als ob das Materielle, das man da hat, Blut und Fleisch wäre! Das kommt ja vom Materialismus.
Sogar die Abendmahlsauffassung ist materialistisch geworden, weil alles das zusammenhängt mit der lateinischen Sprache.

Die lateinische Sprache ist ganz nur logisch. Sehen Sie, ich habe ja mit vielen solchen Menschen gearbeitet, die eine ganz lateinische Kultur gehabt haben, trotzdem sie deutsch geredet haben. Wollte man irgend etwas klar haben, dann übersetzte man geschwind die Geschichte ins Lateinische, weil man im Lateinischen nur logisch denkt in der neueren Zeit. Aber dieses logische Denken, das bezieht sich ja eben nur auf feste Körper. Will man in die geistige Welt hinein, so braucht man flüssige Begriffe.
Da gibt es zum Beispiel die Theosophische Gesellschaft. Die wollte ja auch in die geistige Welt hinein. Diese Theosophische Gesellschaft, die redet auch davon: Der Mensch hat einen physischen Leib, einen Ätherleib und so weiter – aber die sind materialistisch, denn sie denken ja
nur: Der physische Leib, der ist dick, der Ätherleib ist etwas dünner und der astralische Leib noch dünner. –
Aber das bleibt ja lauter Körper, das wird ja niemals Geist, weil man zu solchen Begriffen kommen muß, wenn man in den Geist hinein will, die fortwährend sich verändern. Sehen Sie, wenn ich zeichne, dann werden Sie bemerken, daß ich das selbst beim Zeichnen berücksichtige. Ich zeichne meinetwillen den physischen Leib auf; da versuche ich nachzuahmen, wie der Mensch als
physischer Mensch ist. Wenn ich aber nun versuche den Ätherleib zu zeichnen, da wird es mir gar nicht einfallen, Ihnen in derselben Weise eine Figur hinzuzeichnen, sondern da versuche ich so darzustellen: Der Mensch hat auch einen Ätherleib, der dehnt sich so aus. –

Aber Sie müssen wissen: Das ist nicht so sehr der Ätherleib, nicht so sehr, wenn ich ihn so aufzeichne, seine Abbildung, sondern das ist nur die Abbildung eines Augenblicks. Im nächsten Augenblick ist er wieder anders. — Also wenn ich den Ätherleib zeichnen wollte, müßte ich jetzt aufzeichnen, geschwind auslöschen, wieder anders aufzeichnen, wieder löschen, wieder aufzeichnen, wieder löschen. Das ist in fortwährender Bewegung. Der Mensch kommt da mit seinen Begriffen, wie er sie heute hat, diesen Bewegungen gar nicht nach. Das ist es, was Sie vor allen Dingen berücksichtigen müssen: daß die Begriffe beweglich werden müssen. Daran müssen sich die Menschen erst gewöhnen. Daher ist es notwendig, daß man heute zu ganz selbständigem
Denken kommt.

Aber das genügt noch nicht, meine Herren. Ich will Ihnen noch etwas anderes sagen. Sie wissen ja: Der Mensch entwickelt sich. Nun, man beachtet gewöhnlich diese Entwickelung im Leben des Menschen nicht; aber wenn der Mensch noch ganz jung ist, beachtet man es. Man weiß ganz gut: Ein vierjähriges Kind kann noch nicht schreiben und rechnen und lesen, ein achtjähriges Kind kann es vielleicht. Da sieht man die Entwickelung. Aber im späteren Leben, wenn wir einmal «ge-
machte Menschen» sind, da sind wir ja überhaupt so hochnäsig, daß wir es nicht mehr zugeben, daß wir uns entwickeln. Aber wir entwikkeln uns eigentlich durch das ganze Leben, und es ist sehr eigentümlich, wie wir uns entwickeln. Sehen Sie, unsere Entwickelung, die geht nämlich so:

Nehmen Sie an, wir haben den Menschen – ich will ihn ganz schematisch zeichnen -: Wenn das Kind ganz jung ist, dann geht alle Entwickelung vom Kopfe aus. Wenn man dann den Zahnwechsel
durchgemacht hat, also älter geworden ist, dann geht alle Entwickelung von der Brust aus. Deshalb muß man so achtgeben, wie die Kinder vom siebenten bis vierzehnten Jahre atmen; daß sie genügend atmen und so weiter. Also das ist das Alter von dem größeren Kind — heute müßte
man ja eigentlich schon anders sagen, heute lassen sich das die Kinder nicht mehr gefallen; vom vierzehnten Jahr an muß man heute schon «junge Damen» und «junge Herren» sagen. Also sagen wir: das ist das Alter der größeren Kinder. Und erst, wenn der Mensch geschlechtsreif geworden ist, geht vom ganzen Menschen, von den Gliedmaßen die Entwickelung aus. So daß wir sagen können: Wenn der Mensch geschlechtsreif geworden ist, da erst ist der Mensch selber in voller Entwickelung. –

Das bleibt jetzt. Da entwickeln wir uns durch die Zwanzigerjahre, Dreißigerjahre noch hindurch. Aber, sehen Sie, meine Herren – einige von Ihnen können das ja schon an sich selbst sehen -, wennman älter wird, dann geht manches wiederum zurück. Da geht wirklich manches zurück. Nun, das braucht ja nicht der Fall zu sein, wenn man ein geistiges Leben aufgenommen hat, aber so im normalen menschlichen Leben geht schon die Sache zurück, wenn man älter geworden ist.
Das ist gerade die Aufgabe der Anthroposophie, dafür zu sorgen, daß die Menschen in der Zukunft mit dem Alter nicht mehr zurückgehen.
Aber das muß natürlich auch langsam und allmählich geschehen.

Nun ist es ja so, daß es Menschen gibt, bei denen die geistigen Kräfte, wie man sagt, ganz furchtbar zurückgehen. Nun kann der Geist aber nicht zurückgehen, sondern es ist wieder nur der Körper, der zurückgeht. Es ist nun interessant, daß gerade sehr geistreiche Menschen
oftmals im Alter furchtbar zurückgehen. So zum Beispiel werden Sie schon gehört haben, daß die Menschen ja den Kant zu den besonders großen Weisen rechnen. Kant war aber in seinem Alter blödsinnig.
Also sein Körper ist so zurückgegangen, daß er seinen weisen Geist nicht mehr benützen konnte. Und so ist es bei vielen. Gerade sehr gescheite Leute sind im Alter ja richtig blödsinnig geworden. Das ist natürlich wieder nur ein starker, intensiver Ausdruck für das, was bei
jedem Menschen eintritt. Allmählich kann man ja im Alter den physischen Körper nicht mehr gebrauchen. Man kann ihn ja dann schon aus dem Grunde nicht gebrauchen, weil sich ungeheuer viel Kalk einlagert, namentlich in die Adern. Und je mehr sich Kalk in die Adern einlagert,
desto weniger kann man den physischen Körper gebrauchen. Aber in demselben Maße, in dem, sagen wir zum Beispiel bis zum vierzigsten Jahre vom Kopfe herunter die Entwickelung in den ganzen Körper hineingeht, in demselben Maße geht es wiederum zurück.

Kommt man von den Vierziger- in die Fünfzigerjahre hinauf, so muß man wiederum die Brust mehr gebrauchen, und im Alter muß man wieder mehr den Kopf gebrauchen. Wenn man also ganz alt geworden ist, muß man wieder mehr den Kopf gebrauchen. Aber jetzt müßte man im Alter
nicht den physischen Kopf gebrauchen, sondern den feineren Kopf, den Ätherkopf da oben muß man gebrauchen. Aber das lernen die Leute in der lateinischen Erziehung nicht. Und gerade diejenigen, die in den letzten Jahrzehnten materialistische lateinische Erziehung genossen
haben, die sind am meisten diesem Altersblödsinn ausgesetzt gewesen.
Man muß im Alter wiederum auf die Kindheitsstufe zurück. Es gibt ja Leute, bei denen das sehr stark eintritt. Sie werden, wie man sagt, geistig immer schwächer und schwächer. Der Geist bleibt aber ganz erhalten, der Körper wird nur immer schwächer und schwächer. Solche
Leute können zuletzt das nicht mehr, was sie zuallererst fertig gebracht haben. Solche Dinge kommen durchaus vor. Sagen wir, ein Mensch ist alt geworden. Das, was er zuletzt getrieben hat, das kann er gar nicht mehr. Er kann nur noch dasjenige, was er als größeres Kind getrieben
hat. Zuletzt kann er auch das nicht mehr, sondern er kann nur noch spielen und versteht auch nur noch diejenigen Begriffe, die er während des Spielens aufgenommen hat. Es hat sogar Leute gegeben, die konnten im höchsten Alter nur noch dasjenige verstehen, was ihnen die Eltern oder die Amme in den allerersten Kindheitsjahren gesagt haben.

Der Ausdruck: Im Alter wird man kindisch – der hat nämlich eine sehr gute Begründung. Man gelangt wirklich wiederum in die Kindheit zurück.
Aber das ist, sobald man Geistesleben in sich hat, kein Unglück, gar kein Unglück, sondern es ist eigentlich ein Glück; denn wenn mannoch Kind ist, da kann man nämlich den Ätherleib benützen. Wenn das Kind herumtobt und schreit und alles mögliche macht, ja, das macht
nicht der physische Leib – höchstens nur dann, wenn es Bauchweh hat, aber dann muß auch erst der Bauchschmerz übertragen werden auf den Ätherleib und astralischen Leib, damit das Kind sich infolge des Bauchwehs bewegt -; aber das, was da tobt, das ist eben nicht der physische Leib.

Nun ist man alt und kommt wiederum auf die Kindheitsstufe zurück; dann hat man sich allmählich angewöhnt, nicht mehr zu toben, und benützt denselben Ätherleib, den man als Kind zum Toben
benützt hat, dann im Alter zu etwas Gescheiterem. Also das kann ein Glück werden, daß man wiederum so zurückkommt.
Da haben Sie das zweite. Das erste, was man lernen muß, um in die geistige Welt hineinzukommen, ist ein richtiges Denken. Wie man dazu kommt, darüber werden wir noch weiter reden; die Fragen sind sehr kompliziert. Wir müssen heute erst einmal darauf kommen, einzusehen, wie das ist. Das erste ist ein ganz selbständiges Denken.

Da muß man mit vielem brechen, was heutige Erziehung ist, denn die heutige Erziehung ist eben unselbständiges Denken, das vom Latein herrührt.
Denken Sie nicht, daß dasjenige Denken, das heute an sozialistischen Theorien entwickelt wird, ein freies Denken ist! Die haben ja alle von dem gelernt, was aus dem Latein herausgekommen ist; die haben es nur nicht gewußt. Nicht wahr, der Arbeiter mag in seinem Wollen das oder
jenes sich vornehmen können; aber wenn er anfängt zu denken, so denkt er ganz nach Bourgeoisbegriffen, und die sind ja aus lateinischem Denken hervorgegangen. Also das erste, das man haben muß, ist selbständiges Denken.
Das zweite aber, das ist, daß man lernen muß, nicht bloß in dem gegenwärtigen Augenblick zu leben, sondern immer wiederum zurückgehen zu können in das Leben, das man bis in die Kindheit hinein geführt hat. Sehen Sie, wer in die geistige Welt eindringen will, der muß oft-
mals sich vornehmen: Jetzt mußt du darauf kommen, wie es war, als du ein zwölfjähriger Junge warst. Was hast du da getan? – Und das muß man nun nicht oberflächlich, nur äußerlich, sondern ganz im einzelnen sich vorstellen. Es ist zum Beispiel nichts nützlicher, als wenn man anfängt sich zu sagen: Ja, da war ich ein zwölfjähriger Junge – ich kann es ganz gut übersehen -, da war ein Steinhaufen am Weg, auf den bin ich draufgestiegen. Einmal bin ich heruntergepurzelt. Da war irgendeine Haselnußstaude, da habe ich mein Messer herausgenommen,Zweige abgeschnitten, mich in den Finger geschnitten. –

Dieses wiederum so richtig sehen, was man vor vielen Jahren selber gemacht hat:
dadurch kommt man in das hinein, daß man eigentlich nicht bloß im Gegenwärtigen lebt. Wenn Sie denken, so wie man es heute gelernt hat, da denken Sie mit Ihrem gegenwärtigen physischen Leib. Aber wenn Sie auf das zurückkommen, was Sie mit zwölf Jahren waren, da können Sie nicht mit Ihrem damaligen physischen Leib denken, denn der ist nicht mehr da – ich habe Ihnen das gesagt, der physische Leib ist alle sieben Jahre neu —, da müssen Sie mit Ihrem Ätherkörper denken. Des-
halb rufen Sie diesen Ätherleib auf, wenn Sie zurückdenken an etwas, was im Alter von zwölf, vierzehn Jahren zurückliegt. Dadurch kommen Sie in diese innere Ttätigkeit hinein.

Und ganz besonders kann man sich angewöhnen, überhaupt anders zu denken, als man gewöhnlich denkt. Sehen Sie, wie denken Sie? Nicht wahr, wir haben uns heute um neun Uhr getroffen. Da habe ich angefangen Ihnen zuerst die Zettel vorzulesen, auf denen Fragen stehen.
Dann habe ich allerlei Betrachtungen angestellt, und wir sind jetzt dazu gelangt, zu sagen: Wir müssen zurückdenken an ein früheres Leben, das wir durchgemacht haben, als wir zwölf, vierzehn Jahre alt waren.
Jetzt können Sie, wenn Sie heimkommen, vielleicht, wenn es Ihnen besonders interessant ist, diese Gedanken noch einmal durchdenken. Nun ja, das kann man. So machen es ja die meisten Menschen: sie gehen das noch einmal durch. Aber Sie können etwas anderes machen. Sie können
sagen: Was hat er zuletzt gesagt? Er hat zuletzt gesagt, daß man also an sein früheres Leben, bis ins Alter von zwölf, vierzehn Jahren zurück, denken soll. Noch früher, da hat er davon gesprochen, daß man freies Denken haben muß. Noch früher hat er ausgesprochen, wie das Latei-
nische allmählich hereingekommen ist. Noch früher, wie der Mensch, wenn er eine Zeitlang geistig nicht gesund gewesen ist, dann zurückschaut und sagt, er hätte da etwas Besonderes erfahren. Da hat er auseinandergesetzt, wie der innere Mensch nicht geistig krank wird, son-
dern nur der Körper krank wird. Sehen Sie, jetzt hätten Sie den ganzen Vortrag rückwärts gedacht.

Ja, meine Herren, rückwärts laufen die Dinge draußen nicht! Ich könnte Ihnen ja allenfalls auch gleich im Anfang den Vortrag rückwärts halten, aber Sie würden ihn nicht verstehen, denn man fängt eben vom Anfang an und baut so auf, daß man es allmählich versteht. Hat man es aber verstanden, dann kann man es auch rückwärts denken. Aber rückwärts gehen doch die Tatsachen nicht vor sich! Da reiße ich mich los von den Tatsachen. Da denke ich so, daß ich sage: Justament denke ich so, wie es nicht draußen vorgeht, sondern ich denke rückwärts. –
Dazu gehört nämlich eine gewisse Kraft. Da muß ich mich innerlich regsam machen, wenn ich rückwärts denke. Geradeso wie derjenige, der durch ein Teleskop sieht, lernen muß, das Teleskop zu handhaben, so muß derjenige, der in die geistige Welt hineinschauen will, oftmals
rückwärts denken, immer wieder rückwärts denken. Da kommt schon eines Tages die Zeit, wo er weiß: Ah, jetzt gehe ich in die geistige Welt hinein.

Im physischen Körper haben Sie Ihr ganzes Leben daran gewöhnt, vorwärts zu denken. Wenn Sie jetzt anfangen rückwärts zu denken, da tut der physische Körper nicht mit. Da kommt etwas Eigentümliches zustande. Das ist ja, was man denen, die immer wiederum fragen: Ja, wie komme ich
in die geistige Welt hinein? – als ersten Ratschlag gibt – er steht auch in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» -, daß man ihnen sagt: Lernet wenigstens zunächst die Tagesereignisse zurückgehen; dann anderes. –
Nun haben die Leute natürlich zunächst bloß mit ihrem physischen Körper denken gelernt. Das beobachten sie. Sie strengen sich nun an, rückwärts zu denken, aber sie haben nur gelernt mit
dem physischen Leib zu denken, nicht mit dem Ätherkörper. Und jetzt kommt der «Generalstreik» vom Ätherkörper. Ja, es ist ein richtiger Generalstreik! Und wenn die Leute beim Rückwärtsdenken nicht so viel einschlafen würden, dann würden sie nämlich wissen: Wenn ich an-
fange rückwärts zu denken, müßte ich ankommen bei der geistigen Welt. – Aber gerade in dem Moment, wo das Schauen beginnt, schlafen die Leute ein, weil ihnen die Anstrengung zu groß ist. Also muß man den ganzen guten Willen und die ganze Kraft haben, nicht einzuschlafen. Dazu muß man Geduld haben. Das dauert sogar oft jahrelang; aber man muß dazu Geduld haben.

Sehen Sie, wenn Ihnen einer erzählen könnte, was Sie, wenn Sie rückwärts gedacht haben, nach dem Einschlafen unbewußt erleben, da würden Sie sehen, wie das ein furchtbar Gescheites ist! Die dümmsten Menschen fangen dann an, im Schlaf außerordentlich gescheite Gedan-
ken zu haben, nur wissen sie nichts davon.
Also darauf habe ich Sie zuerst aufmerksam gemacht: Erst muß man überhaupt lernen, selbständig zu denken. Nun, das kann man. Ich will nicht sagen zum Beispiel, weil ich ja nicht ein eingebildeter Tropf bin, daß nur meine «Philosophie der Freiheit» dazu dient, aber die ist be-
wußt dazu geschrieben, daß man sich selbständiges Denken angewöhnt.
Also: Selbständiges Denken; über Dinge, die im Alter von zehn, zwölf Jahren zurückliegen, oder Dinge, die man erlebt hat, ganz genau rückwärts denken. – Damit haben wir zunächst wenigstens einmal darauf aufmerksam gemacht, wie man sich losreißt vom physischen Leib, wie
man hineinkommt in die geistige Welt. Und davon wollen wir dann am Samstag weitersprechen, wollen das weiter so verfolgen, daß alle diese vier Fragen allmählich herauskommen.

NEUNTER VORTRAG
Dornach, 30. Juni 1923

Wir werden nun fortfahren in der Beantwortung der vorgelegten Fragen. Dabei müssen Sie sich aber klarsein, daß die Antwort auf diese Fragen zu den allerschwierigsten gehört. Ich werde es so leicht als möglich zu machen versuchen.

Ich habe Ihnen schon gesagt: Will man die Wege finden, um in die geistige Anschauung hineinzukommen, dann muß man zuerst sich angewöhnen können ein ganz selbständiges Denken. Zweitens muß man die Möglichkeit haben, wie ich Ihnen gesagt habe, zurückzudenken. Also man muß versuchen, diejenigen Dinge, die im Leben so verlaufen: zuerst das erste, dann das zweite, das dritte und so weiter – das muß man versuchen zurückzudenken. Also, wenn ich Ihnen einen Vortrag halte, sagte ich das letzte Mal, so müßten Sie versuchen, vom Ende anzufangen und gegen den Anfang zu denken.
Das sind solche Dinge, die zu den allerersten, ich möchte sagen, Anfangsgründen gehören.
Nun möchte ich aber heute ganz im Zusammenhang schon mit der zweiten Frage noch etwas anderes erörtern. Sie wissen ja, daß der Mensch nur leben kann bei einer bestimmten Wärme. Der Mensch
kann unter Umständen viel vertragen von Wärme. Wenn es im Sommer recht heiß wird, nun, dann schwitzt er halt, aber er kann es noch ertragen; aber wenn es noch höher hinaufginge, dann würde er nicht mehr leben können. Ebensogut kann der Mensch eine bestimmte Kälte ertragen, aber wenn es unter diese Kälte hinuntergeht, dann erfriert der Mensch.

Und sehen Sie, das Eigentümliche ist, daß man gerade zwischen diesen zwei Temperaturen, zwischen der Kälte bei der man anfängt zu erfrieren, und der Wärme, die man gerade noch aushaltenkann, zwischen diesen zwei Temperaturen, in denen der menschliche Körper lebt, gerade keine geistigen Wesenheiten sehen kann. Also ist es gar nicht besonders verwunderlich, daß der Mensch mit seinem Körper keine geistigen Wesenheiten wahrnehmen kann. Denn das ist gerade so,
wie ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe, daß man in dem Momente, wo man anfängt zurückzudenken, beginnen würde, geistige Wesenheiten zu sehen. Aber man schläft ein.

Die meisten Menschen schlafen ein, wenn sie sich eben nicht vorher zum Wachsein darauf erzogen haben.
Aber nun etwas anderes. Sehen Sie, der Mensch könnte, wenn er weiter hinaufkommen würde als in die Temperatur, die er gerade noch aushalten kann, da oben bei höherer Temperatur geistige Wesenheiten wahrnehmen. Aber er kann es nicht ertragen. Ebensogut könnte der Mensch geistige Wesenheiten wahrnehmen, wenn er sich ein Schneegewand machen könnte, ganz sich in Schnee stecken könnte; aber er erfriert dabei.
Also das, was dem Menschen so unwahrscheinlich vorkommt, das ist eben doch eine Tatsache: daß sich die geistigen Wesenheiten vor den Temperaturen, die der Mensch, wenn er im physischen Leibe ist, aushält, zurückziehen.
Nun kann der Mensch solche Temperaturen mit seinem Körper nicht aushalten, aber mit seiner Seele kann er sie aushalten. Nur, wie gesagt, die Seele schläft dann ein. Denn die Seele erfriert nicht, die Seele verbrennt auch nicht, aber sie schläft ein.
Nun gibt es aber zweierlei, wodurch der Mensch eine Ahnung bekommen kann, wie die Geschichte ist, wenn er in höhere Temperaturen kommt, als er aushält, und auch, wenn er in tiefere Temperaturen kommt, als er aushält. Dafür will ich Ihnen ein Beispiel nennen. Sehen Sie, der Mensch kommt in höhere Temperaturen, als er aushält, auf innerliche Weise, wenn er Fieber kriegt. Da kommt er zwar nicht in so hohe Temperaturen, daß er gleich daran zugrunde geht, aber weil die Wärme von innen erzeugt wird, kommt der Mensch in Fiebertemperaturen hinein, in eine höhere Temperatur, als er hineinkommt, wenn er kein Fieber hat. Sie wissen ja, der Mensch fängt, wenn er ins Fieber hineinkommt, wenn er in diese höhere Temperatur hineinkommt,
wirklich zu reden an wie einer, der nicht auf der Erde ist. Denn was die Leute im Fieber schwätzen, das hat keinen Bezug auf die Erde. Aber gerade wenn einer Materialist wäre, müßte er sagen: Ja, aber das sind doch Gedanken, die da ausgekocht werden in der Fieberhitze, wenn sie
auch nicht wahr sind.
Also wir haben beim Menschen etwas, wo er in einen Zustand erhöhter Temperatur hineinwächst, zunächst fiebert, wo er irrereden würde.
Nun, sehen Sie, die Seele, die kann nicht irrereden. Wenn die Seele auch in noch so hohem Fieber ist, sie kann nicht irrereden. Sie redet irre, weil bei höherer Temperatur, der Körper nicht in Ordnung ist. Sie können sich das vergegenwärtigen, wenn Sie an eine solche Kugel den-
ken, wie man sie manchmal in Blumengärten aufstellt, die ein Spiegel ist, in dem sich die Umgebung spiegelt. Wenn Sie da einmal hereingucken, da werden Sie ein Gesicht sehen, das Sie nicht gerne haben möchten! (Es wird skizzenhaft an der Tafel dargestellt.) Solch ein Gesicht
werden Sie nicht gerne haben mögen. Aber Sie werden auch nicht sagen: Donnerwetter, was habe ich für ein Gesicht gekriegt! –
Sie werden nicht glauben, daß das nun überhaupt Ihr Gesicht sei, weil es in der Kugel so verändert ausschaut. Wenn nun Ihre Seele im Fieber anfängt irrezureden, so werden Sie auch nicht sagen, Ihre Seele fängt an, irrezureden, sondern dasjenige, was Ihre Seele redet, das wird irre, weil es aus einem kranken Gehirn heraus redet, geradeso wie Ihr Gesicht so
breitmatschig ausschaut, weil es in einem so falschen Spiegel zum Ausdruck kommt. Also müssen Sie sich auch sagen: Wenn ich Fieber habe und dummes Zeug rede, so ist es mit der Seele so, daß sie aus einem kranken Gehirn heraus redet. Ich habe ja kein anderes Gesicht, wenn ich vor dem Kugelspiegel stehe, aber das alles erscheint verzerrt. –

So erscheint verzerrt, was der Fieberkranke redet, weil es aus einem kranken Körper und falsch wirkenden Gehirn heraus kommt. Aber woher kommt das falsch wirkende Gehirn? Davon, daß die ganze Blutzirkulation zu rasch vor sich geht. Sie brauchen nur den Puls zu fühlen, so
spüren Sie das schon. Also diese Fieberhitze im Kopf wird dadurch erzeugt, daß die Blutzirkulation zu rasch vor sich geht. Durch die Blutzirkulation wird Wärme erzeugt, die steigt in den Kopf: Sie haben Fieber. Ihre Seele erscheint wie in einem unrichtigen Spiegel.
Auch der umgekehrte Zustand kann eintreten, aber der tritt nicht dadurch ein, daß man sich in den Schnee legt und sich erfrieren läßt, denn da erfriert man wirklich. Der umgekehrte Zustand kann nämlich nur vom Geistigen aus eintreten. Da muß man schon vom Geistigen aus et-
was machen. Nun, sehen Sie, meine Herren, da kommt etwas sehr Merkwürdiges zustande. Denken Sie sich einmal: Einer fängt an furchtbar nachzudenken, denkt über die geringsten Kleinigkeiten nach.
Es ist besser, über die geringsten Kleinigkeiten als über wichtige Sachen nachzudenken, über solche sogenannten Kleinigkeiten, daß die meisten Menschen gar nicht darüber nachdenken wollen. Ich will Ihnen etwas zeigen: Wenn Sie hier ein Dreieck haben (siehe Zeichnung) und Sie tei-
len dieses Dreieck in vier gleiche Teile, so daß Sie also vier solche Dreiecke bekommen, so können Sie sagen: Das ganze Dreieck ist größer als jedes der vier kleinen Dreiecke. – Ich kann jetzt das verallgemeinern und kann sagen, es gibt einen Lehrsatz, der heißt: Das Ganze ist größer als seine Teile. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.) —
Donnerwetter, wenn da so ein satter Börsenmensch kommt und man sagt ihm:
Du, denke einmal darüber nach, das Ganze ist größer als seine Teile – dann sagt der: Nein, das ist mir viel zu langweilig! – Und wenn man noch gar zu ihm kommt und sagt: Sieh einmal, die Tafel ist ein Körper, die hat eine bestimmte Größe, die ist ausgedehnt, der Tisch ist auch ein
Körper, der hat eine bestimmte Größe, der ist ausgedehnt – und ich bilde jetzt den Satz: Alle Körper sind ausgedehnt. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.) — Denken Sie sich, wenn Ihnen einmal irgendwo in einer Versammlung die ganze Zeit nur vorgetragen würde über den einen Satz: Alle Körper sind ausgedehnt —, Sie würden weggehen und sagen: Das war eine fade, eine langweilige Geschichte! – Und wenn ich Ihnen jetzt noch mit etwas kommen würde und würde sagen: Seht einmal, die Wiese ist grün, die Rose ist rot, diese Gegenstände haben also Farben. Gestern war da eine Gerichtssitzung, da hat der Richter das oder jenes Urteil gefällt – das hat keine Farbe. Und in einem anderen Orte war auch eine Gerichtssitzung, da hat der Richter auch ein Urteil gefällt – das hat keine Farbe. Urteile haben keine Farben. –

So haben wir einen dritten Satz. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.) Ja,meine Herren, wenn Ihnen nun einer eine Stunde lang darüber vortragen würde: Urteile haben keine Farben -, da würden Sie sich sagen: Ich habe mir eine Stunde lang angehört: Urteile haben keine Farben -,
aber das ist furchtbar langweilig, das ist grenzenlos langweilig!
Aber warum sind Ihnen diese Urteile langweilig? Ich müßte Ihnen diese Sachen nicht an die Tafel schreiben, und ich müßte Ihnen auch nicht mit einer gewissen Spaßigkeit diese Sachen sagen, sondern ich müßte hereinkommen, steif und forsch wie ein Professor, und müßte nun sagen: Meine Herren, heute wollen wir uns über den Satz unterhalten: Urteile haben keine Farben – und dann müßte ich Ihnen eine ganze Stunde beweisen, daß der Satz richtig ist. Wie ich es hier Ihnen zeigte, das ist noch ganz amüsant. Aber so müßte ich kommen und eine ganze Stunde reden über den Satz: Urteile haben keine Farben, oder:
Alle Körper sind ausgedehnt. – So könnten Sie solch eine Linie ziehen, um von dem einen Punkt zum anderen zu kommen (es wird gezeichnet).
Die eine Linie ist gerade, die anderen sind alle krumm. Aber wenn Sie das angucken, so werden Sie gleich sagen: Die Gerade ist der kürzeste Weg, alle anderen sind länger. — Nun kann ich Ihnen wieder diesen Satz aufschreiben: Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei
Punkten. – Wenn ich da wiederum eine ganze Stunde über diesen Satz reden wollte, würden Sie es wieder langweilig finden.

Es gibt allerdings einen deutschen Professor, der sagt: Von der geistigen Welt kann man schon etwas erkennen; aber nur dasjenige kann man erkennen von der geistigen Welt, was in solchen Sätzen liegt. – Und nun trägt er seinen Schülern dann die Sätze vor, durch die man aus der
geistigen Welt etwas erkennt: Das Ganze ist größer als seine Teile. Die Urteile haben keine Farben. Die Körper sind ausgedehnt. Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten, und so weiter. —
Das ist das einzige, sagt er, was man wissen kann von der geistigen Welt. Ja, die Schüler, die langweilen sich furchtbar in diesen Vorträgen. Aber heute ist es so, daß die Leute schon den Glauben gekriegt haben: Man muß sich langweilen bei der Wissenschaft. — Deshalb sind die Schüler
sogar meistens gerade von dem Professor begeistert, der solches sagt.
Aber das ist nur eine Zwischenbemerkung. Die Geschichte ist nämlich diese. Wenn man solche Urteile in sich aufnimmt, solche Urteile fällt, solche Sätze: Das Ganze ist größer als
seine Teile, die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten – dann wird es nämlich im Hinterkopf kalt. Das ist das Eigentümliche: es wird im Hinterkopf kalt. Und weil es im Hinterkopf kalt wird, weil der Mensch anfängt zu frieren, will er gleich weg von solchen Sätzen.
Sie sind ihm langweilig. Das ist nämlich das Merkwürdige: Bei der Langeweile wird es im Hinterkopf kalt. Nicht der ganze Mensch wird kalt, aber der Hinterkopf wird kalt. Der Hinterkopf fängt an erfrieren zu wollen. Und der friert jetzt nicht durch den Schnee oder durch das Eis, sondern der friert durch das Seelische, dadurch, daß er solche
Dinge denkt, die kein Interesse für ihn haben.

Sehen Sie, man kann sich lustig machen über solche Sätze; aber die Sache ist diese, daß solche Sätze mit Geduld immer wieder denken, das heißt sich immer wieder mit Geduld in furchtbare Langeweile versetzen, ein richtiger Weg ist, um in das geistige Schauen hineinzukommen.
Es ist merkwürdig: Was der Mensch gerade nicht haben will, das muß er ausüben. Ich kann Ihnen sagen: Die Mathematik ist für manchen langweilig, aber weil sie schwer ist und man sich anstrengen muß, und weil die Mathematik gerade den Hinterkopf so kalt macht, deshalb
kommen diejenigen, die Mathematik lernen mußten, weil die so kalt war und man sich recht anstrengen mußte bei der Mathematik, am leichtesten in die geistige Welt hinein. Und diejenigen, die sich überwinden und solche Sätze immer wieder und wieder erleben, die also
künstlich sich die Langeweile anzüchten, die kommen am leichtesten in die geistige Welt hinein.

Ich habe Ihnen gesagt: Wenn man Fieber kriegt, dann wird der Puls schnell. Da wird man warm, und da ist es so, daß man Hitze in den Kopf, in das Gehirn hinein kriegt. Da kommt man eben in die Hitze hinein. Da redet man irre. – Wenn man sich aber jetzt mit solchen Sätzen plagt, wobei man ganz aufhören will zu denken, da wird das Blut nicht regsamer, sondern im Hinterkopf stockt es, das Blut. Und dadurch, daß das Blut stockt, sammeln sich dahinten Salze an. Salze
sammeln sich an. Das ist ein Zweifaches, wie diese Salze sich äußern.
Die meisten Menschen bekommen Bauchweh davon. Und weil sie das Bauchweh sehr rasch bemerken – es wird ihnen unbehaglich im Bauch, wenn sie solche Sätze denken sollen -, so hören sie bald auf. Aber wenn einer doch immerfort solche Sätze denkt, wie es der Nietzsche gemacht hat, der als ein sehr großer Mann gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelebt hat, der immerfort mit solchen Sätzen sich gequält hat in seiner Jugend, dann lagern sich viele Salze ab in seinem Kopf, und
Nietzsche litt fortwährend an Migräne. Und nun, sehen Sie, muß man es dahin bringen, daß man solche Sätze denken kann, ohne daß man Migräne kriegt, sich Salze ablagern, also auch ohne daß man Bauchweh kriegt. Man muß ein vollständig gesunder Mensch bleiben und künstliche Langeweile in sich erzeugen können. Also einer, der Ihnen ehrlich sagt, wie man in die geistige Welt hineinkommt, der muß Ihnen sagen:
Sie müssen zuerst künstliche Langeweile in sich erzeugen können, sonst können Sie überhaupt nicht in die geistige Welt hineinkommen.
Sehen Sie nur einmal die gegenwärtige Zeit an. Was will denn die gegenwärtige Zeit? Die gegenwärtige Zeit will fortwährend die Langeweile vertreiben. Wohin rennen die Menschen nicht überall, um ja keine Langeweile zu haben! Immerfort wollen sie sich amüsieren. Was heißt denn das, sich immerfort amüsieren wollen? Das heißt, vor dem Geist davonlaufen. Nichts anderes heißt das. Und unsere Zeit will sich immerfort amüsieren. Ja, wo irgend etwas Geistiges sein könnte, da rennt unsere Zeit immer gleich davon. Sie weiß es nicht, es geschieht
unbewußt.

Aber dieses Sich-amüsieren-Wollen ist eben ein Vor-dem Geiste-Davonlaufen. Das ist schon so. Und diejenigen allein können in den Geist hineinkommen, die sich nicht davor scheuen, das Amüsante einmal ganz zu lassen und künstlich in solchen Sätzen zu leben. Dann, wenn man es so weit gebracht hat, daß man künstlich in solchen Sätzen leben kann, daß man nicht mehr Migräne oder Bauchweh dabei bekommt, sondern es wirklich aushalten kann, viele Stunden lang in sol-
chen Sätzen zu leben, dann hat man die Möglichkeit, allmählich zum geistigen Schauen zu kommen.
Aber da muß noch eine Veränderung vor sich gehen. Nämlich von einem bestimmten Punkt an merkt man: Wenn man nun gelebt hat in solchen Sätzen, da fangen sie an, sich umzudrehen. – Da denke ich lange nach:
Das große Dreieck ist größer als seine Teile. Wenn ich darüber lange nachdenke, dann dreht sich mir der Satz um. Jetzt fängt er an, interessant zu werden, denn da bekomme ich einmal folgende Anschauung: Wenn ich hier ein Dreieck habe und ich nehme von diesem Dreieck das Viertel und ich will das heraustun, dann fängt es an zu wachsen (es wird gezeichnet), und es ist nicht mehr wahr, daß das Ganze größer ist als seine Teile. Das Viertel ist plötzlich größer. –
Ich sehe, daß das Viertel größer ist, und ich muß jetzt sagen: Das Ganze ist kleiner als
seine Teile. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.) Jetzt habe ich mich hineingearbeitet, wie es in der geistigen Welt ausschaut. Von der physischen Welt schaut es nämlich entgegengesetzt aus. In der physischen Welt ist immer das Ganze größer als seine Teile,
in der geistigen Welt ist der Teil größer als das Ganze. Sie können zum Beispiel keinen Menschen erkennen, wenn Sie nicht wissen, daß der Teil größer ist als das Ganze. Die heutige Wissenschaft, die will immer ins Kleinste schauen. Wenn Sie aber die Leber des Menschen erkennen
wollen, so ist sie kleiner als der Mensch, wenn Sie es hier im Physischen anschauen. Wenn Sie es geistig anschauen wollen, da wächst und wächst sie ins Riesenhafte, da wird die Leber ein ganzes Weltenall. Und wenn man das nicht beachtet, so kann man eben die Leber nicht geistig
erkennen.

Also Sie müssen erst ehrlich zu dem Satze gekommen sein: Das Ganze ist kleiner als sein Teil, und der Teil ist größer als das Ganze. —
Ebenso, wenn Sie genügend lange den Satz: Alle Körper sind ausgedehnt – gedacht haben, so daß Sie schon vor der furchtbaren Gefahr stehen, daß Ihnen Ihr Gehirn hinten erfriert, dann schrumpfen alle Körper zusammen, hören auf, ausgedehnt zu sein, und Sie bekommen endlich das Urteil: Kein Körper ist ausgedehnt. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.)

Und jetzt etwas ganz Spaßiges – spaßig ist es für die physische Welt, von höchstem Ernst ist es für die geistige Welt. Sehen Sie, Sie können finden, es gibt nichts Dümmeres, als wenn ich sage: In Buxtehude hat eine Gerichtsverhandlung stattgefunden, da ist ein Urteil gefällt wor-
den, das hat keine Farbe. In Trippstrill ist auch ein Urteil gefällt worden, das hat auch keine Farbe. – Aber wenn Sie den Satz lange denken, dann bekommen nämlich die Urteile Farben. Und geradeso, wie Sie sagen können: Die Rose ist rot – so können Sie sagen: Das Urteil von
Buxtehude ist schmutziggelb, und das Urteil von Trippstrill ist rot. –

Nun, es kann auch solche geben, die schön rot sind, aber das kommt selten vor. Sehen Sie, da wachsen Sie hinein in den Satz: Alle Urteile, die die Menschen fällen, haben Farben. – Und jetzt erst ist man auf dem Punkte, daß man überhaupt fähig wird, über die geistige Welt zu
denken, weil diese die entgegengesetzten Eigenschaften von der physischen Welt hat: Urteile haben Farben. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.)
Die Gerade ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten – das ist ja so richtig, daß man es als einen allerersten Lehrsatz in der Geometrie aufgetischt kriegt. Für die physische Welt ist das so richtig, als es nur richtig sein kann. Aber denkt man lange nach: Wenn einer, der kein
physisches, sondern ein geistiges Wesen ist, von Dorf A nach Dorf B kommen will, so kommt ihm der Weg furchtbar kurz vor, wenn er im Halbkreis läuft (es wird gezeichnet) – und Sie kommen zu dem Urteil:
Die Gerade ist der längste Weg zwischen zwei Punkten. (Der Satz wird an die Tafel geschrieben.)

Das ist schon etwas, wobei man ein bißchen den Mund aufreißen kann! Die Welt allerdings, die geht nicht ein auf solche Sachen. Die sagt: Nun ja, wenn einer anfängt zu sagen, Urteile haben Farben, so hat er das Fieber oder er ist verrückt. –

Aber darum handelt es sich eben, daß man zu diesen Dingen ohne seinen Körper kommt, mit voller Vernünftigkeit kommt, denn die geistige Welt hat nun einmal die entgegengesetzten Eigenschaften von der physischen Welt. Und man muß durch die allereinfachsten Sätze dazu kommen, weil die allereinfachsten Sätze die unglaublichsten sind. Nicht wahr, wenn Ihnen einer anfängt, inter-
essant über die geistige Welt zu reden, da hören die Leute natürlich zu, wie wenn ihnen überhaupt Gespenstergeschichten erzählt werden. Aber Sie hören nicht zu, wenn Ihnen einer sagt: Du mußt dich zuerst daran gewöhnen, künstlich in dir die Langeweile zu erzeugen. – Künstlich
muß man das machen. Wenn man sich durch die äußere Wissenschaft langweilt, da wird nichts daraus. Aber künstlich, durch innere Anstrengung muß man imstande sein, die Langeweile zu erzielen, ohne daß man Migräne oder Bauchweh bekommt, ohne daß der Körper beteiligt ist. Ist der Körper beteiligt, so bekommt man sofort Migräne oder Bauchweh. Hören Sie sich nur einmal an, was die Leute sagen, wenn sie hören: Ihr müsst euch nicht durch den Professor langweilen
lassen, das hilft euch nichts, da werdet ihr keine Geistesschauer, sondern ihr müßt nur nach und nach die Migräne und das Bauchweh überwinden. – Sehen Sie, der Student sitzt da, der Professor langweilt ihn furchtbar; er soll eigentlich Migräne oder Bauchweh kriegen, aber
das kriegt er nicht. Nun schlägt sich das in andere Organe, die weniger weh tun. Und eigentlich werden die Leute dann krank, weil der physische Körper mitmacht. Erzeugt man eben auf diese Weise Langeweile, wie es in der heutigen Wissenschaft geschieht, dann macht man die
Menschen nur krank. Gibt man den Menschen Anleitung, selber durch eigene innere Kraft ganz frei die Langeweile zu erzeugen, und gehen sie durch diese Langeweile hindurch, dann kommen sie nach und nach in die geistige Welt hinein, die man aber ergreifen muß, indem schon die aller-
ersten Urteile in der geistigen Welt umgekehrt sind. Es gibt schon ein außerordentlich gutes Mittel, wodurch man sehr tüchtig an sich selber arbeiten kann. Das ist, wenn man etwas recht, recht Langweiliges in der Welt erlebt und nachher, wenn es so langweilig gewesen ist, daß
man fortgelaufen ist, daß man es gar nicht mehr mochte oder froh war, wenn es aus war, dann fängt man an, ganz, ganz langsam darüber nachzudenken.

Sehen Sie, ich habe daran selber — das kann ich Ihnen verraten – furchtbar viel gelernt. Ich habe in meinem Leben, als ich jung war, furchtbar langweilige Vorlesungen gehört. Ja, ich muß sagen, bevor die Vorlesung angefangen hat, da habe ich mich sogar gefreut auf die lang-
weilige Vorlesung, weil das einen ebenso herausgebracht hat wie sonst im Leben das Schlafen. Also ich habe rechte Freude gehabt: Jetzt kannst du wieder einmal ein paar Stunden langweilige Vorlesungen hören! — Aber wenn die Vorlesung angefangen hatte und der Professor sprach, dann hatte ich fortwährend den Eindruck: Der redet ja fortwährend, der stört einem ja die Langeweile auch noch! – Aber hinterher, da habe ich immer tief über alles Einzelne nachgedacht, was er ge-
sagt hat.
Es hat mich nicht im geringsten interessiert, aber ich habe jede Stunde von Anfang wiederum durchgemacht, ganz richtig durchgemacht, und manchmal eine Stunde so durchgemacht, daß es zwei Stunden gedauert hat, also diese natürliche Langeweile künstlich erzeugt.
Meine Herren, da machen Sie eine sonderbare Entdeckung. Gerade am Ende des 19. Jahrhunderts konnten Sie eine ganz sonderbare Entdeckung machen. Denken Sie sich einmal, Sie kommen gerade aus der Vorlesung eines riesigen Rhinozerosses — die gibt es ja – und Sie haben sich
fürchterlich gelangweilt. Jetzt konnten Sie – das ist gerade am Ende des 19. Jahrhunderts der Fall gewesen -, jetzt konnten Sie, wie man sagt, meditieren über diese langweilige Vorlesung. Also alles, was Sie furchtbar gelangweilt hat, rufen Sie sich wiederum in die Seele herein. Dann
plötzlich erscheint einem da hinter dem Menschen, der einem wie ein Rhinozeros die größten Langweiligkeiten vorgetragen hat, nach und nach etwas wie ein höherer Mensch, wie ein ganz geistiger Mensch. Und die Lehrsäle verwandeln sich Ihnen – das ist so, daß man es in voller
Vernünftigkeit begreifen kann. Und ich kenne viele Professoren vom Ende des 19. Jahrhunderts, bei denen das der Fall war – aber ich will nicht, daß das nun wiederum herumgeredet wird, sonst denken dieLeute: das ist etwas ganz Schreckliches -: Hinter denen erschienen im-
mer die geistreichsten geistigen Menschen. Ja, was war denn das?
Es ist nämlich nicht wahr, daß die Menschen innerlich unbewußt so dumm sind, wie sie sich geben. Sie sind nämlich viel gescheiter, und gerade die Dümmsten sind manchmal gescheit. Das dreht sich auch um.
Aber sie können ihre eigene Gescheitheit nicht begreifen. Das ist nämlich ein furchtbares Geheimnis, denn gerade hinter den Leuten steht oft dasjenige, was ihr eigentlich Seelisches ist; das können sie selber nicht begreifen.

Ja, so kommt man schon hinein in die geistigen Welten. Sie wissen ja, am Ende des 19. Jahrhunderts hat es eine materialistische Naturwissenschaft gegeben. Die Leute beten heute noch immer dieser materialistischen Naturwissenschaft nach. Ich muß selber sagen: Es ist unge-
heuer nützlich gewesen, diese materialistische Naturwissenschaft kennenzulernen. – Diese materialistische Naturwissenschaft hat von Anfang bis zum Ende immer wiederum die langweiligsten Sätze vorgebracht. Wenn man nur sich alle Finger ableckt, daß man so gescheit
geworden ist und endlich weiß, daß der Mensch vom Affen abstamme, wie es die Naturwissenschaft sagt – ja, dann wird nichts daraus. Wenn man aber mit aller inneren Energie diesen Satz immer wieder und wieder denkt, dann verwandelt er sich zuletzt in einen geistig richtigen,
und man merkt: Der Mensch stammt gar nicht vom Affen ab, sondern von einem geistigen Wesen.
Es gibt da allerdings mancherlei Unterschiede.
Ein Junge wurde ein mal in die Schule geschickt. Zum ersten Mal hörte er von seinem Lehrer, daß der Mensch vom Affen abstamme — zu früh, das zeigte sich. Er sagte zu Hause zu seinem Vater: Du, Vater, ich hab‘ was gehört heute; denke nur, der Mensch stammt vom Affen ab! – I was denn! – sagte der Vater entrüstet – du bist ein dummer Junge! Bei dir kann das der Fall
sein! Bei mir aber nicht! – Sehen Sie, für den war es auch ganz unglaublich, die Geschichte. Er hat es nur auf das Seelische bezogen.
Aber Sie erfahren aus alledem, was ich Ihnen sage, daß man sich auf zweierlei Art auch in die Naturwissenschaft hineinfinden kann. Und ich kann Ihnen schon sagen: Wenn man nicht so Naturwissenschaft gelernt hat, wie sie sehr viele im 19. Jahrhundert und auch bis heute noch ge-
lernt haben, sondern wenn Sie, statt alles nachzuplappern, meditativ denken, immer wieder und wiederum denken, stunden-, stundenlang denken, dann dreht sich es wiederum um und es kommt das GeistigRichtige heraus. Und wenn Sie lange nachgedacht haben über Pflanzen und Mineralien und lange dasjenige, was die Leute Ihnen heute in einer so furchtbar materialistischen Weise sagen, einfach durchdenken, dann kommen Sie zuletzt dazu, die Bedeutung des Tierkreises, die Bedeu-
tung der Sterne, die ganzen Geheimnisse der Sterne vor sich zu haben.
Aber der sicherste Weg ist eben, von solchen Sätzen auszugehen: Der Teil ist größer als das Ganze. Kein Körper ist ausgedehnt. Urteile ha-
ben Farben. Die Gerade ist der längste Weg zwischen zwei Punkten. -Dadurch hat man sich losgerissen von dem physischen Körper. Wenn Sie dies alles durchmachen, dann kommen Sie dazu, statt ihres physischen Körpers Ihren Ätherkörper benützen zu können. Sie können dann an-
fangen mit demÄtherkörper zu denken, und der Ätherkörper muß alles umgekehrt denken von der physischen Welt. Denn durch den Ätherkörper kommt man allmählich in die geistige Welt hinein. Aber da stockt es dann doch noch, und da muß man noch etwas anderes sich angewöhnen.
Sie wissen ja, wenn man heute liest, so kann einem etwas ganz Sonderbares passieren. Da habe ich zum Beispiel einmal, als ich in einer südösterreichischen Stadt war, die heute keine österreichische mehr ist, ein Abendblatt in die Hand gekriegt. Dieses Abendblatt hatte einen
Leitartikel, wie man sagt. Da war eine furchtbar interessante Geschichte in allen Details, in allen Einzelheiten erzählt, eine große politische Geschichte: Die erste Spalte, zweite Spalte, dritte Spalte las man, ganz furchtbar interessant. Dann kam ganz unten, noch auf derselben
Seite, eine kleine Bemerkung. Da stand: Leider müssen wir mitteilen, daß alles das, was in unserem heutigen Leitartikel steht, auf einer irrtümlichen Benachrichtigung beruht und kein Wort davon richtig ist.
Nun, sehen Sie, das kann einem heute passieren. Es ist das der radikalste Fall, aber wer heute Zeitungen liest, dem kann es so und so oft passieren, auf jeder Seite, daß er etwas liest, was einfach nicht wahr ist.
Da erfährt er hinterher, daß es nicht wahr gewesen ist. Sehen Sie, ich glaube, die meisten Menschen sind in diesen Sachen heute schon furchtbar stumpf geworden; sie nehmen einfach Wahrheit und Lüge nach und nach ganz gleichgültig auf. Wenn man in dieser Beziehung
stumpf geworden ist, daß man Wahrheit und Lüge in gleicher Weise aufnimmt, ja, dann kann man nicht in die geistige Welt hineinkommen.

Ich habe Ihnen das letzte Mal gesagt: Wenn einer verrückt wird, so wird nur sein Körper krank. Die Seele wird nicht krank, die bleibt dabei gesund. – Heute habe ich Ihnen gesagt: Wenn einer im Fieber irreredet, so werden seine Gedanken nur zur Karikatur, aber die Seele
bleibt richtig. — Aber das muß man sich angewöhnen, wenn man in die geistige Welt hineinkommen will, daß einem bei einer unrichtigen Sache ein seelischer Schmerz kommt, und daß man bei einer richtigen Sache eine seelische Freude hat, daß man sich über die Wahrheit so freuen
kann, wie wenn einer einem eine Million schenkt – ich meine eine Million Franken, nicht Mark! (Heiterkeit.) So muß man sich freuen können, wenn man eine Wahrheit zu hören bekommt, und so muß man innerlich seelisch leiden können – nicht der Körper, sondern die Seele
muß leiden können, wenn man irgendwo entdeckt: da ist etwas erlogen -, so wie der Körper leidet, wenn er eine furchtbare Krankheit hat.
Nicht daß die Seele krank sein soll, aber die Seele muß Schmerz und Freude empfinden können, wie wenn der Körper krank ist oder ganz behaglich ist oder äußerlich in der physischen Welt Schmerz oder Freude erlebt. Das heißt, man muß dazu kommen, die Wahrheit so zu fühlen, wie man Freude und Glückseligkeit und Lust im physischen Leben empfindet, und man muß dazu kommen, das Unwahre so schmerzlich zu empfinden, innerlich seelisch so krank zu werden vom
Unwahren, wie man sonst von den Störungen seines Körpers allein krank wird. Das heißt, wenn einem einer den Buckel voll gelogen hat, dann muß man sagen können, aber so, daß es richtig stimmt: Donner wetter! Der hat mir Tollkirschen zu fressen gegeben! – Das muß aber innerlich wahr sein. Nun, natürlich, wenn Sie in die heutige Zeit hineinschauen, das Zeitungswesen zum Beispiel betrachten, das gibt Ihnenimmerfort Tollkirschen zu fressen. Da müssen Sie fortwährend, wenn die Seele gesund bleiben soll, seelisch speien. Da müssen Sie sich natürlich wiederum, weil man ohne Zeitungen nicht sein kann, wenn Sie n die geistige Welt hineinkommen wollen, das angewöhnen, daß Sie von der Zeitung einen schlechten Geschmack haben und von dem, wo
Sie etwas Ordentliches lesen, wo ein Mensch sich ganz innerlich gibt, Freude davon haben, aber Freude so davon haben, wie Sie es meinetwillen von etwas haben, das sehr gut schmeckt. Es muß Ihnen die Wahrheit und das Streben nach der Wahrheit gut schmecken, und es
muß Ihnen die Lüge, wenn Sie sie gewahr werden, bitter, giftig schmecken. So daß Sie nicht nur lernen müssen: Urteile haben Farbe, sondern Sie müssen Lernen zu sagen: Druckerschwärze ist heute meistens Tollkirschensaft. – Das müssen Sie aber mit aller Ehrlichkeit und
Aufrichtigkeit empfinden können. Dann, meine Herren, dann sind Sie bei dem, was man geistige Verwandlung nennt.
Die Leute reden von äußerlicher Alchimie und glauben, äußerliche Alchimie kann Kupfer in Gold verwandeln. Das werden Ihnen Scharlatane natürlich heute noch immer in allen Farben sagen; das haben die Leute, die abergläubisch sind, lange geglaubt. Aber im Geiste sind diese
Dinge möglich; nur muß man an die Wahrheit des Geistes glauben. Da muß man sich sagen können: Die Druckerschwärze, die der Drucker benützt hat, ist materiell überall dasselbe, ob der ein wahres Buch gedruckt hat oder eine lügenhafte Zeitung. Das eine Mal aber ist Drucker-
schwärze wirklicher Tollkirschensaft, das andere Mal ist es, wie wenn Gold flüssig fließen würde. – Im Geiste sind die Dinge, die in der physischen Welt dieselben sind, so ganz verschieden.
Aber wenn dann die jetzigen gescheiten Leute kommen und man ihnen sagt: Druckerschwärze kann fließendes Gold sein oder Tollkirschensaft — dann sagen sie: Das meinst du bildlich, bildlich ist das ja nur gemeint. – Ja, meine Herren, das Bildliche, das muß eben richtig geistig
werden, und man muß verstehen, wie die Sachen geistig werden.

Da will ich Ihnen einmal ein Beispiel, sogar aus der sozialdemokratischen Parteigeschichte, erzählen. Sie haben ja das vielleicht weniger mehr miterlebt, aber in einer gewissen Zeit hat sich ja die Sozialdemokratische Partei in zwei Teile gespalten. Die einen waren diejenigen, die
unter Bernstein und ähnlichen Leuten waren. Das waren diejenigen, die gern allerlei Kompromisse mit den Bürgerlichen geschlossen haben.
Und das andere waren die Radikalen, und an der Spitze der Radikalen ist ja bis zu seinem Tode Bebel gestanden. Sie werden wenigstens noch aus der Literatur von Bebel wissen. Nun war einmal – es war in Dresden – eine Parteiversammlung und Bebel ist fuchtig geworden über die
anderen und hat gesagt, er wird nun Ordnung machen in der Sozialdemokratie. Da hat er eine sehr wuchtige Rede gehalten und hat im Verlauf dieser Rede gesagt:
Ja, wenn das und das geschieht von der anderen Partei, dann läuft mir eine Laus über die Leber! – Nun wird natürlich jeder sagen, das ist bildlich gemeint, daß dem Bebel eine Laus über die
Leber läuft, denn da läuft nicht wirklich eine Laus über die Leber. Aber warum wird denn solch ein Ausdruck gebraucht? Der Bebel hat ihn natürlich nicht deshalb gebraucht, weil ihm wirklich eine Laus über die Leber gelaufen ist, sondern er hat ihn gehört und hat ihn eben ange-
wendet für etwas, wo man sich furchtbar ärgert. Aber warum ist denn der Ausdruck so, warum kann man da davon sprechen, daß eine «Laus» über die Leber läuft?
Jedem geht es ja nicht so wie dem Juden Itzigsohn, der immer Läuse sich vom Kopfe herunterholte, und als ihn einmal einer frug: Ja, sag‘ einmal, mein lieber Itzigsohn, wie kommt es nur, daß du so gescheit bist und immer eine Laus erhaschst? – da sagte der: Ist keine Kunst,
greife ich daneben, habe ich auch eine. – Also jedem geht es nicht so, daß er gleich, wenn er eine Laus fangen will und danebengreift, auch eine hat. Sondern es ist meistens höchst unangenehm, wenn die Leute Läuse kriegen, es ist ihnen furchtbar unangenehm, es ist ein greuliches Gefühl! Sie hätten nur einmal sehen sollen: Als ich Erzieher war, da
kam einmal einer von den Jungen, die ich erziehen mußte, nach Hause; er war ausgegangen, hatte sich in der Großstadt auf allerlei Bänke gesetzt, kriegte nach und nach Augenschmerzen, furchtbare Augenschmerzen. Nun war man sich im unklaren, welchen Spezialisten man
holen sollte, weil dieser Junge solche schrecklichen Augenschmerzen hatte. Ich sagte: Wir wollen es zunächst mit einer Läusesalbe probieren und ihm die Augenbrauen damit einsalben. – Richtig, als man nachsah, da war er ganz verlaust, und als die Salbe gewirkt hatte, da gingen auch die tränenden Augen weg. Ja, Sie hätten nur sehen sollen, wie die Leute dreinschauten, die Mutter und die Tante, als der Junge plötzlich Läuse hatte! Da bekamen sie solche Gefühle, die bis in die Leber hineingingen. Da wird es ihnen im Bauch ganz anders: Donnerwetter, unser
Junge hat Läuse! Eh, das ist ja etwas Schreckliches! –
Und da kommt es einem dann so stark vor, wie wenn die Laus über die Leber rennen würde. Dieser Ausdruck «eine Laus rennt über die Leber» kommt von der wirklichen Empfindung her, die man eben gehabt hat, wenn dieLeute Läuse bekommen haben. Nun, irgendwo in einer Versammlung
oder in einer Partei geschieht das nicht, daß die Leute lausig werden,aber sie treiben etwas, wodurch man einen solchen Abscheu kriegt davor, wie wenn einem in früherer Zeit oder in einer gewissen Gesellschaftsklasse Läuse über die Leber gelaufen wären.

Also Sie sehen, so wie der Ausdruck gebildet worden ist, da konnte er einer Wirklichkeit
entsprechen. Nachher werden solche Ausdrücke so angewendet, daß man sie nur beim Geistigen, beim Seelischen noch anwendet.
Aber das muß man künstlich zusammenbringen, meine Herren. Man muß das können, daß man nicht allein dem phrasenhaften Wortlaut nach, sondern tatsächlich richtig ehrlich empfindet: Da habe ich eine Zeitung vor mir, da wird wohl das meiste, was da drin ist, so sein, daß die Druckerschwärze Tollkirschensaft ist. — Ich möchte wissen, was die Leute heute tun würden, wenn sie das ehrlich empfinden würden!
Denken Sie nur einmal, wieviel Tollkirschensaft verwendet worden ist, um über die Kriegsschuld zu reden und über die Kriegsunschuld, und wie die Leute einfach dadurch, daß sie entweder zu dem oder jenem Volk gehören, nicht, weil die Sachen wahr sind, sondern weil sie das eigene Volk unschuldig sprechen, mit allen möglichen Unwahrheiten
unschuldig sprechen, Wohlbehagen empfinden. Ja, wie sollen denn die Menschen in der Gegenwart in den Geist hineinkommen? Man muß eben den starken Entschluß fassen, den ganz intensiven Entschluß fassen, ganz anders zu sein als ein Mensch der Gegenwart, und dennoch muß man natürlich mit den Leuten auskommen. Denn wenn man sich gleich auf das Podium stellt und anfängt über die Leute zu schimpfen, dann kann man natürlich nichts helfen. Aber man muß eben für die Wahrheit eine Gasse suchen. Und das ist so schwer, wie ich es Ihnen heute dargestellt habe.

Nun habe ich Ihnen heute schwere Partien bringen müssen, damit Sie sehen: Es ist eben keine Leichtigkeit, in die geistige Welt hineinzukommen. — Wir kommen dann schon wiederum zu Dingen, die Sie weniger anstrengen werden. Aber Sie werden sehen: es ist gut, daß wir uns mit schweren Dingen befaßt haben. Wenn ich das nächste Mal fortsetze, dann werde ich Ihnen zeigen, wie der ganze Weg in die geistige Welt hinein ist.

ZEHNTER VORTRAG
Dornach, 7. Juli 1923

Meine Herren, ich habe Ihnen im letzten Vortrag ausgeführt, daß heute der Mensch nichts erkennen kann, denn das Denken, das man heutehat, taugt eigentlich auch nicht dazu. Früher, selbst noch vor, sagen wir tausend, tausendfünfhundert Jahren, hat derjenige, der etwas lernen wollte, erst sein Denken ausbilden müssen. Man hat nicht geglaubt, daß man mit dem gewöhnlichen Denken, das man hat, schon irgendwie die geistige Welt begreifen kann, und es war eine Art von Schulung des
Denkens da. Heute wird durch all unsere Bildung, die wir haben, der Mensch gar nicht dazu veranlaßt, irgendwie sein Denken auszubilden.
Daher kann er eigentlich in Wirklichkeit auch gar nicht denken. Das will ich Ihnen zunächst an einem Beispiel erklären, das Sie in diesen Tagen in der Zeitung haben lesen können.
Ein oft wiederkehrender Traum ist der sogenannte «Flugtraum». Wir träumen zu fliegen, zu schweben oder zu fallen, und zwar sehr häufig gleich nach dem Zubettgehen Also, Sie kennen ja alle diese Tatsache, daß Sie schon im Traum geflogen sind. Das will nun einer, der nur an das naturwissenschaftliche Denken gewohnt ist, erklären. Sie werden gleich sehen, daß man mit
diesem Denken überhaupt zu gar nichts kommt, wenn es sich um solche Dinge handelt.
Dieser Traum, fuhrt Dr Richard Traugott in der «Natur» aus, wird durch ein wirklich stattfindendes ruckartiges Zusammenzucken des Korpers hervorgerufen.
Also, was glaubt der Mann? Der glaubt, wenn man am Einschlafen ist, so zuckt der Körper zusammen. Nun frage ich Sie, meine Herren:
Sie sind doch öfter, auch wenn Sie wach gewesen sind, zusammengezuckt? Wann zucken Sie zusammen? — Ich denke, Sie zucken zusam-
men, wenn Sie einen Schreck erleben, wenn Sie irgend etwas erleben, was Sie in Schrecken und vielleicht in Ängste versetzt, was Sie furchtbar überrascht im Augenblick. Dann zucken Sie zusammen. Sie können zum Beispiel auch zusammenzucken, wenn Sie, sagen wir, da draußen herumgehen und plötzlich einen Menschen sehen, von dem Sie glauben, er ist in Amerika; wenn Sie den wahrnehmen, dann zucken Sie zusammen, weil Sie überrascht sind. Aber Sie werden sich niemals einbilden, wenn Sie anfangen zusammenzuzucken, daß Sie meinen, Sie fliegen! Es fällt Ihnen doch wirklich, man kann schon sagen, im Traum nicht ein,
daß, wenn Sie zusammenzucken, Sie dann meinen, Sie fliegen.

Also Sie sehen, von was für verwirrten Gedanken man da überhaupt ausgeht, wenn man meint, daß man die Vorstellung vom Fliegen bekommen könnte, wenn man mit dem Korper zusammenzuckt. Sie sehen daraus:
Der Mensch macht sich Gedanken, aber in dem Momente, wo man damit irgend etwas am Menschen erklären will, passen sie gar nicht. –
Diese Gedanken passen so lange, als man im Laboratorium mit leblosen Stoffen experimentiert, aber in dem Momente, wo man etwas erklären soll, paßt es nicht mehr.
Nun geht es weiter: Die Ursache dieses Zusammenzuckens hegt m dem unterschiedlichen Verhalten der Muskelspannungen im Wachen und im Schlafen: Beim Wachen gehen den Muskeln des Korpers von selten des Zentralnervensystems standig Energiestrome zu,
— also er nimmt an, daß beim Wachen von den Nerven in die Muskeln immer elektrische Ströme, Energieströme hereingehen –
die die Muskeln m diejenige Spannung versetzen, die zur Erhaltung des Korpergleichgewichtes zu dem notwendigen gleichmaßigen Zusammenspiel der Muskulatur überhaupt erforderlich sind, im Schlaf fallt diese Muskelspannung zum größten Teil fort, und da m
der ersten Periode des Schlafes…
— also gleich, wenn man eingeschlafen ist – die Reflexerregbarkeit des Rückenmarks gesteigert ist, so bewirkt der Vorgang der
Muskelentspannung beziehungsweise der durch ihn auf das Ruckenmark ausgeübte Reiz, leicht jenen Ruckreflex,
— also es soll nun auf das Nervensystem im Rückenmark ein Reiz ausgeübt werden; der soll nun weiterwirken, und der spannt die Muskeln stärker – das heißt eben das Zusammenzucken des Korpers. Andere faktisch vorhandene Organempfindungen mögen noch direkter auf das Zustandekommen des Gefühls vom Fliegen, Schweben m der Luft, Schwimmen hinwirken insbesondere die rhythmischen, sich hebenden und senkenden Bewegungen der Atmungsmuskulatur und des Brustkastens, – nun bedenken Sie, wenn Sie ins Keuchen kommen und der Brustkorb angespannt wird, ob Sie da schon einmal das Gefühl gehabt haben, daß Sie fliegen!
Da fühlen Sie sich ja erst recht schwer — sowie namentlich auch der Wegfall der Empfindungen des Druckes und des Unterlagen-
widerstandes, die wir im Wachen an allen den Körperstellen haben, die auf einer Unterlage aufruhen.

Nun, meine Herren, sehen Sie, wenn man geht, im Wachen, dann ist man auf einer ganz kleinen Unterlage; man hat das Gefühl, daß man auf seinen Fußsohlen geht. Und wenn man beim Wachen sitzt, so hat man eine etwas größere Unterlage als bloß die Fußsohlen. Denn auch wenn Sie diese Unterlage hinzuaddieren, zusammenzählen mit der Größe der Unterlage der Fußsohlen, so ist sie ja immer noch klein im Verhältnis zu dem Raum, den man als Unterlage einnimmt, wenn man schläft.
Nun sagt der Herr: Es fällt der Unterlagendruck weg. Es ist doch ein größerer Unterlagendruck da, wenn Sie sich niederlegen und eingeschlafen sind, als wenn Sie im Wachen gehen oder sitzen! Also Sie sehen, wie man mit diesem Denken dazu kommt, einfach Unsinn zu behaupten. Und das ist heutige Wissenschaft über den Menschen!
Er meint also: Da gehen elektrische Ströme in die Nerven hinein. Die sind stärker, wenn man schläft, da zucken die Muskeln, und nun kommt man zur Vorstellung des Fliegens, also man glaubt, man fliegt; oder es fallen die Unterlagen weg im Schlafe! Es ist eigentlich nicht zu glauben, was da gesagt wird.
Auch der Wegfall der Empfindungen des Druckes und des Unterlagenwiderstandes, die wir im Wachen an allen den Körperstellen haben, die auf einer Unterlage aufruhen.
Es ist gar nicht zu glauben, daß ein Mensch sich einen solchen Einwand nicht macht, daß man doch im Schlaf auf einer viel größeren Unterlage aufruht. Aber er tut es nicht, weil eben das heutige Denken dann, wenn es nicht solchen Unsinn behauptet, überhaupt nicht zu Erklärungen kommt.
Nun wollen wir uns einmal einiges davon klarmachen – denn daraus werden Sie sehen, wie man zu der Erkenntnis von einer höheren, geistigen Welt kommt -, was da wirklich geschieht, wenn der Mensch einschläft.

Ich will Ihnen das zunächst ganz bildlich aufzeichnen. Sie wissen ja, daß das nur eine Verbildlichung ist. Aber nehmen Sie an, Sie hätten hier den physischen Körper eines Menschen (Zeichnung links). In diesem physischen Körper des Menschen steckt nun extra der Ätherkörper, der übersinnliche Körper drinnen; den will ich gelb einzeichnen. Der ist also da drinnen, der füllt ihn aus. Also der ist unsichtbar.
Diese zwei Körper nun, der physische Körper und der Ätherleib, die bleiben während des Schlafens im Bette liegen. Jetzt, wenn wir wachen, da ist in diesen zwei Körpern noch der astralische Körper drinnen — das will ich so zeichnen, daß ich da noch das Rote darüber mache —, und da drinnen steckt außerdem noch das Ich, das vierte Glied. Das will ich undeutlicher zeichnen (violett). So ist der wache Mensch: physischer Leib, Ätherleib, Astralleib und Ich; die stecken ineinander.

Schauen wir uns jetzt den schlafenden Menschen an. Der schlafende Mensch, der hat im Bette liegen nur den physischen Leib und den Ätherleib (Mitte). Das da hier ist im Bette. Außer dem Bette sind der astralische Leib – der ist herausgegangen – und das Ich, der Ich-Leib (Rechts). Dasjenige, was im Bette liegen geblieben ist, das ist wie eine Pflanze, denn die Pflanze hat auch einen physischen Leib und einen Ätherleib. Wenn die Pflanze keinen Ätherleib hätte, wäre sie ein Stein. Da würde sie nicht leben, würde nicht wachsen. Also dasjenige, was im Bette liegen bleibt, ist wie eine Pflanze. Die Pflanze denkt
nicht. Das, was da im Bette drinnen ist – Sie wissen es ganz genau -, das denkt auch nicht in dem Sinne, daß das Denken bewußt ist.
Die Gedanken sind da drinnen, das habe ich Ihnen neulich erklärt, sogar heller als die Gedanken, die wir verwenden, wenn wir bewußt sind, aber bewußte Gedanken sind nicht da. Das ist wie bei der Pflanze.
Aber nun heraußen, da ist der Mensch so, daß er keine Begrenzung mehr spüren kann. Sie können sich sogar erklären, woher das kommt, daß, wenn wir da herausgehen aus dem Körper, sogleich das Bewußtsein schwindet. Wenn Sie nämlich in Ihrem Körper drinnen sind, so müssen Sie Ihren astralischen Körper so groß machen, als der physische Körper ist. Wenn Sie herausgehen, dann fängt plötzlich der astralische Leib an, riesig groß zu werden, herauszugehen nach allen Seiten, weil der physische Leib ihn nicht mehr anzieht, nicht mehr klein macht. So daß Sie in dem Momente, wo Sie einschlafen, herausrücken aus Ihrem
physischen Leib; da werden Sie immer größer und größer.
Nun denken Sie sich, Sie trinken ein Glas – damit nicht die Sage herauskommt, ich rede jetzt für den Alkohol, Sie wissen, das ist ja jetzt ein unangenehmes Thema in der Schweiz geworden —, so will ich sagen:
Sie trinken ein Glas Wasser mit ein bißchen Himbeersaft. Wenn Sie in ein Glas Wasser ein bißchen Himbeersaft hineintun, dann haben Sie den Geschmack von Himbeersaft. Denken Sie aber, Sie nehmen statt dieses Glases ein so großes Gefäß, in das fünf Flaschen Wasser hineingehen, und Sie geben nur so viel Himbeersaft hinein, als Sie früher in das Glas hineingetan haben, und rühren es gut um, da muß sich der Himbeersaft über viel mehr Wasser ausdehnen, da haben Sie schon weniger Himbeergeschmack.

Nun, sehen Sie, ich bin aufgewachsen, als ich ein kleiner Bub war, in der Nähe einer Weinhandlung; da gab es einen Keller mit einem Faß von vierhundert Eimern Wein. Wenn man das mit Wasser angefüllt hätte, also ein Faß mit vierhundert Eimern voll
Wasser, nicht voll Wein, und hätte da die paar Tropfen Himbeersaft hineingegeben und hätte das Ganze durcheinandergerührt, da hätten Sie trinken können von dem Wasser und hätten nichts mehr geschmeckt von dem Himbeersaft. Das ist ja klar. Nun, meine Herren, solange Ihr astralischer Leib so klein ist wie Ihr physischer Leib, ist es wie der Himbeersaft in einem Glas Wasser: Ihr astralischer Leib ist nur so weit ausgedehnt, als Ihr physischer Leib reicht. Wenn Sie im Schlafe herausgehen, da zieht der physische Leib das nicht mehr zusammen, da wird der astralische Leib ausgedehnt, so wie der Himbeersaft in den vier-
hundert Eimern Wasser auch ausgedehnt wird. Und daher haben Sie in diesem astralischen Leib kein Bewußtsein mehr drinnen, denn das Bewußtsein entsteht dadurch, daß sich der astralische Leib zusammenzieht.

Jetzt werden Sie aber auch eine richtige Erklärung kriegen von dem, was vorgehen soll, wenn wir einschlafen. Solange wir wachen, da steckt der astralische Leib in unseren Fingern drinnen, in unseren Zehen drinnen; überall in unseren Muskeln steckt der Astralleib drinnen. Wenn wirnun in unseren Muskeln den astralischen Leib fühlen, dann haben wir eben das Gefühl, wir sind abhängig vom physischen Leib. Der physische Leib ist schwer. Wir fühlen die Schwere des physischen Leibes. In dem Moment, wo wir herausgehen, lassen wir den physischen Leib mit seiner Schwere zurück.
Wir fühlen uns in diesem Momente, bevor das Bewußtsein im Schlaf geschwunden ist, nicht mehr schwer. Wir fühlen nicht, daß wir herunterfallen, denn wir heben uns herauf; wir fühlen eher, daß wir heraufschweben. Dieses Größerwerden, dieses Nichtmehr-Gebundensem an den physischen Leib, das fühlen wir als Fliegen oder Schwimmen. Wir können uns frei bewegen, bis uns das Bewußt-
sein schwindet und wir ganz einschlafen.
Also was sagt nun der Naturwissenschafter der Gegenwart? Er sagt:
Wir zucken mit den Muskeln zusammen. – Nun, wenn wir mit den Muskeln zusammenzucken, fühlen wir ja unsere Muskeln mehr, als wir
sie gewöhnlich fühlen! Da bilden wir uns nicht ein, daß wir fliegen, sondern da fühlen wir uns beim Zusammenzucken erst recht an den physischen Körper gebunden. Denken Sie nur einmal, wenn einer steht und erstaunt ist, so reißt er den Mund auf. Warum reißt er den Mund auf? Weil er eben in seinen Muskeln so stark drinnen ist, daß er sich gar nicht mehr beherrschen kann. Also gerade dieses Zusammenzucken und dieses In-den-Muskeln-Leben, das ist das Gegenteil von dem, was wir beim Einschlafen haben. Beim Einschlafen gehen wir gerade aus unseren Muskeln heraus. Also es handelt sich nicht um das MuskelnZusammenziehen, sondern um das Schlaffwerden der Muskeln. Wenn wir uns niederlegen und auf einer größeren Unterlage sind, da haben wir nicht nötig, die Muskeln mit unserem astralischen Leib zusammenzuhalten; sie erschlaffen. Und nicht weil sie stärker gespannt werden,
sondern weil sie schlaffer werden, weil wir gar nicht mehr auf die Muskeln eine Einwirkung ausüben müssen, deshalb glauben wir frei zu seinvon den Muskeln, und wir entschweben mit unserem leichteren astralischen Leib.

Nun denken Sie sich, daß ich Ihnen ja das letzte Mal gesagt habe: Man muß lernen, umgekehrt zu denken. – Hier sehen Sie es: Derjenige, der so denkt, wie man es gegenwärtig gewohnt ist zu denken, der kriegt, wenn er beim Menschen etwas erklären will, das Gegenteil von dem heraus, was wahr ist. – Man muß sich also zuerst ein richtiges Denken angewöhnen, das auch das Gegenteil von dem denken kann, was im Physischen ist. Die Leute haben sich abgewöhnt, richtig zu denken, so zu denken, daß man mit dem Denken ins Geistige hineinkommt.
Nun gibt es wirklich heute sehr viele Menschen, die zwar unsere Sprache reden, und unsere Sprache hat auch das Wort «Geist», aber die Menschen können sich nichts mehr vorstellen unter Geist. Sie können sich nur etwas Physisches vorstellen. Und nun muß man ja – das haben Sie gesehen -, wenn man sich das Geistige vorstellen will, zu etwas kommen, was gar keine physischen Eigenschaften hat, was man also im Physischen nicht sieht.

Nun ist das Denken der Menschen heute schon so verdorben, daß sie auch das Geistige physisch sehen wollen. Sie werden daher nachher Spiritisten. Sehen Sie, der physische Leib, der kann einen Tisch bewegen. Die Leute sagen: Wenn ich einen Tisch be-
wegen kann, so bin ich existierend. Wenn ein Geist existierend sein soll, so muß er auch einen Tisch bewegen können. – Nun ja, da fangen sie dann an, Tischrücken zu machen, und dann lassen sie sich durch das Tischrücken die geistige Welt beweisen! Das ist deshalb, weil das Denken krumm, verbogen ist. Das Denken ist materialistisch; das will auch den Geist auf physische Weise da haben. Der Spiritismus ist das Allermaterialistischste, was es gibt. Das muß man nur erst begreifen.

Nun wird vielleicht der eine oder andere von Ihnen sagen: Aber ich war ja schon dabei, wenn sich Menschen um den Tisch herum setzten, angefangen haben, ihre Hände zu einer Kette zu machen, und dann haben sich Tische bewegt, sind gesprungen, und alles mögliche. —
Das Äußere, das ist schon richtig: Sie können sich um einen Tisch herumsetzen, können eine Kette herum machen, und die Geschichte kann unter Umständen den Tisch in Bewegung versetzen. Aber sehen Sie, das ist ja gerade so, wie wenn ich durch irgendeine andere kleine Bewegung eine große Bewegung hervorrufe. Denken Sie sich doch nur, Sie hätten einen Eisenbahnzug. Der Eisenbahnzug hat vorn eine Lokomotive und den Lokomotivführer darauf. Nun, der Lokomotivführer, der steigt nicht ab von der Maschine und stellt sich hinten hin und schiebt auch.
Da würde es ihm wohl nicht recht gelingen, einen Schnellzug in rasche Bewegung zu versetzen. Sie wissen, der Lokomotivführer macht nur eine ganz kleine Bewegung, und der Schnellzug fährt sehr schnell, und die Maschine zieht viele Wagen. Warum? Ja, weil die Umschaltung da in der richtigen Weise vorhanden ist. Da wird durch eine kleine Bewegung auf physischem Wege eine große Bewegung bewirkt.
Geradeso ist es ein rein physischer Vorgang, wenn die Leute um den Tisch herum eine Kette schließen und dann anfangen, kleinwinzige Zuckungen und dergleichen zu machen. Und siehe da, diese kleinen, winzigen Zuckungen setzen sich um durch die Materie – die ist nämlich so kunstvoll gestaltet — in große Bewegungen. Das ist ein ganz gewöhnlicher physischer Vorgang zunächst.
Wenn nun da einer darunter ist, der mit seinem Unterbewußtsein irgendwelche Gedanken hat, dann setzen sich diese Gedanken in die zuckenden Finger fort. Und dann kriegt man auf diese Weise auch Antworten und kann das ablesen im Alphabet. Aber dasjenige, was man da als Antworten kriegt, das ist immer im Unterbewußtsein vorhanden von irgend jemandem, der da ist, selbst wenn die Antworten noch so geistreich sind. Ich habe Ihnen ja erklärt, daß der Mensch, wenn er ein wenig nur ins Unterbewußte hereinkommt, viel geistreicher ist, als er in seinem Bewußtsein ist. Das kommt auch durch das Tischrücken zum Vorschein. Also, daß die Leute Spiritisten geworden sind, das ist eben geradezu ein Beweis, daß der Materialismus in unserer Zeit groß ist.

Mit dem gewöhnlichen Denken kann man überhaupt nicht zu irgendwelchen Erklärungen kommen, die auf den Menschen irgendeinen
Bezug haben. Sehen Sie, da versuchte also einer in diesem Zeitungsartikel, den ich heute anführte, einen Traum zu erklären, den Flugtraum.
Er erklärt ihn gerade auf die entgegengesetzte Art, wie er erklärt werden soll! Aber die Leute können überhaupt so etwas, was im höchsten Grade interessant ist, nicht mehr studieren. Ich habe Ihnen ja schon öfter etwas erzählt über die Träume; ich will Ihnen heute einige gewichtige Tatsachen noch einmal hervorheben.
Denken Sie sich einmal, meine Herren, jemand träumt. Er träumt, daß er in Basel über irgendeinen Platz geht. Aber plötzlich findet er – im Traum ist das ja möglich -, daß vor ihm ein Zaun steht. Der Zaun hat da hier eine Latte, da wieder eine Latte, da fehlt eine Latte; da hat er eine Latte, da hat er eine, da fehlt wieder eine Latte. Jetzt träumt er weiter, er will über diesen Zaun hinüberspringen und spießt sich auf auf der Latte. Das tut ihm weh. Jetzt wacht er auf. Ja, jetzt merkt er: Don-
nerwetter, du hast dich ja gar nicht aufgespießt auf der Latte, aber einen furchtbaren Zahnschmerz hast du! – Zahnschmerzen hat er und wacht mit diesen Zahnschmerzen auf. Sein Gebiß hat da oben eine Lücke, dann hat es hier oben wieder eine Lücke. Das ist das, was er gesehen hat als Zaun mit fehlenden Latten. Das entspricht ganz seinem oberen Gebiß mit den fehlenden Zähnen. Dann greift er sich auf seinen einen Zahn, und das ist gerade der, der ihm weh tut. Der ist hohl geworden und schmerzt. Solch einen Traum kann man wirklich haben.
Was ist denn da aber eigentlich geschehen? Nicht wahr, der ganze Vorgang hat sich ja im Wachleben abgespielt. Sie können sich sagen:
Solange ich geschlafen habe, war ich glücklich, da habe ich meinen unsinnigen Zahnschmerz nicht gespürt. Ja, warum spürten Sie den Zahnschmerz nicht beim Schlafen? Weil Sie mit Ihrem astralischen Leib draußen waren. Der physische Leib und der Ätherleib spürt ja den Zahnschmerz nicht. Einen Stein können Sie beklopfen wie Sie wollen, ein Stückchen herunterschlagen – der Stein als einzelner spürt es nicht.
Die Pflanze können Sie auch zerreißen – sie spürt es nicht, weil sie noch keinen Astralleib, weil sie nur einen Ätherleib hat. Sehen Sie, manche würden sicher das Rosenabreißen und Blumenabreißen auf der Wiese schon unterlassen, wenn die Pflanzen immer so zischen würden wie die Schlangen, weil es ihnen weh tut! Aber es tut der Pflanze eben
nicht weh. Und der Mensch ist wie eine Pflanze, wenn er schläft. Solange er schläft, tut ihm also der Zahn nicht weh. Wenn man nun hereinschlüpft mit seinem astralischen Leib, kommt man beim Hereinschlüpfen an dem Gebiß an. Sehen Sie, erst wenn man ganz im Körper drinnen ist, spürt man dasjenige, was einem im Körper weh tut. Wenn man noch nicht ganz drinnen ist, so kommt einem das, was einem weh tut, so vor wie ein äußerer Gegenstand.

Denken Sie sich, meine Herren, ich brenne hier ein Zündhölzchenan; da sehe ich, wie es verbrennt. Wenn ich darin gesteckt hätte, würde ich es durch meinen Astralleib nicht bloß sehen, sondern da würde ich es spüren als einen Schmerz. Solange ich noch nicht ganz drinnen bin in meinem Körper, sondern eben erst hineinschlüpfe, ist meine Zahnreihe wie ein äußerer Körper, da spüre ich es wie einen äußeren Körper und mache mir ein Bild, das ähnlich ist. Geradeso wie ich mir von den äußeren Gegenständen Bilder mache, so mache ich mir, wenn ich noch halb draußen bin, von meiner Zahnreihe ein Bild, und weil ich mir das richtige Bild noch nicht machen kann – das kann ich mir erst durch Geisteswissenschaft machen -, so mache ich mir das Bild einer Zaunreihe statt einer Zahnreihe. Und weil ich drinnen in meiner Zahnreihe Lücken habe, sind in der Zaunreihe die Latten ausgelassen.
Sie sehen,es entsteht beim Hineinschlüpfen durch die Verwirrung, daß man nochnicht ganz drinnen ist in seinem Körper, ein Irrtum. Man hält das Innere für ein Äußeres, weil man im Schlafe eben draußen ist. Da ist das Innere ein Äußeres.
Sehen Sie, was einem da passiert, das habe ich tatsächlich schon gesehen bei kleinen Kindern. Wenn man die unterrichtet, so haben sie noch kein Gefühl für das ganz richtige Sprechen. Und ich habe es wirklich schon erlebt, daß einer, der eben angefangen hat zu schreiben, statt «Zahn» Zaun, Zäune geschrieben hat, und jetzt hat man ihm gesagt:

Das ist falsch! — So hat der Angst gekriegt beim Hereinschlüpfen, nicht beim Herausschlüpfen, sondern beim Hereinschlüpfen. Da hat man aber nicht einen Flugtraum, sondern einen Angsttraum. Wie beim Alpdruck kriegt das Kind Angst und macht noch das daraus – und nun ist aus dem Zahn ein Zaun geworden. Das Kind machte den Fehler. Und Sie werden immer sehen: durch solche Wortverbindungen kommen die Bilder des Traumes nämlich zustande! Irgendwelche Wortverbindungen sind immer da. Und da kann man nun einsehen, was da eigentlich geschieht.

Sehen Sie, wenn einer so redet – dieser Richard Traugott hat übrigens schon viel über den Traum geschrieben, was ebenso unsinnig ist wie dasjenige, was er jetzt über den Flugtraum schreibt – und mit dem ganz gewöhnlichen Wissen der Gegenwart nur ausgerüstet ist, so sagt er das Gegenteil von dem, was wirklich ist. Denn er versteht nicht, daß, weil der astralische Leib groß ist beim Hinausgehen, er sich wie ein Flieger vorkommt, und weil der astralische Leib wieder eingezwängt wird,
wenn er wieder hereingeht, kommt er sich vor wie einer, der sich durchdrücken muß. Seine Muskeln anspannen, ist gleich Angsttraum.
Der Angsttraum tritt gerade dann ein, wenn der Mann, der den Artikel geschrieben hat, glaubt, daß der Flugtraum eintreten solle. Auch beim Einschlafen kriegen Sie nur Angstträume, wenn das Einschlafen nicht ganz richtig vonstatten geht. Denken Sie sich, Sie liegen irgendwo und Sie kriegen das Gefühl, es würgt Sie jemand. Das geschieht dadurch, daß Sie eben im Einschlafen sind, aber irgendwo ist eine Unruhe, und jetzt können Sie nicht richtig einschlafen. Nun probieren Sie es – bald
heraus, bald herein. Beim Hereinkommenwollen, was Sie aber doch wieder nicht können, weil Sie noch müde sind, da würgt es Sie, weil der astralische Körper hereinkommen will, sich hereinzwängt, aber doch nicht richtig hereinkommen kann. Weiß man diese Sache einmal, dann kann man alle diese Dinge besser erklären.
Und dieses wird Sie auch darauf bringen, daß etwas anderes noch notwendig ist, wenn man die geistige Welt erkennen will. Man muß sich durchaus ganz klar darüber sein, daß da der physische Körper nicht mitwirken kann. Gerade in dem muß man leben können, was der astralische Leib ist. Will man die geistige Welt erkennen, dann muß man also etwas zustande bringen, wobei man sonst einschläft. Wenn man im gewöhnlichen Leben ist und man schlüpft mit seinem astralischen Leib
heraus aus dem physischen Leib, schläft man ein. Ja, sehen Sie, da ist eben die Geschichte mit dem Weinfaß, die ich Ihnen vorhin angeführt habe. Da wird der astralische Leib riesig groß. Wenn Sie nun den astralischen Leib erkennen wollen, so müssen Sie durch innere Kraft den astralischen Leib zusammenhalten können.

Denken Sie sich einmal, was geschieht, wenn ich jetzt einen Augenblick statt des astralischen Leibes und des Ichs des Menschen wiederum den Himbeersafttropfen setze.
Schauen wir uns das einmal ganz bildhaft an. Da haben wir das Wasserglas und da drinnen einen Himbeersafttropfen. Der Himbeersafttropfen, der dehnt sich jetzt aus. Ist er im Wasserglas drinnen, da spürt man ihn noch. Nehmen Sie aber etwas an – das kann ich natürlich nichtzeichnen -, was jetzt hunderttausendmal so groß ist: da würden Sie nichts mehr sehen davon, wenn ich das in entsprechender Verteilung hell machen würde. Ebensowenig kann man aber etwas spüren. Denken Sie aber, der Tropfen, das wäre ein Teufelskerl, und ich gebe ihn in dieses Weinfaß mit vierhundert Eimer Wein hinein – verzeihen Sie, nicht
Wein, Wasser — und der Himbeersafttropfen, das ist ein richtiger Teufelskerl, der sagt sich: Da lasse ich mich nicht beimischen, ich bleibe der Himbeersafttropfen! — Nun ist da das Weinfaß oder Wasserfaß, und der Himbeersafttropfen bleibt ganz klein. Wenn Sie nun just mit Ihrer Zunge hinunterkämen, durch das Wasser durchleckten und kämen hin an die Stelle, wo der Himbeersafttropfen klein geblieben ist, da würden Sie die Süße vom Himbeersafttropfen spüren. Der muß sich also wehren.
Ich sage, er ist ein Teufelskerl, nur um einen Ausdruck zu haben.
Die Gegner der Anthroposophie sind ja manchmal sehr spaßig. In einem Hamburger Blatt stand einmal, nachdem die Anthroposophie nach allen Seiten beschimpft worden war, was ich sei, und da stand, daß ich eigentlich der Teufel wäre! Also das war ganz ernsthaftig gemeint, daß da der Teufel in die Welt gekommen wäre. Ich sage nur, er wäre insofern ein Teufelskerl, der Himbeersafttropfen, als er sich klein erhalten kann auch wenn man ihn in das Wasser hineingibt. Das ist mit dem astralischen Leib etwas anderes, wenn er sich so klein erhalten kann, wie er im physischen Leibe drinnen ist, wenn er herauskommt. Jetzt
muß man eben die Kraft entwickeln, den astralischen Leib so klein zu behalten. Das kann man eben dadurch, daß man ein scharfes Denkenentwickelt.

Ich habe Ihnen gesagt, man müsse ein selbständiges Denken entwickeln. Ein selbständiges Denken ist aber ein stärkeres Denken als dieses schwache Denken, das diese Leute haben. Die erste Bedingung ist ein starkes Denken. Die zweite Bedingung ist ein Rückwärtsdenken-Können. Die äußeren physischen Dinge laufen vorwärts. Lernt man rückwärts denken, dann lernt man noch stärker denken. Und lernt man noch dasjenige, was ich Ihnen das letzte Mal gesagt habe:

Jeder Teil ist größer als das Ganze – was also widerspricht dem Physischen —, dann lernt man sich hineinversetzen in die Welt, die eben nicht wie das Physische ist, sondern das Gegenteil von dem Physischen ist. Dann lernt man sich hineinversetzen in die geistige Welt.
Durch all diese Dinge wird eben bewirkt, daß der astralische Leib, trotzdem er aus dem physischen Leib herausgeht, sich kleiner erhalten kann, daß er nicht ausfließt im allgemeinen astralischen Meere. Das ist also durchaus zusammenstimmend. Aber Sie müssen sich auch ganz klar darüber sein, daß diese Dinge alle mit eben derselben Nüchternheit und Wissenschaftlichkeit betrachtet werden müssen, wie die Dinge des äußeren physischen Lebens betrachtet werden. Sobald man ins Phantasieren hineinkommt, dann geht es nicht mehr mit der Geisteswissenschaft. Phantastisch darf man eben nicht werden.
Nehmen Sie zum Beispiel an, Sie haben, nun, ich will es deutlich sagen, einen Schmerz in der großen Zehe. Diesen Schmerz in der großen Zehe spüren Sie nur durch Ihren Astralleib. Wenn Sie nur den physischen Leib hätten, würden Sie keinen Schmerz spüren. Wenn Sie bloß den Ätherleib haben, würden Sie keinen Schmerz spüren, sonst würde eben die Pflanze quieksen, wenn man sie anfaßt, die Blume quieksen, wenn man sie anfaßt. Nun, Sie quieksen, wenn Sie einen Schmerz in der großen Zehe haben, das heißt, Sie quieksen vielleicht nicht, aber Sie wissen schon, was ich damit meine. Wir quieksen also, wenn wir einen
Schmerz in der großen Zehe haben. Nun, warum quieksen wir? Sehen Sie, wir haben ja unseren astralischen Leib über den ganzen physischen Leib ausgebreitet. Wenn wir jetzt mit dem astralischen Leib an die Stelle ankommen, wo irgend etwas in unserer großen Zehe unordentlich ist, dann bringen wir das durch den astralischen Leib bis ins Gehirn herauf. Jetzt machen wir uns eine Vorstellung von unserem Schmerz.

Nehmen Sie aber an, jemand habe ein krankes Gehirn. Wenn jemand ein ganz gesundes Gehirn hat, so hat er in diesem Gehirn auch eine Stelle, durch die er den Schmerz in seiner großen Zehe wahrnehmen kann. Dazu braucht man eine gesunde Stelle im Gehirn, damit man den Schmerz in der großen Zehe wahrnehmen kann. Nehmen wir aber an, diese Stelle im Gehirn wäre krank. Ich habe Ihnen gesagt: Die Seele kann nicht krank werden, der Astralleib kann nicht krank werden, aber das physische Gehirn kann krank werden. – Wenn nun diese Stelle im Gehirn krank ist, kann der Schmerz in der großen Zehe nicht wahrgenommen werden. Was tut der Mensch? Ja, meine Herren, ein Stückchen des physischen Gehirns ist krank; aber, sehen Sie, an der Stelle ist noch immer der Ätherleib des Gehirns. Der Ätherteil des Gehirns, der da sitzt, der wird jetzt nicht unterstützt durch den physischen
Teil. Was tut der Ätherteil? Der Ätherteil, der macht aus Ihrer großen Zehe einen Berg. Er nimmt nicht mehr die große Zehe bloß wahr, sondern er macht einen Berg daraus, und den Schmerz, den gestaltet er um zu lauter kleinen Geistern, Berggeistern, die da drinnen sitzen.
So sehen Sie (Zeichnung S. 192): Jetzt haben Sie hier Ihre große Zehe; die haben Sie herausgesetzt in den Raum, weil Sie ein krankes Gehirn gehabt haben. Und jetzt schwören Sie darauf, vor Ihnen steht ein hoher Berg! Aber der ist eben bloß Ihre große Zehe. Das ist eine Wahnidee.

Meine Herren, man muß sich davor hüten, solche Wahnideen zu haben, wenn man in die geistige Welt eindringen will, sonst kommt man eben in die Phantasterei hinein. Wodurch kann man denn das erreichen? Das muß man wiederum zunächst durch eine Schulung erreichen.
Man muß wissen, was alles vom physischen Körper kommen kann, wenn er irgendwo krank ist. Dann wird man nicht mehr das, was einem als richtiger Geist erscheint, mit dem verwechseln, was nur aus dem physischen Körper aufsteigt.
Also zu dem tätigen Denken, zu dem Rückwärtsdenken, zu dem Denken, das ich Ihnen das letzte Mal beschrieben habe, wo man ganz
anders denkt als in der physischen Welt, muß auch das kommen, daß man genau weiß: Das und das rührt nur von deinem physischen Körper her. – Diese Vorbereitungen, die muß man haben.

Sehen Sie, in der Vorbereitung, die man früher gehabt hat, damit die Menschen ein wenig in die geistige Welt auf die alte Art eindringen konnten, gab es auch eine gewisse Kunst. Man nannte sie die Dialektik.
Das heißt: Man hat denken lernen müssen. Heute, wenn man jemandem zumuten wollte, er solle erst denken lernen – ja, der würde einem alle Haare ausreißen, denn jeder Mensch glaubt, er kann schon denken. Aber es ist schon so, wenn man in die früheren Zeiten zurückgeht, daß eben die Leute erst ein gewisses Denken lernen mußten. Dieses Denkenlernen nannte man die Dialektik. Da mußte man vorwärts, rückwärts denken, da mußte man auch die Begriffe in der richtigen Weise setzen lernen.
Und wodurch war das? Das war dadurch, daß man das Denken am Sprechen lernte. Ich habe Ihnen einmal gesagt, daß das Kind auch zu
erst sprechen und dann denken lernt, aber natürlich ist das zunächst kindlich. Heute behält der Mensch das ganze Leben hindurch diese Kindlichkeit, aber sie taugt nichts mehr für das spätere Leben. Wenn man am Sprechen fortwährend denken lernt, dann kriegt man bei jedem Ausatmen und Einatmen die Luft richtig herein und hinaus. Denn das Sprechen hängt eben mit dem richtigen Atmen zusammen. Man kriegt die Luft richtig hinein und richtig heraus. Es hängt sehr viel davon ab, daß man sich einrichtet auf richtiges Sprechen, weil dieses richtige Sprechen einen auch auf richtiges Atmen einrichtet. Derjenige, der
richtig atmen kann, kann lange sprechen; derjenige, der nicht richtig atmen kann, der ermüdet sehr bald, wenn er zusammenhängend langspricht.

Durch diese Dialektik, durch diese Kunst hat man richtig sprechen und dadurch auch richtig denken gelernt. Heute können ja die Leute nicht richtig denken, denn sie stoßen alle Augenblicke mit ihrem Atem an ihrem Atmungsorgan an. Hören Sie manchmal irgendeinem heutigen Gelehrten zu, wenn er spricht. Nun, erstens sprechen die wenigsten, sie lesen meistens ab; da nehmen sie ganz andere Dinge noch zu Hilfe, die Augen und so weiter, durch dieses unterstützen sie sich. Aber hören Sie ihnen zu, wenn sie sprechen: Es kommt einem meistens vor, als ob die Leute kurzatmig wären und immer anstoßen würden an ihren eigenen physischen Körper.
Dadurch wird Ihnen alles zu einem Bild vom physischen Körper. Ob Sie nun hier im Gehirn eine kranke Stelle haben und dadurch Ihnen Ihre große Zehe zu einem Berg mit allerlei Berggeistern wird, oder ob Sie mit dem Atem immerfort anstoßen beim Denken, ihn nicht herauskriegen, das ist einerlei: Die ganze Welt kommt Ihnen als ein Physisches vor, weil Sie fortwährend mit Ihrem Atem am physischen Körper anstoßen. Wovon rührt denn das eigentlich her, dieser Materialismus?
Der Materialismus rührt davon her, daß die Leute nicht richtig denken können, nicht richtig ausatmen, daß Sie anstoßen. Daher glauben sie, die ganze Welt besteht nur aus Stoß und Druck. Stoß und Druck – das haben sie nämlich in sich, weil sie sich vorher nicht durch ein richtiges Denken vorbereiteten. Und so könnte man sagen: Wenn heute einer Materialist ist, so ist er es deshalb, weil er nicht aus sich heraus kann, weil er überall innerlich an sich anstößt.

Sehen wir uns noch einmal diesen Herrn Traugott an. Der sollte eigentlich sagen: Der Traum vom Fliegen, der kommt daher, weil wir aus uns herausgehen und der Astralleib anfängt, größer zu werden. – Aber auf das kommt er nicht, denn er denkt nach, furchtbar denkt er nach! Nun, meine Herren, denken Sie sich nur einmal: Wenn einer anfängt nachzudenken, der eigentlich nicht denken kann, was tut er? — Erst runzelt er die Stirn, nachher, wenn das noch nicht zum Denken führt,
schlägt er sich an die Stirn. Was will er denn da eigentlich? Er will die Muskeln anspannen, er spannt die Muskeln; und wenn sie nicht genug gespannt sind, so will er sie noch schlagen, daß sie sich erst recht spannen. Was tut denn der Herr Traugott, wenn er über den Traum nachdenkt? Statt die Dinge anzuschauen, wie sie sind, spannt er seine eigenen Muskeln, und da findet er nun, was er selber tut: Muskelspannung, sagt er, aha! Der Traum ist gleich Muskelspannung. – Er verwechselt aber nur seine eigenen Gedanken vom Traum mit der Wirklichkeit.

Sie können nur etwas lernen von dem Herrn Traugott – was dem passiert, wenn er über die Dinge nachdenkt —, wenn Sie diese Geschichte lesen.
Es ist ja auch sonst heute so: Wenn man das liest, was die Leute drucken lassen, dann erfährt man, was die sich selber darüber einbilden. –
Wenn man heute eine Zeitung liest, so muß man sich sagen: Was in der Welt vorkommt, darüber wirst du aus der Zeitung wenig erfahren, aber was die Herren, die in der Redaktionsstube sitzen, gern hätten, daß es in der Welt vorkomme, das wirst du erfahren.
So ist es auch mit der materialistischen Wissenschaft. Sie erfahren durch sie nicht, was die Welt ist, sondern was die materialistischen Professoren heute über die Welt denken. Wenn Sie einmal dahinter kommen, dann werden Sie sehen, daß die Anthroposophie eben nicht die Welt hintergehen will, sondern gerade Ehrlichkeit an die Stelle der Listigkeit und Illusion und desjenigen, was manchmal ganz bewußt unwahr ist, setzen will.

Sie sehen also: Ehrlichkeit, innerliche Ehrlichkeit, das ist die vierte Eigenschaft, die vorhanden sein muß, um in die geistige Welt hineinzukommen. Wenn Sie die Welt so betrachten, werden Sie schon sehen:
Ehrlichkeit ist nicht viel in der Welt vorhanden. Kein Wunder, daß sie auch nicht in der Wissenschaft vorhanden ist.

Damit haben wir vier Eigenschaften für das Denken betrachtet: Klar, selbständig denken, unabhängig von der Außenwelt denken, ganz anders denken als die physische Welt ist, und nun ehrlich denken. Andere Eigenschaften werden wir dann das nächste Mal betrachten.

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Innere Entwicklung durch Anthroposophie
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Die Philosophie der Freiheit. Grundlegende Gedanken zum Erkennen der Welt / Rudolf Steiner
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Visionäres Hellsehen und die Fähigkeit des gründlichen Denkens… Rudolf Steiner
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Nebenübungen für die Charakterschulung / Rudolf Steiner
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Was ist die Geisteswissenschaft? Rudolf Steiner
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Der zu schwache und der zu starke Blutdruck. „Lungen-Wissen und Nieren-Wissen“ R.Steiner
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