Eduard von Hartmann: „…das Richtige für diese Welt ist, sie zu vernichten“. Zeitpänomene – Rudolf Steiner

„Eduard von Hartmann lebte in jenem Zeitalter, in dem die Technik sich immer mehr und mehr entwickelte, in dem man immer mehr
und mehr Maschinen zur Verrichtung von diesem oder jenem bekam.
Wer einmal hineinschaut in all das, was dem Maschinellen möglich ist, der wird fasziniert von den Möglichkeiten, die im Maschinellen
liegen. Wenn man die Möglichkeiten ausdehnt, die als die Vervollkommnung des Maschinellen eintreten können für die Welt, so bewirkt das eine ungeheure Suggestion.
Dieser Suggestion hat sich Eduard von Hartmann hingegeben. Und er denkt sich, daß die Menschheit – die ja allmählich, weil sie
gerade zum Intellekt gekommen ist, immer intelligenter und intelligenter werden muß – auch immer mehr und mehr einsehen muß,
daß das Richtige für diese Welt ist, sie zu vernichten; daß diese Menschheit einstmals zu einer Maschine kommen wird, durch die
man bis in den Mittelpunkt der Erde hineinbohren und dann die Maschine in Bewegung setzen können wird, um mit einem Schlage
diese ganze schlechteste Erde in die Weiten des Kosmos mit allem, was physisch darauf lebt, hinauszuschleudern.“

aus:

RUDOLF STEINER
Drei Perspektiven der Anthroposophie – Kulturphänomene
geisteswissenschaftlich betrachtet
Ga 225
Zwölf Vorträge, gehalten in Dornach
zwischen dem 5. Mai und 23. September 1923

Kurztext aus dem Kapitel: DIE SEELISCHE PERSPEKTIVE
Dornach, 21. Juli 1923

Wenn man in unserem Zeitalter das geistige Leben betrachtet, so muß man sehen – man braucht dazu nur unbefangen genug zu sein -,
wie dem Ganzen und Großen dieses Zeitalters immer mehr und mehr, namentlich aber seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts,
die Seele abhanden gekommen ist. Seele fehlt unserer Gegenwartszivilisation; und wenn der einzelne seine Seele zum innerlichen Leben
aufwecken will, dann wird ihm notwendig, dies eigentlich nicht durch das Miterleben der großen Züge unserer Zivilisation, sondern in der
Einsamkeit zu tun.
…Ich möchte an die Spitze der heutigen Betrachtung eine Erscheinung stellen, die, ihrer Äußerlichkeit nach angesehen, vielleicht von
dem einen mit einem gewissen Lächeln aufgenommen wird, von dem ändern historisch als eine der vielen Weltanschauungsverirrungen
mit neutralem Sinn registriert wird, von einem dritten mit einigem Zorn bekämpft wird. Ich möchte vor allen Dingen aber versuchen,
nur eine Art schlichter Formulierung der Tatsachen zu geben, die ich meine.

Es war mir oftmals in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eine wichtige Frage geworden, wer eigentlich der ge-
scheiteste Mensch des Zeitalters sei. Natürlich können solche Dinge immer nur in relativem Sinne aufgefaßt werden. Also ich bitte, die
Dinge, die ich an diese Frage anknüpfen werde, nicht gar zu sehr zu pressen selbstverständlich; aber mit dem nötigen Gran Salz, mit dem
man solche Dinge nimmt, bitte ich doch die Sache als etwas aufzufassen, was ich meine als eine Charakteristik unseres Zeitalters vorbrin-
gen zu dürfen.
Unser Zeitalter ist das Zeitalter des Intellektualismus. Der Intellekt hat es zu ganz besonderer Höhe gebracht. Und da muß man
sich fragen: Wovon hängt der Intellekt des Menschen während des irdischen Daseins eigentlich ab? Gewiß, die Kräfte des Intellektes,
das Aktive des Intellektes hängt ab von dem Seelischen des Menschen- und wir werden nachher dieses Seelische ins Auge zu fassen haben -, hängt ab von dem, was der Mensch zunächst für das Erdenbewußtsein unbewußt in sich trägt als ätherischen Organismus, Bildekräfteleib, als astralischen Leib und als die Ich-Organisation.

Aber der Mensch ist einfach in der gegenwärtigen Entwickelungsperiode der Erde nicht so weit, daß er die Aktivität des Intellektes,
wie er in diesen drei Gliedern der Menschennatur lebt, auch wirklich zum Dasein bringen kann. Hätte der Mensch seinen physischen Leib
nicht, so würde der Intellekt während des Erdendaseins schweigen müssen. Es wäre so, wie sich etwa ein Mensch, der gegen eine Wand
geht, fühlt: Wenn er geradeaus geht und nicht einmal seine Arme und Hände beachtet, sieht er nichts von sich, wenn aber die Wand,
der er zugeht, ein Spiegel ist, dann sieht er sich. So wie ein Mensch, der sich nicht sieht, so würde der Intellekt des Menschen sein: Er
würde sich nicht wahrnehmen, wenn er nicht den physischen Körper hätte, der seine Tätigkeit spiegelt, der seine Tätigkeit zurückwirft.

Also der Mensch verdankt die Größe seines Intellektes im gegenwärtigen Zeitalter der Spiegelung seiner inneren Seelentätigkeit
durch den physischen Leib. Nur wird es beim Spiegelbild dem Menschen ja nicht passieren, daß er sich mit ihm verwechselt, beim
Intellekt aber passiert das dem Menschen. Was nur im physischen Weben als das Spiegelbild des Intellektes lebt, das verwechselt
der Mensch zuletzt mit diesem Intellekt selbst. Er gibt sich hin dem Spiegelbild. Dann aber wird das Spiegelbild in ihm selbst
herrschen.

Der Mensch gibt sich gewissermaßen mit seinem Intellekt ganz an seinen physischen Leib hin. Wenn es dem Menschen gelingt, sich
wirklich ganz an den physischen Leib hinzugeben mit seinem Intellekt, dann wird dieser Intellekt von einer hohen Vollkommenheit.

Wenn wir unser Inneres tätig sein lassen, dann tapsen wir immer ab und zu noch durch allerlei Gefühle und Triebe, die wir haben, durch
Vorurteile, durch Sympathien und Antipathien, dann tapsen wir so in den Intellekt hinein. Da machen wir ihn unvollkommen. Wenn
wir aber ganz trockene, nüchterne, kalte Naturen werden, wenn wir, um im Hamerlingschen Sinne zu reden, die männliche Seelenlosigkeit
des Billionärs vereinigen mit der weiblichen Seelenlosigkeit der Nixe, wie Hamerling eine solche Verbindung in seinem «Homunkulus»
dargestellt hat, und dadurch die Fähigkeit bekommen, so zu denken, wie wir nach Maßgabe unseres physischen Leibes denken müssen,
dann ist eine relative Vollkommenheit unserer Intellektualität in diesem Zeitalter gerade möglich. Dann lernen wir so denken, daß in
uns gewissermaßen der Intellekt sich selber bewegt, daß der Intellekt in gewissem Sinne ein Automat wird, in einer relativ höchsten Voll-
kommenheit spielt.
Ich sagte mir das dazumal in den letzten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und fragte mich: Wer ist in diesem Sinne, daß er
also den Intellekt zunächst zu einer relativ höchsten Vollkommenheit gebracht hat, der gescheiteste Mensch der Gegenwartszivilisation?

Nun gewiß, Sie mögen lächeln, aber ich konnte wirklich nichts anderes herausbringen, als daß der gescheiteste Mensch in der Zivilisation
der Gegenwart Eduard von Hartmann ist, der Philosoph des Unbewußten. Es ist das durchaus nicht irgendein waghalsiges Paradoxon,
sondern es ist etwas, was sich mir ergeben hat aus einer vielleicht eben nicht ganz seelenlosen Betrachtung der zwei letzten Jahrzehnte
des 19. Jahrhunderts.
Sie können sich denken, daß man vor demjenigen einen großen Respekt bekommen hat, den man für den gescheitesten Menschen
des Zeitalters gehalten hat. Daher habe ich auch das, was ich dazumal in erkenntnistheoretischer Beziehung aussprechen wollte in meinem
Schriftchen «Wahrheit und Wissenschaft», Eduard von Hartmann gewidmet. Also ich spreche nicht, etwa aus Respektlosigkeit, ich spre-
che aus tiefem Respekt heraus. Die Vorbedingungen für die Philosophie Eduard von Hartmanns sind ja diese, daß Eduard von Hartmann eigentlich zum Offizier ausgebildet war. Er hat es bis zum Premierleutnant gebracht, hat aber dann sich ein Knieleiden zugezogen und hat hierauf die Intellektualität, die eigentlich bei ihm für den modernen Militarismus bestimmt war, transformiert, metamorphosiert in Philosophie. Es ist interessant, daß gerade dadurch das zustande gekommen ist, was ich nicht anders als so formulieren kann:
Eduard von Hartmann war der gescheiteste Mann vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.

Er hat deshalb auch klar gesehen, was man eben mit dem Verstande vom letzten Drittel des 19. Jahrhunderts klar sehen kann. Er hat das
menschliche Bewußtsein, so wie es gebunden ist an die Erde, aber gebunden an den physischen Menschenleib, durchschaut. Da er gescheit war, hat er den Geist nicht geleugnet. Aber er hat ihn versetzt in die Sphäre des Unbewußten, dessen, was niemals einen Leib tragen
kann, was niemals mit dem Physischen in innige Verbindung kommen kann, was daher, da es immer außerphysisch, das heißt geistig sein
muß, nur unbewußt sein kann.
Bewußt – so sagte sich Eduard von Hartmann – kann man nur im Leibe sein. Ist aber der Leib nicht das einzige, gibt es Geist, so
kann der Geist nicht bewußt sein, sondern nur unbewußt. Der Mensch habe also, sagt Hartmann, wenn er durch die Pforte des
Todes tritt, nicht zu erwarten, daß er dann sich hineinringt in ein anderes Bewußtsein, denn jenseits dieses Erdenbewußtseins gibt es
nur das Unbewußte. Der Mensch steigt hinein in die Sphäre des unbewußten Geistes. Der unbewußte Geist ist überall da, wo nicht
das Bewußtsein des Menschen ist.
Eduard von Hartmanns Philosophie ist also eine Geistphilosophie, aber eine Philosophie des unbewußten Geistes. So daß es nirgends Bewußtsein gibt als im Menschenleibe, daß es zwar überall Geist gibt, aber Geist, der von sich und von der Welt und von nichts etwas weiß, ein unbewußter Geist.

Ist es nicht absolut klar, daß dieser unbewußte Geist niemals irgendwie eindringen kann in irgend etwas außer ihm als durch den
physischen Menschenleib? Das ist ja von vornherein klar. Damit aber ist etwas sehr Bedeutsames gesagt. Es ist damit gesagt, daß diesem
Intellekt, der sich also zum Statuieren des Unbewußten erhebt, die Liebe fehlt.
Ich sage nicht, daß Eduard von Hartmann die Liebe gefehlt hat, aber seinem Intellekt, in dem gerade seine Bedeutung lag, fehlte
jegliche Liebe. Dem lieblosen Intellekt ist es nicht möglich, irgendwohin die Brücke zu bauen. Daher bleibt er nur in sich selber, kann
aber dadurch auch kein Bewußtsein erringen. Er bleibt in der Sphäre des Unbewußten. Man könnte auch sagen, er bleibt in der Sphäre
der Lieblosigkeit.

Damit ist schon angedeutet, daß dies auch die Sphäre der Seelenlosigkeit ist, denn da, wo die Liebe nicht auftreten kann, schwindet
allmählich überhaupt die Seelenhaftigkeit. Und so müssen wir, ich möchte sagen, die Atmosphäre der Lieblosigkeit spüren aus dem
Ganzen und Großen der Zivilisation der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts, auf deren Schultern unsere Zivilisation steht.

Es ist nun höchst merkwürdig, wohin Eduard von Hartmann dieses Frönen dem unbewußten Geiste, verbunden mit Lieblosigkeit,
geführt hat.
Er sah auf diese Welt des Erdenlebens hin, das dem Menschen das Bewußtsein gibt. Aber könnten wir als Erdenmenschen nicht in
unserm Leibe leben, könnten wir nicht mit jedem Aufwachen in unseren Leib untertauchen und uns ganz und gar verbinden mit
unserem Leibe – was stünde uns bevor?
Wenn wir aufwachen als Erdenmenschen, geht das im Schlaf abgesonderte Ich und der astralische Leib in den physischen Leib und in
den Ätherleib zurück. Da verbinden sich Ich und astralischer Leib ganz innig mit Ätherleib und physischem Leib, da werden dieses Ich
und der astralische Leib mit dem Ätherleib und dem physischen Leib eins. Und solange wir als Erdenmensch wachend sind, müssen wir
von einer innigen Einheit des Geistig-Seelischen und des Physisch-Leiblichen sprechen. Wenn man aber das Geistig-Seelische von dem
Physisch-Leiblichen so absondert, wie es Eduard von Hartmann intellektuell tut, dann würde dem die folgende Wirklichkeit entsprechen: eine Wirklichkeit, die dann einträte, wenn wir aufwachend zwar hineingingen in unseren physischen und Ätherleib, aber nicht mit ihnen verschmelzen würden, sondern unverschmolzen mit ihnen in ihnen nur wohnen würden.

Der unbewußte Geist wohnt nach Eduard von Hartmann in dem Leibe und wird dadurch im physischen Erdenleben bewußt. Er denkt also etwas, das, wenn es in der Wirklichkeit eintreten würde, so wäre, wie wenn wir aufwachend zwar hineingingen in unseren physischen und Ätherleib, aber nicht mit ihnen verschmelzen würden – sondern da drinnen wohnen würden, herumschauen würden, wie wir in einem Hause herumschauen, überall innen alles schauen würden —, also abgesondert im Innern sein würden. Was würde aber dann eintreten?
Nun, wenn wir mit unserem Geistig-Seelischen nicht verschmolzen mit unserm physischen Leibe, sondern abgesondert von ihm
leben würden, dann würde das für unsere Seele einen ganz unnennbaren, unerträglichen Schmerz bedeuten; denn jeder Schmerz entsteht
schon dadurch, daß das Organ nicht richtig funktioniert, daß das Organ erkrankt, daß wir vertrieben werden aus einem Teil unseres
physischen Leibes. Würden wir ganz vertrieben sein, würden wir, wenn ich mich so ausdrücken darf, «extra» von unserem physischen
Leibe sein, so müßten wir einen unnennbaren Schmerz erleben. Jeden Morgen beim Aufwachen droht uns gewissermaßen dieser Schmerz.

Wir überwinden ihn dadurch, daß wir untertauchen in unseren physischen und Ätherleib und uns mit ihnen verbinden.
Nun gewiß, Eduard von Hartmann war kein Initiierter, er war bloß ein Intellektualist, der beste Intellektualist aus der zweiten Hälf-
te des 19. Jahrhunderts. Er hat bloß in Gedanken dasjenige gefaßt, was ich jetzt als eine Wirklichkeit vor Sie hingemalt habe. Er hat die
Welt so vorgestellt, als wenn wir mit unserem Ich und unserem astralischen Leib uns nicht verbinden würden mit dem physischen
und dem Ätherleib. Er dachte sich das Verhältnis des Menschen zu seinem Leibe so, wie ich es eben der Wirklichkeit nach geschildert
habe.

Das brachte ihn zu folgender Konklusion: Er kam zu dem Schlüsse eines restlosen Pessimismus. Selbstverständlich, der Pessimismus
würde erlebt werden, wenn wir aufwachend von unserem physischen Leibe abgesondert wären. Eduard von Hartmann hat ihn erdacht.
Und was gibt er als das Resultat seines Denkens an? Die Welt ist die denkbar schlechteste. Die Welt enthält die größte Menge von
Übel und Schmerz, und die wirkliche Kulturentwickelung der Menschheit kann nur darin bestehen, die Welt allmählich auszulöschen, zu vernichten. Und am Ende der «Philosophie des Unbewußten» taucht ja ein Ideal auf.

Eduard von Hartmann lebte in jenem Zeitalter, in dem die Technik sich immer mehr und mehr entwickelte, in dem man immer mehr
und mehr Maschinen zur Verrichtung von diesem oder jenem bekam.
Wer einmal hineinschaut in all das, was dem Maschinellen möglich ist, der wird fasziniert von den Möglichkeiten, die im Maschinellen
liegen. Wenn man die Möglichkeiten ausdehnt, die als die Vervollkommnung des Maschinellen eintreten können für die Welt, so bewirkt das eine ungeheure Suggestion.
Dieser Suggestion hat sich Eduard von Hartmann hingegeben. Und er denkt sich, daß die Menschheit – die ja allmählich, weil sie
gerade zum Intellekt gekommen ist, immer intelligenter und intelligenter werden muß – auch immer mehr und mehr einsehen muß,
daß das Richtige für diese Welt ist, sie zu vernichten; daß diese Menschheit einstmals zu einer Maschine kommen wird, durch die
man bis in den Mittelpunkt der Erde hineinbohren und dann die Maschine in Bewegung setzen können wird, um mit einem Schlage
diese ganze schlechteste Erde in die Weiten des Kosmos mit allem, was physisch darauf lebt, hinauszuschleudern.
Man kann nur sagen, die Grundlagen zu einer solchen Denkweise sind eigentlich bei allen anderen, die vielleicht nicht so gescheit wie
Eduard von Hartmann, aber ebenfalls sehr gescheit sind, auch vorhanden, aber sie haben nicht den Mut gehabt, die letzten Konsequenzen in diesem Sinne zu denken.

Und man kann sagen, wenn man dasjenige, was der Intellekt abgezogen von aller übrigen Welt leisten kann, wirklich ins Auge zu fassen vermag, dann erscheint einem bei dieser einseitigen Ausbildung des Intellektes dieses Ideal, das Eduard von Hartmann hinstellt, sogar als ein im gewissen Sinne notwendiges.
Ich sagte, man kam nicht richtig zum Formulieren von gewissen Zeiterscheinungen, die doch da waren. Man sollte aber schon sich
aufschwingen zu einer möglichst prägnanten Formulierung des Philosophen des Unbewußten, der 1869 diese Perspektive vor die
Menschheit hingestellt hat. Und dabei war Eduard von Hartmann eigentlich auch wirklich gescheiter als die anderen, denn er hat ja
jene Tat vollbracht, welche ich öfter erzählt habe, nachdem er dieses Ideal vor die Menschen hingestellt hat. In demselben Buch, in dem
er dieses Ideal hinstellt, spricht er ja vom Geist, wenn auch vom unbewußten Geist, aber er spricht vom Geist. Es war das eine furcht-
bare Sünde, denn die Wissenschaft hatte es ja so weit gebracht, daß man wissenschaftlich nicht vom Geiste sprechen durfte, selbst nicht
in der harmlosen Art, daß man ihn ganz und gar unbewußt sein läßt.
Und daher sahen die anderen Gescheiten diese «Philosophie des Unbewußten», die sich literarisch sehr bemerkbar machte, als Dilettantismus an. Da hat denn Eduard von Hartmann ihnen einen Streich gespielt. Es erschien eine Widerlegung der «Philosophie des Unbewußten» von einem unbekannten Autor. Und darinnen war diese Geistphilosophie gründlich widerlegt. Die Schrift hieß «Das Unbewußte vom Standpunkt der Physiologie und der Deszendenztheorie».
In dieser anonymen Schrift war so stark — ja, ich muß jetzt sagen, der Ungeist, weil ich ja Geist nicht sagen darf in diesem Falle — der
Ungeist der anderen Gescheiten von Hartmann fingiert, daß die bedeutendsten Naturgelehrten der damaligen Zeit, Oskar Schmidt,
Ernst Haeckel und eine Menge anderer, die lobendsten Kritiken über dieses anonyme Buch schrieben und sagten: Da hat einmal einer
diesen Dilettanten Eduard von Hartmann gründlich abgefertigt! Schade, daß man ihn nicht kennt, diesen Anonymus. Er nenne sich uns, und wir betrachten ihn als einen der Unsern.
Es ist selbstverständlich, nachdem so in die Trompete gestoßen worden war, daß die Schrift des Anonymus bald abgesetzt wurde
und eine zweite Auflage brauchte.
Sie erschien: «Das Unbewußte vom Standpunkt der Physiologie und der Deszendenztheorie, zweite
Auflage, von Eduard von Hartmann»!

Also, Sie sehen, Eduard von Hartmann bewies auch dadurch, daß er schon der Gescheiteste war, denn er konnte erstens so gescheit
sein wie er, und dann auch noch so gescheit wie die anderen, die Gegner.
Wenn ich gestern sagen mußte, die Psychoanalyse ist der Dilettantismus im Quadrat, so müßte man eigentlich sagen, weil Seeleneigen-
schaften sich immer multiplizieren: die Gescheitheit des Eduard von Hartmann war die Gescheitheit im Quadrat, mit sich selbst multipliziert.

Man sollte tatsächlich an einer solchen Erscheinung des Zeitalters nicht so in tiefem Schlaf vorbeigehen, wie man das tut. Man sollte
sie sich formulieren und vor die Seele stellen, dann würde man eben auch die Absurditäten des Zeitalters wirklich vor sich haben. Und
warum war denn Eduard von Hartmann so gescheit? Er war so gescheit aus dem Grunde, weil er wirklich mit durchdringendem
Blick alles dasjenige sich angesehen hat, wovon man in seiner Zeit eben Notiz nehmen durfte. Er wurde sozusagen der Naturforscher
der Philosophie. Es ist ja allerdings ungefähr so, als wenn man sagen würde: die Mehlspeise der Suppe. Aber er wurde halt der Naturfor-
scher der Philosophie.

Nun handelt es sich darum, sich gerade an einer solchen Erscheinung ganz empirisch klarzumachen, wohin man kommen muß, wenn
man nicht in diese Abgründe verfallen will. Man muß, wenn man sich herausfinden will aus den Wirrnissen, in die man durch diese
Zivilisation hineinkommt, eben auf dasjenige sehen, was der Mensch wirklich in seinem Innern trägt.

Geht man aber nun wirklich von dem physischen Leib des Menschen nach und nach mehr über in das Geistige, nähert man sich
dem Seelischen, so trifft man, wie wir auch gestern wieder besprochen haben, den Ätherleib oder Bildekräfteleib.
Von einem solchen Ätherleib oder Bildekräfteleib hat Eduard von Hartmann in Gemäßheit dessen, was man in seiner Zeit wissen konnte, eben nichts gewußt. Er stieg nicht auf von der Betrachtung dessen, was äußerlich natürlich-physisch ist, zu dem nächsten, was an das
Physische angrenzt, zu dem Ätherleib oder Bildekräfteleib.
Wir wissen, daß, wenn der Mensch in den Schlaf eintritt, sein Ich und sein astralischer Leib sich abtrennen von dem physischen Leib
und von dem Ätherleib. Der Ätherleib bleibt im physischen Leibe zurück. Der Mensch kann auch eigentlich niemals wissen, wenn er
bloß das Erdenbewußtsein anwendet, wie dieser sein Ätherleib beschaffen ist. Denn wacht er, dann taucht er ja mit seinem astralischen
Leib und seinem Ich in den Ätherleib unter. Dann ist er drinnen.

…Es ist für ein wirkliches Erkennen nicht zu leugnen: Wenn wir unseren physischen und Ätherleib in der Nacht verlassen haben,
dann sind die zwei, die wir da zurückgelassen haben, miteinander viel gescheiter, als wir sind, wenn wir drinnen sind. Denn wir sind
eben in unserem Ich und unserem astralischen Leib Kinder der Erdenund Kinder der Mondenentwickelung. Der Ätherleib aber führt zurück bis in die Sonnenentwickelung, der physische Leib gar bis in die Saturnentwickelung. Die stehen auf einer viel höheren Vollkommenheitsstufe. Wir können uns heute nicht messen in unserem Ich und in unserem astralischen Leib mit dem, was im Laufe der Zeit von der Sonnenentwickelungsepoche hier in unserem Ätherleib sich als Weisheit angesammelt hat. Man könnte sagen: Die konzentrierte
Weisheit ist dieser Ätherleib. Wenn wir Menschen aber unsere Weisheit mit unserem astralischen Leib und mit unserem Ich in diesen
Ätherleib hineintragen, dann brauchen wir eine Widerlage, wie wir eben die Widerlage des Spiegels brauchen, wenn wir das Spiegelbild
sehen wollen. Wir brauchen den physischen Leib als eine Widerlage.
So, wie wir nicht stehen könnten, wenn wir nicht einen physischen Boden hätten, so könnten wir nicht in unserm Ätherleib leben, ohne
daß der Ätherleib an den physischen Leib grenzt und an den physischen Leib überall aufstößt, an dem physischen Leib eine Widerlage
hat. Der Ätherleib wäre mit seinem innern Leben wie ein Mensch, der ohne Unterlage frei in der Luft schweben würde. So haben wir
für das gewöhnliche irdische Dasein nur ein Seelenleben, das zwar im Ätherleib lebt, aber den physischen Leib als Unterlage braucht.

Mit dieser Seelenverfassung können wir nur an die mineralische Welt herankommen. Wir können nur das Leblose damit durchschau-
en. Wollen wir an die Pflanzenwelt herankommen, dann brauchen wir die Fähigkeit, den Ätherleib zu gebrauchen ohne den physischen
Leib.
Wie können wir das? Wie können wir unseren Ätherleib gebrauchen ohne unseren physischen Leib? Wir können das, wenn wir
immer mehr und mehr, durch innere Übungen, von Menschen, die vorzugsweise durch ihren physischen Leib in dem Element der
Schwere leben, zu Menschen werden, die durch das Licht in dem Elemente der Leichtigkeit leben, die durch das Licht gar nicht mehr
ihren Zusammenhang mit der Erde empfinden, sondern mit den Weiten des Kosmos; wenn uns allmählich der Hinblick auf die Sterne,
auf Sonne und Mond, auf die Weiten des Weltenalls etwas so Heimisches wird, wie wenn wir hinblicken auf die Pflanzen, die die Wiesen
bedecken. Wenn wir bloße Erdenkinder sind, sehen wir zu den Pflanzen, die die Wiesen bedecken, hinunter. Wir erfreuen uns an ihnen,
verstehen sie aber nicht, weil wir an die Schwere gebundene Erdenmenschen sind. Können wir aber ebenso, wie wir lernen als an die
Schwere gebundene Erdenmenschen dazustehen, uns binden an die Weiten des Weltenalls, an die Wiese des Himmels, übersät von den
Sternen – das ist jetzt nicht der Boden, sondern die Decke -, können wir damit uns verwandt fühlen, wie sonst mit dem Boden der Erde,
dann beginnen wir, indem wir das Erdenbewußtsein verwandeln in ein Weltenbewußtsein, unseren Ätherleib in uns ebenso zu gebrau-
chen, wie wir sonst unseren physischen Leib gebrauchen. Dann allein sind wir fähig, an die Pflanzenwelt auch mit unserem Verständnisse
heranzudringen. Denn die Pflanzen sind nicht aus der Erde nach oben hervorgebracht, sondern sie sind durch den Himmel aus der
Erde herausgesogen.

…Denn indem dann nachgefühlt wird, daß die Menschenseele so etwas kann, wenn sie sich nur ihres Ätherleibes wirklich bewußt
wird, vermag sie ihren Himmelsursprung, ihre Erdenunabhängigkeit, ihr Versetztsein auf die Erde zu empfinden. Es kann die Menschenseele sich sagen: Du bist von einem kosmischen Ursprung; du bist durch den physischen Menschenleib auf die Erde versetzt, aber kosmischen
Ursprungs. Und wenn du dich hier über die Pflanzenwelt freuen kannst, so ist das, was sich freut in dir, ein Sohn des Himmels, der
sich an dem, was wiederum die Himmel aus der Erde in der Pflanzenwelt heraussaugen, erfreut. Der Mensch entreißt sich seelisch der
Erde, indem er also wirklich seinen ätherischen oder Bildekräfteleib in Realität erfaßt.

…Wenn wir irgendwie einen guten Einfall haben, dann ist es der ätherische Leib, der uns, weil er innig zusammenhängt mit dem Äther des Kosmos, anregt zu dem Einfall. Alles, was der Mensch an Einfallen, an Genialität entwickelt im wachenden Zustande, ist aus dem ätherischen Leib und damit auf dem Umwege aus dem Kosmos. Das Genie spricht mit dem Kosmos, indem der astralische Leib durch den ätherischen
Leib angeregt wird.
Derjenige, der das nicht durchschaut, lebt aber doch in diesem, und sein Seelisches besteht dann, daß er in den physischen Leib und
in den Ätherleib den astrahschen Leib und das Ich im wachenden Zustande hineinsenkt.

…Nehmen Sie an, Sie würden den physischen Boden nicht sehen, aber doch darauf stehen, so stünden Sie eben darauf. Wenn dann
einer, der durch die Wissenschaft erst herausbrächte, daß der Fußboden da ist, und es Ihnen sagen würde, so würden Sie ja doch deshalb
auf dem Fußboden stehen. So kann Ihnen derjenige, der die Geisteswissenschaft beherrscht, sagen, Sie erheben sich zu dem oberen Bo-
den, zu dem Sternenboden; aber Sie erheben sich trotzdem wirklich.
Und so steht der Mensch in einer anderen Welt drinnen mit seinem astralischen Leib, in der Welt der lebendigen Geistwesen, die wir
aufgezählt haben als die Welt der höheren Hierarchien.
Wie wir, wenn wir in die physische Welt uns hineinstellen, eben diese physische Welt als die reale haben, wie da in dieser physischen
Welt Mineralien, Pflanzen, Tiere sind und das der Boden ist, aus dem der Mensch zuletzt in der Menschenentwickelung herauswächst,
so ist der Mensch mit seinem astralischen Leibe in der Welt der Wesen der höheren Hierarchien. Lebt er in dieser Welt, dann hat er
für seinen astralischen Leib die entsprechende Widerlage. Aber er trägt dasjenige, was er durch die Geisteswissenschaft erst kennenler-
nen kann, doch immer in sich. Und er trägt es in sich als die Fähigkeit des Gefühls.

Alles, was wir in der Welt durch unser Gefühl, durch dieses innigste Leben der Seele, zu unserem Eigenen machen, das besteht
in dem Wellen und Weben der Geister der höheren Hierarchien in unserem eigenen astralischen Leibe. Wenn wir uns bewußt werden
unseres Gefühles, so ist dieses Bewußtsein vom Fühlen dasjenige, was der Mensch zunächst hat, aber in diesem Fühlen lebt das Weben
und Wirken der Geister der höheren Hierarchien durch den Menschen. Wir können nicht das Seelische wirklich fassen, wenn wir
nicht dieses Seelische getaucht empfinden in die Geistwelten der höheren Hierarchien. Und so, wie uns die Vergangenheit für die
sinnliche Gegenwart durch das Ätherschauen enthüllt wird, wenn auf moderne Art nachgebildet wird dasjenige, was in den ersten
irdischen Mysterien als die Initiation des Kosmos ausgebildet worden ist, so kann auch die Seele so vertieft werden, daß sie ein Bewußtsein
erlangt von dem, was eigentlich im astralischen Leib spielt.

Dazu bedarf es des liebevollen Sichversenkens in das, was als ein Zusammenhang mit den geistigen Welten in den großen Mysterien
gelebt hat. …Und dann hat man für die Gegenwart nötig, ehrlich in das eigene Innere hineinzuschauen und nun in Unbefangenheit dieses eigene
Innere kennenzulernen, den eigenen Geist, der einem dann vom Innern die Seele beleuchtet.

…Wirklich liebevoll eingehen auf das, was als der physische Leib, der Ätherleib, der astralische Leib und das Ich geschildert werden
kann, das tut man, wenn man etwas vernimmt von der Stimme des Genius, der unsere Zeit beherrscht, wenn man den guten Willen hat,
hinzuhorchen auf die Stimme des Genius in unserer Zeit. Aber kann denn der Mensch der Gegenwart dasjenige, was ausgesprochen wird,
wenn man sagt «der Genius unseres Zeitalters», mit jenem tiefen Ernste nehmen, der ihm gebührt? Bleibt es nicht ein abstrakter Wort-
inhalt für die meisten, wenn man von dem Genius unseres Zeitalters spricht? Denken Sie, wie weit die Menschen weg sind von der Erfassung eines wirklich geistig Lebendigen, das in unserer Zeit wirkt und webt und lebt, wenn man von dem Genius unserer Zeit spricht.

Aber man darf sagen, wenn die Menschen auch den Geist verleugnen, sie werden den Geist nicht los. Der Geist ist unabänderlich mit
der Menschheit verbunden. Nur, wenn die Menschen dem Genius eines Zeitalters absagen, dann tritt an sie heran der Dämon dieses
Zeitalters. Und als der Intellekt so weit war am Beginne des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts, daß er ganz und gar nur dem Mechanis-
mus des physischen Leibes folgte, selbst automatisch, mechanisch wurde und damit auf seine höchste Stufe kam, so daß er so gescheit
wurde, wie er selber ist, und so gescheit, wie die anderen sind, als dieser Intellekt bis zu dem Bilde vordrang, das im Intellekt das Me-
chanische, das Materielle zum Dasein rief, da benahm sich der Intellekt so, wie der Mensch sich benimmt, wenn er dem Genius absagt.

Dann faßt ihn der Dämon des Zeitalters. Der Intellekt hatte sich getrennt von der Seele. Der Intellekt wurde mechanisch, seelenlos,
und er gründete in diesem Zustand eine Philosophie. Er hatte die Liebe nicht, konnte die Weisheit nicht lieben. Seine Philosophie
konnte nur das intellektuelle Abbild der irdischen Dämonologie werden, jener Dämonologie, die ausdenkt das Ideal einer Maschine,
die in den Mittelpunkt der Erde hineingebohrt wird und die Erde in das Weltenall hinaussprengt.

Das hat der Dämon des Zeitalters dem Intellekt des Zeitalters gesagt. Der Dämon des Zeitalters wird sich oftmals hören lassen,
wenn man das Seelische nicht wird erkennen wollen. …Denn dieser Intellekt ist fremd dem Menschenwesen, er emanzipiert sich vom Menschen-
wesen. Der Intellekt, der mit dem Menschenwesen verbunden ist, ringt sich aus dem Erdenbewußtsein herauf zu anderen Bewußtseinszuständen. Für den Intellekt, der sich nur an die Erde bindet, aber dann sich abtrennt, daher nur das Spiegelbild des Intellektes
hat, für den werden alle übrigen Bewußtseinszustände das unendliche Meer des Unbewußten. Die menschliche Seele hört auf, sich ihres
himmlischen Ursprungs bewußt zu werden, sich ihrer Selbständigkeit gegenüber dem Erdenleben bewußt zu werden.

Darinnen aber besteht das Seelische des Menschen, daß der Mensch in seinem Wesen zwischen Körperlichem und Geistigem
schwingt. In diesem Schwingen zwischen Körperlichem und Geistigem besteht das Seelenleben. Wenn der Mensch in Ehrlichkeit nur
an den Körper glaubt und ihm dadurch, daß er den Geist doch nicht lassen kann, dieser nur zum Unbewußten wird, dann geschieht die
Verleugnung des Seelischen.

Von der physischen Perspektive haben wir gestern gesprochen. Von der seelischen Perspektive wollten wir heute sprechen, und von
der geistigen Perspektive wollen wir morgen sprechen…

+++
s. dazu auch:
Kant und die moderne Weltperspektive. „…die Vereinzelung ist ohne alle objektive Bedeutung für die Wirklichkeit selbst“ R.Steiner hier weiter

+++

Einführung in die Anthroposophie. Rudolf Steiner
hier weiter

…mehr anthroposophische Kurztexte: hier weiter
und: hier weiter

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*